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Alkohol

Eine kleine Geschichte der betrunkenen, britischen Matrosen

Bis zum 31. Juli 1970 war haarsträubend starker Rum ein wichtiger Teil des Gefüges der britischen Marine—rationiert, als Währung verwendet und eine echte Lebenshaltung.
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Stellt euch vor, ihr kippt einen halben Liter hochprozentigen Rum runter und geht dann zurück an die Arbeit. Und jetzt stellt ihr euch noch vor, dass die Arbeit auf einem riesigen Schiff der Royal Navy im 18. Jahrhundert ist. Es geht also um richtiges Old-school-Seemannszeug: komplexe Knoten, Pulverfässer, Kanonenkugeln, Tauwerk hochklettern, …

Da wird euch ein bisschen schwindlig? Plötzlich habt ihr zwei linke Hände?

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Das ist nicht nur ein Hirngespinst. Bis zum 31. Juli 1970 war haarsträubend starker Rum ein wichtiger Teil des Gefüges der britischen Marine—rationiert, als Währung verwendet und eine echte Lebenshaltung.

„Das tägliche Schlückchen"—die Rumration—war ein mit Vorfreude erwartetes tägliches Ritual für Generationen von Matrosen, das die Moral heben und ihnen einen starken alkoholischen Kick verpassen sollte. Für die Matrosen war es ein kleiner Trost zwischen herumfliegenden Kanonenkugeln und Peitschenhieben.

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Aber weshalb Rum? Das Klischee des betrunkenen Matrosen, der nachts aus einem düsteren Lokal zurück zum Hafen stolpert, ist tief in unser Bewusstsein eingebrannt. Rum war jedoch nicht immer schon das Lieblingsgetränk der Marine. Bis zu den Napoleonischen Kriegen bekamen die Matrosen eine Gallone (!) Bier pro Tag—statt Wasser. Durch die brühenden Temperaturen unter Deck wurde das Wasser, das in verrottenden Eichenfässern gelagert wurde, schnell zu einer dicken Schicht grüner Schimmel. Das führte dazu, dass ein stärkeres Gebräu entwickelt wurde, das den Reisestrapazen standhalten konnte. Aber auch das schummelte, also musste etwas noch stärkeres her.

Im 17. Jahrhundert bekamen die Männer französischen Brandy, später tranken die Matrosen der East India Company eine berüchtigte indische Spirituose mit dem Namen arak. Aufgrund der oftmals unvorhersehbaren und unerträglichen Wirkung, betrachteten es die Matrosen jedoch mit Argwohn. Gareth Oliver beschreibt die verheerende Wirkung in seinem Oxford Companion to Beer:

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„Madeira, Bier und Wein wurden von den Kapitänen der Schiffe aus England importiert—den Ostindienfahrern—, aber waren anfangs nur in kleinen Mengen zu hohen Preisen erhältlich. Stattdessen zogen viele die regionale Alternative vor. Arak war, egal, welche Maßstäbe man anlegt, eine Hardcore-Spirituose. Für die heimische Version wurde roher Palmsaft in der Hitze der Sonne fermentiert … das war's. Mehrere der ersten Engländer, die das Getränk probierten, starben nach einer 12-Stunden-Session und auch später forderte es noch zahlreiche Menschenleben."

Rum hatte hingegen den Vorteil, dass er aus den karibischen Kolonien leichter verfügbar und die Wirkung vorhersehbarer war. 1731 war Rum das bevorzugte Getränk der Marine geworden und es wurde von nun an zwei Mal täglich ausgeschenkt—overproof, pur und in Viertellitern.

Für das Verteile des Rums gab es ein spezielles Ritual. Zwischen 11:00 und 12:00 Uhr riefen die Matrosen: „Stand fast for the Holy Ghost." Jeder Bataillon hatte einen zuständigen Bootsmann, dessen Job es war, den Rum zu dosieren. Die Gläser wurden nie gewaschen, weil man glaubte, dass der Rum durch die Ansammlung der Überreste immer stärker wurde.

Obwohl Rum unter den Matrosen sehr beliebt war, verursachte er einige zu erwartende Probleme—Trunkenheit und mangelnde Disziplin. Immerhin konsumierten sie riesige Menge eines starken Alkohols, oftmals in der glühenden Hitze der Sonne.

