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Restaurant Confessionals

Deine Extrawurst im Restaurant ist ziemlich taktlos

„Ich arbeite jetzt schon seit sieben Jahren als Koch. In letzter Zeit verlangen immer mehr Gäste, dass ich gewisse Zutaten entferne oder durch andere ersetze. Das Ganze macht mich echt verrückt. Und ich wette, ich bin da nicht der einzige.“
Oberstes Foto: Matthew Hine | Flickr | CC BY 2.0

Willkommen zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt.

Koch, 28, London.

Ich komme gleich auf den Punkt. Ich wette, dass es keinen Koch gibt, der auf einen Extrawunsch, auch wenn er mit einer Essensunverträglichkeit verbunden ist, mit einem aufrichtigen „Kein-Problem-Sportsfreund-Lächeln" antworten wird. Außer du arbeitest im noma, wo du schon über Wochen und Monate im Voraus planst, was du deinen Kunden auftischen wirst.

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In meiner Küche stehen eher kleinere—und auch ein paar größere—Gerichte sowie zwei Desserts auf der Speisekarte. Für die Größe der Küche und die Anzahl der Mitarbeiter ist unsere Essensauswahl relativ umfangreich. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich unsere Produkte auf möglichst vielfältige Weise verwerten möchte, um so abwechslungsreiche kulinarische Ergebnisse zu erzielen. Tintenfisch, zum Beispiel, werden wir heute bei mehreren Gerichten verwenden, da wir am Morgen eine besonders große Lieferung erhalten haben. Die Leute wollen ihren Tintenfisch aber nicht immer nur in Knoblauch und Chili gebraten—deswegen serviere ich ihn heute roh, papierdünn geschnitten und mit einigen einlegten Häppchen dazu. Gerade in diesem Moment bereiten meine Kollegen zudem aus der Tinte des Tintenfischs eine Mayonnaise zu, die ich morgen dann als Beilage zu dem Fisch servieren werde, den mir der Fischer liefern wird.

Wir Köche sind in vielen Fällen abhängig von den Produkten, die wir von unseren Lieferanten erhalten—oder auch nicht. Ihre Lieferungen bestimmen darüber, was wir heute oder in dieser Woche auf unserer Speisekarte anbieten können. Aus diesem Grund müssen meine Gerichte stets das wohl überlegte Ergebnis aus den bestmöglichen—und auch vorrätigen!—Produkten sein. Dabei darf ich den Gast preislich nicht abschrecken und muss gleichzeitig immer meinen eigenen Geldbeutel—und die meiner Mitarbeiter—im Hinterkopf haben. Ein stetiger Balanceakt.

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Ich arbeite jetzt schon seit sieben Jahren als Koch. Während des letzten Jahres sind mir immer mehr Gäste untergekommen, die von mir und meinen Kollegen verlangt haben, dass ich einige Zutaten aus den Gerichten entferne oder durch andere ersetze. Das Ganze macht mich echt verrückt.

Ich möchte aber an dieser Stelle gleich klarstellen, dass ich großes Mitgefühl für Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten habe. Eine meiner Küchenhilfen leidet an Zöliakie, und ich habe schon mit eigenen Augen sehen müssen, welche Reaktion Gluten bei einem Menschen mit dieser Autoimmunerkrankung auslösen kann. Echt kein schöner Anblick. Vor allem wenn du nach ihm aufs Klo musst. Allmächtiger!

Ich arbeite jetzt schon seit sieben Jahren als Koch. Während des letzten Jahres sind mir immer mehr Gäste untergekommen, die von mir und meinen Kollegen verlangt haben, dass ich einige Zutaten aus den Gerichten entferne oder durch andere ersetze. Das Ganze macht mich echt verrückt.

Ich bin überzeugt davon, dass es viele Leute gibt—darunter auch einige meiner zahlenden Gäste—die wirklich unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten leiden. Doch als unter Dauerstress stehender Koch neigt man dazu, bei Personen, die spezielle Ingredienzen aus ihren Gerichten entfernt wissen möchten, zuerst einmal davon auszugehen, dass sie heute Morgen einfach nur irgendwo von Glutenintoleranz gelesen haben und sich deswegen jetzt ganz molièresk einbilden, selbst betroffen zu sein.

