Haariger, stinkender Tofu schmeckt besser, als er klingt

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Haariger, stinkender Tofu schmeckt besser, als er klingt

Ich reiste nach Kunming, um dieser kuriosen Spezialität auf den Grund zu gehen. Durch Fermentation wird er leicht säuerlich und modrig, was aber definitiv besser schmeckt, als es klingt. Stinkender Tofu schmeckt nicht nach Furz, echt nicht.

Die sonnige Hauptstadt Kunming der chinesischen Provinz Yunnan im Südwesten des Landes ist für ihr günstiges Klima bekannt. Was die Stadt aber erst so richtig attraktiv macht, ist die beinahe magische Auswahl an verschiedenen stinkenden Tofusorten, die in einem Vorort der Stadt produziert werden. Der spezielle haarige Tofu wurde kürzlich von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe ernannt und wird genau auf dieselbe Weise hergestellt, wie schon seit über 350 Jahren. Auf seine eigene, stinkende Art ist er ganz lecker.

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tofu stinker preparing the racks

Ein Tofustinker, der die Gitter vorbereitet.

Quibuchang, ein kleines Dorf zwischen einer lauten Autobahn und einer Geisterstadt voller leerer Wohnhochhäuser, ist das Zentrum des kulinarischen Tofugenusses. Es gibt mehrere Betriebe, aber der beste ist wohl der der Chang-Familie, die Originalhersteller des pikanten Quarks. Die Changs verbreiten schon seit fünf Generationen den Gestank ihres Tofus. Einige andere Betriebe im Dorf haben ihren Produktionsprozess zu modernisieren begonnen, indem sie beispielsweise die traditionelle Wok-über-Flamme-Methode durch industrielle Dampfgarer ersetzen. Die Changs machen es aber immer noch von Anfang bis Ende nach der traditionellen alten Schule. Großmutter Chang, das freundliche Familienoberhaupt und Aushängeschild des Tofuclans, zeigt mir und meiner Fotografin Zhao Jie wie's gemacht wird.

G.C. and the mill

Großmutter Chang und ihre Mühle.

Als erstes werden die Sojabohnen zerstampft. Dafür verwenden die Changs keine moderne Technologie, sondern eine 200 Jahre alte, handbetriebene Steinmühle, die draußen vor dem Haus steht. Als Hommage an ihre uralte Tofuherstellungsmethode trägt Großmutter Chang ein traditionelles Gewand—als wäre die kommunistische Revolution in China nie passiert. Das macht sie für mich noch sympathischer.

Spreading the Curds

Grandma Chang spreads the curds.

Nachdem die Sojabohnen in kleine Stücke zermanscht wurden, werden sie in einem Wok gedämpft bis sie weich und zart sind. Dann werden sie in einem dunklen, feuchten Raum in Wasser gekocht. Bei diesem Schritt trennt sich die Mischung in Tofu und Sojamilch. Die festen Teile werden abgesiebt und in ein großes Keramikgefäß gegeben. Mit einer rustikalen Kelle schöpft Großmutter Chang den Quark vom Keramikgefäß auf einen niedrigen Tisch und verteilt ihn mit den Händen. Dann legt sie einen poröses Tuch über den Tofu, deckt ihn mit Holzbrettern ab und legt Steine darauf, um mit dem Gewicht den feuchten Tofu zusammenzupressen. Ein Abfluss an der Seite des Tischs befördert die übrige Sojamilch in einen Eimer. Nach zwei Stunden ist die Mischung fest und kann in Rechtecke geschnitten werden.

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firming tofu

Durch die Gewichte wird der Tofu fest.

Die rechteckigen Tofustücke werden auf Gitter mit dünnen Bambusstöcken gelegt, die in einem Rahmen aus speziellem Holz aus dem Süden der Yunnan-Provinz befestigt sind. (Welches Holz genau sie verwenden, wollte uns Großmutter Chang nicht verraten—Familiengeheimnis.) In diesen gestapelten Gittern, die durch grüne Mah-Jongg-Steine voneinander abgetrennt sind, bleibt der Tofu sechs Tage lang. Durch die Fermentation wird er zu den kleinen haarigen Haufen mit dem typisch säuerlichen, erdigen Geschmack.

laying bamboo in racks

Der Tofu fermentiert auf den Bambusgittern.

Großmutter Changs Produkt ist im Dorf unter dem liebevoll gemeinten Namen „Buckeltofu" bekannt, weil ihr Ehemann einen gekrümmten Rücken hat. Sie erzählt uns, dass diese Art Tofu während der Quing-Dynastie besonders für die Königsfamilie in Peking hergestellt wurde und ausschließlich den königlichen Gaumen vorbehalten war. Was ihren Tofu so besonderes macht, ist das spezielle Klima, das Wasser und der Boden in Kunming, die allesamt günstige Feng-Shui-Eigenschaften besitzen, sagt Großmutter Chang. Jetzt freuen wir uns besonders darauf, dieses faulige Zeug zu probieren. Auf dem Markt geht der Tofu weg wie warme Semmeln, aber Großmutter Chang hat uns welchen zur Seite gelegt—richtig schön stinkend.

majong tile separating racks

Ein Mah-Jongg-Stein trennt die Holzrahmen voneinander.

Wir gehen in den Lagerraum, wo die Tofugitter sich an den Wänden stapeln. Die Luft muffelt und jeden Tag wird der Gestank intensiver. Großmutter Chang hebt eine der Abdeckungen eines Gitters auf und gibt einige Tofustücke in ein Plastiksäckchen. Sie schenkt es uns mit einem breiten Lächeln und wir machen uns auf den Weg, ein Restaurant zu finden, dass den Tofu für uns zubereitet.

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inspecting the tofu

Großmutter Chang inspiziert den Tofu.

Weiter die Straße runter finden wir ein Sichuan-Lokal, ein schäbiges, vor Öl triefendes Lokal, wo wir uns auf winzigen Stühlen im hinteren Speiseraum setzen. Zu unserer Erleichterung bereitet der Koch unseren sechs Tage alten Tofu durchaus gekonnt zu.

the goods

Frittiert, haarig und lecker.

Er frittiert ihn in Rapsöl und bestreut ihn mit getrockneten Chiliflocken und fein gehackten Frühlingszwiebeln, damit der Eigengeschmack des Tofus immer noch im Mittelpunkt des Gerichts steht. Die Tofuhaare sind zu kleinen knusprigen Chips geworden, die im Mund schmelzen. Ich hätte nie gedacht, dass Schimmel so gut schmecken kann. Das Innere des braunen Blocks is zart und überraschend feucht. Es schmeckt leicht säuerlich, aber nicht so stechend, wie man es sich vorstellen würde, mit dezenten, erdigen Noten.

Bei stinkendem Tofu geht es darum, die Feinheiten zu schätzen. Wir sitzen in diesem heruntergekommenen Restaurant irgendwo in diesem kleinen Dorf in der Nähe von Kunming und Zhao Jie und fühlen uns wie Mitglieder des Königshauses, als wir uns dem verrotteten Genuss des Tofus hingeben.