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Wie kämpft man dagegen an? Wie beschwichtigt man Männer, die mittlerweile darauf programmiert waren, zwei Mal täglich zur gleichen Uhrzeit riesige Mengen Alkohol zu trinken?

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Ein Typ mit dem Namen Admiral Vernon—Oberbefehlshaber der West Indies Station—dachte, er hätte die Lösung gefunden: mit Wasser verdünnen. Wie ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt, kam diese Strategie unter den Seemännern nicht besonders gut an, aber er hielt ihre Umsetzung für unerlässlich. Am 21. August 1740 erließ er die berüchtigte Order No. 349, die lautete:

„[Der Rum sollte] jeden Tag im Verhältnis eine Quart Wasser [946,3 ml] zu einer halben Pinte Rum [568 ml] gemischt und in einem Butt für diesen Zweck aufbewahrt werden … auf dem Deck und in der Anwesenheit des Wachleutnants, der besonders darauf achten muss, dass die Männer nicht um ihre Rumration betrogen werden … und gebt denen, die gute Ehemänner sind, Limettensaft und Zucker dazu, dass es für sie genießbarer wird."

Vernon fand die Trunkenheit an Bord erschreckend und seine Verordnung sollte der „gefährlichen Gewohnheit der Matrosen, ihre zugeteilte Menge in Schlücken zu trinken, und oft in einem Mal", ein Ende setzen, was in seinen Augen „viele fatale Auswirkungen auf ihre Moral sowie ihre Gesundheit mit sich zieht … neben der üblen Folge, dass ihre rationalen Fähigkeiten sehr darunter leiden."

Ob das eine effektive Maßnahme in der Bekämpfung der Trunkenheit war, ist umstritten. Die Männer bekamen schließlich immer noch einen Viertelliter Rum, nur eben mit ein bisschen Wasser dazu. Ausgefuchste Matrosen konnten ihre Rationen einfach aufbehalten und dann alles in einem großen Schluck runterkippen.

Mal abgesehen von Limettensaft und Zucker war der Rum immer noch relativ rein. Der Limettensaft wurde aber nicht nur wegen des Geschmacks getrunken, sondern um Skorbut entgegenzuwirken. Ob sie nun beliebt war oder nicht, die Mischung aus starkem Rum, Wasser, Zucker und Limettensaft wurde von den Matrosen „grog" genannt. Die Fässer, in denen die Mischung aufbewahrt wurde, gab es fortan auf allen Marineschiffen und sie wurden zu „grog tub" umbenannt.

Rum war jedoch mehr als nur ein Getränk an Bord, er wurde auch als eine informelle Währung verwendet. Ein „wet" entsprach dem Befeuchten der Lippen mit Rum, ohne den Alkohol jedoch zu schlucken; ein „sipper" war ein kleiner Schluck, ein „gulper" war ein großer Schluck. Das Wertvollste war „sandy bottoms"—die gesamte Ration eines anderem Mannes—ein seltenes Privileg, um Schulden zu begleichen.

Bis 1971 bliebt Rum ein essentieller Bestandteil des Lebens in der Marine, die Mengen wurden jedoch über die Jahre weniger. 1823 wurde die Ration pro Mann auf etwa einen Achtelliter reduziert, 1850 noch einmal um die Hälfte, was bis 1970 unverändert blieb. Im Dezember 1969 hatte die Regierung beschlossen, dass die nötige Effizienz durch den Rum fehlte und das Hantieren mit komplexen, heiklen Maschinen unter dem Einfluss von Rum zu gefährlich sei und so wurde die Rumration Geschichte.

Am 31. Juli 1970, dem „Black Tot Day", gab die Royal Navy das letzte Mal Rum an ihre Matrosen aus. Es war ein Tag der tiefen Trauer. Matrosen trugen schwarze Armbänder für den armen, verlorenen Rum, manche hielten Beerdigungen für ihre Gläschen ab und kippen sie feierlich ins Meer. Ein wichtiger Teil der britischen Trinkgeschichte ging im salzigen, tiefen Meer zu Ende.