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Schon seit einiger Zeit lasse ich Kunden, die etwa keine Brotkrumen zu ihrem Fisch wollen, von meinen Mitarbeitern fragen, ob sie vielleicht Zöliakier sind. Schließlich beinhalten auch viele andere Elemente in der Küche—Saucen, Brühen, Backteig—Mehl und sind darum für eine Person mit Glutenintoleranz ein No-Go. Nur in den seltensten Fällen wird die Bedienung aber zurückkommen und sagen, „Ja, er leidet an Zöliakie." In diesem Fall gebe ich mir dann größte Mühe, ein Essen zusammenzustellen, das so nah wie möglich an das ursprünglich vom Gast bestellte Gericht rankommt.

Warum sollte jemand, der unter einer unangenehmen Intoleranz leidet, nicht auch in den Genuss meines köstlichen Seehecht-Gerichts kommen, nur weil er das Paniermehl—das Teil des Rezeptes ist—nicht verträgt? Ich kredenze ihm stattdessen einfach eine Sauce aus brauner Butter und Kapern. Gar kein Problem.

Der Punkt—und der Stein des Anstoßes—ist aber, dass es bei den meisten Gästen mit Extrawünschen keinerlei medizinisch bedingten Grund gibt, warum sie auf Weizen oder Molkereiprodukte verzichten sollten (Ich hatte schon Gäste, die darum gebeten haben, dass wir ihren Fisch bitte ausschließlich in Rapsöl braten, weil ihnen Butter zu fetthaltig sei). Wenn wir dann höchst freundlich—schließlich wollen wir ja auch nicht als kundenunfreundliche Unmenschen wahrgenommen werden—nachfragen, was der Anlass für den Änderungswunsch sei, hören wir in den meisten Fällen nur ein lapidares „Ich möchte eine Weile auf X, Y oder Z verzichten." Ich gehe auf diese Art der Kundenwünsche nicht mehr ein, es sei denn, sie sind ohne zeitlichen Mehraufwand möglich. Mein Team ist schon gestresst genug und muss sich unzählige Handgriffe und Rezepte merken.

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Aber—verdammt noch mal!—ist es denn wirklich so schwer, ein Gericht zu wählen, das du einfach essen kannst, anstatt etwas auszusuchen, bei dem dir nur ein paar der Zutaten in den Kram passen, weswegen wir am Ende ein neues Gericht kreieren müssen? So ein Verhalten finde ich ziemlich taktlos.

Willst du wissen, was mich auf die Palme bringt? Du gehst gerne in dieses eine Restaurant, weil du weißt, dass der Typ in der Küche einen guten Job macht und dir seine Gerichte im Allgemeinen sehr gut schmecken, aber just heute gibt es mehrere Punkte auf der Speisekarte, die dir nicht munden oder die du nicht vertragen würdest. Aber—verdammt noch mal!—ist es dann wirklich so schwer, ein Gericht zu wählen, das du einfach essen kannst, anstatt etwas auszusuchen, bei dem dir nur ein paar der Zutaten in den Kram passen, weswegen wir am Ende ein neues Gericht kreieren müssen?

So ein Verhalten finde ich ziemlich taktlos. Ja klar, ich arbeite in der Service-Industrie—Leute bezahlen mich dafür, dass ich ihnen ein nettes Abendessen koche und ihnen eine schöne Zeit bereite—und ich bin mir dessen auch absolut bewusst. Ein echtes Privileg. Aber gibt es denn bei den Gästen nicht auch ein Bewusstsein darüber, dass es auf der anderen Seite der Küchenwand Menschen gibt, die im Dauerstress sind und mit viel Mühe ausgewogene—und dabei abwechslungsreiche—Gerichte ausgearbeitet haben.

Ich habe noch keine Patentlösung für dieses Dilemma. Auf jeden Fall werde ich weiterhin meine Belegschaft anhalten, nach dem jeweiligen Grund für den Änderungswunsch zu fragen. Schließlich will ich nicht, dass sich jemand wegen meines Essens mies fühlt. Ein Teil von mir will aber diesen kapriziösen Extrawürsten einen Riegel vorschieben. Es muss schließlich einen Grund geben für diesen unfassbar rasanten Anstieg an sogenannten Lebensmittelunverträglichkeiten. Meiner Meinung nach spielt auch die Tatsache eine Rolle, dass die Leute all das für bare Münze nehmen, was Hinz und Kunz zu diesem Thema zu sagen haben—mit dem Ergebnis, dass viele dank voreiliger Selbstdiagnosen zu dem Schluss kommen, selbst betroffen zu sein. Alles ein bisschen verrückt.

Eins steht aber fest: Essen ist viel zu aufregend, um daraus so eine Wissenschaft zu machen.