Guide to: Magenbitter für Anfänger

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Alkohol

Guide to: Magenbitter für Anfänger

Die Weihnachtszeit steht vor der Tür und zur Planung gehört auch die perfekte Getränkeauswahl. Um die alljährliche Völlerei zu überstehen, hilft nur eins: Magenbitter. Ein Crashkurs.
Hilary Pollack
Los Angeles, US

In großen Schritten rücken die Feiertage näher. Völlerei ist wie jedes Jahr genauso ein fixer Bestandteil wie Dankbarkeit, Beisammensein und Besinnung. Aber es gibt ein wunderbares, appetitanregendes Geheimnis, das dich von der Misere, dass du dich fast zu Tode gegessen hättest, erlöst und dich betrunken macht—gleichzeitig.

Die Rede ist von Magenbitter. Amaros, Fernets, Digestifs, Aperitifs. Alle. Bestimmt hast du schon mal Campari (z.B. in einem Negroni) oder einen Shot Fernet mit einem Barkeeper-Freund getrunken, aber die Welt der Magenbitter umfasst noch viel mehr als diese Standardliköre. Früher galten Bitter als Medizin, heute sind sie für die Eigenschaften bekannt, die sie mit ihrem intensiven Geschmack zu Cocktails beitragen können. Aber nur weil sie heutzutage häufiger in Alkoholschränken als in Apotheken gefunden werden, bedeutet das nicht, dass sie deinem Körper nichts Gutes tun können.

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Sother Teague. Alle Fotos von Sydney Kramer.

Kürzlich stattete ich dem Getränkeleiter Sother Teague von der hochgelobten Bitter-Bar Amor Y Amargo in East Village, New York City, einen Besuch ab, um mehr über diese komplexe, kräuterige Form von Alkohol zu lernen, die euch dabei helfen kann, eure weihnachtliche Maßlosigkeit zu überstehen. Mit Ausbildung und Arbeitserfahrung als Koch und seiner unerschrockenen Herangehensweise an Geschmack nahm mich Sother mit auf eine Reise durch seine Lieblingsfernets, -amaros und -wermuts.

Ein weit verbreiteter Irrglaube besagt, dass Aperitifs und Digestifs etwas völlig unterschiedliches sind und nicht die gleiche Wirkung haben. Sother hingegen betont: „Sie sind sowohl Aperitif als auch Digestif, alle. Wir machen diese Unterscheidung einfach nur in unseren Köpfen. Von den helleren, zitruslastigeren Sorten denken wir, dass man sie eher vor dem Essen trinkt. Die dunkleren sind für nach dem Essen. Aber es ist komplett egal. Sie funktionieren auf die gleiche Weise." Sagen wir mal so: Sie fördern die Gesundheit und die Aktivität des Verdauungstraktes.

Aber wie funktionieren sie genau?

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„Du setzt dich hin, trinkst ein Glas Campari und es bringt dein System in Bewegung", erklärt Sother. „Unser Gehirn assoziiert den bitteren Geschmack mit Gift, deshalb denkt es sich, ‚Oh mein Gott, Gift! Komm in die Gänge und befördere das wieder raus!' Wenn man einen leeren Magen hat, macht es hungrig. Das nennt man Aperitif. Nach einem Essen trinkt man vielleicht einen Fernet-Branca."

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Es gibt zwei Kategorien von Magenbitter: Tinkturen—a.k.a. die, von denen man nur wenige Tropfen für ein Getränk verwendet—und trinkbare. Wir nehmen die trinkbaren unter die Lupe, denn um die Feiertage und Familienfeste zu überstehen, reichen ein paar Tropfen Alkohol nicht aus.

Hie sind unsere Empfehlungen. Nachdem ich alle eigenhändig getestet habe, fühlte ich mich toll. Und ein bisschen betrunken.

Prost.

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Amaro Montenegro

„Alle Bitter sind gleich aufgebaut", erklärt Sother. „Sie bestehen aus drei Teilen. Alkohol ist immer die Basis. In der Mitte ist ein Bitterstoff. Meistens eine Wurzel, eine Blume, eine Rinde. Die dritte Komponente, die Kopfnote, ist der Geschmack."

Er empfiehlt Amaro Montenegro für Neulinge in der Welt der Magenbitter. Amaro Montenegro entstand 1885 und zählt mit seinen 23 Prozent zu den schwächeren. Er bietet sich also vor dem Essen, wenn der Magen noch leer ist, an. Als ich zu ihm sage, dass ich ihn sehr, sehr sanft finde, warnt er mich, dass er mir am Ende der Verkostung einen Amaro ohne Süßstoff geben wird, nur „um dir das Gesicht wegzubrennen". Ich kann's kaum erwarten!

Sothers Anmerkungen: „Dieser hier hat vorne kräftige Geschmacksnoten von Orangenblüte und Bitterorange, bittere, blumige Eigenschaften in der Mitte und im Abgang schmecke ich feuchtes Gemüse wie Gurken und Sellerie."

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Meletti 1870

Sother: „Das hier ist Meletti 1870. Der hat ein bisschen einen medizinischeren … was ist es … du weißt schon, Kirsche? Kindermedizin mit Kirschgeschmack."

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Ich: „Sieht euch ein bisschen so aus."

Sother: „Ein bisschen."

Sother empfiehlt einen Eiswürfel, um den Alkohol ein bisschen zu verdünnen, oder einen Spitzer Mineralwasser.

Sothers Anmerkungen: „Blumig, blumig, blumig, blumig."

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St. Agrestis

Das Aussehen macht diesen Bitter zum Außenseiter. Viele andere werden schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten von den gleichen italienischen Familien produziert und deshalb oft in bunte, alt aussehende Flaschen abgefüllt. St. Agrestis ist neu auf dem Markt und kommt aus Bushwick in Brooklyn. Ich notiere mir, dass er „wie ein Weihnachtsbraten riecht". Ein bisschen verbrannt, wie ein Christklotz.

Sothers Anmerkungen: „Boom! Das schmeckt nach Weihnachtszeit. Viel, viel Minze steigt in die Nase, direkt hinterher herzhafte Noten von Rosmarin, Salbei und Oregano … ein bisschen wie eine Zuckerstange. Viele Kiefernadeln."

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Punch Fantasia

„Das ist Punch Fantasia von der Varnelli-Familie. Viele dieser Produkte wurden nach den Familien benannt, die sie herstellen", sagt Sother. „Varnelli-Punch ist interessantes Zeug und für die Jahreszeit auf jeden Fall angemessen." Mich erinnert dieser Bitter an Karamell, dann folgt der extrem bittere Geschmack. Das ist ein Trick, sagt Sother.

„Nimm einen Bissen von einer Zimtstange. Schmeckt nicht süß, oder? Wir assoziieren Aromen mit Süße, die gar nicht unbedingt süß sind."

Sothers Anmerkungen: „Am Anfang steigen diese karamelligen Noten in die Nase sowie Eierlikör. Für den Anfänger geeigenet, da nicht zu aggressiv."

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R. Jelinek Fernet

Dieser Bad Boy kommt aus der Tschechischen Republik. Sother lässt mich ihn im direkten Vergleich mit Fernet-Branca probieren als Beweis, dass die Leute oft vergessen, wie vielseitig Fernet sein kann: „Jelinek Fernet hat ein sehr viel saftigeres, runderes Mundgefühl, obwohl der Alkoholgehalt ähnlich ist. Während Fernet-Branca „viel Menthol und viele botanische, medizinische Kräuter" enthält, schmeckt Jelinek mehr nach winterlichen, weihnachtlichen Gewürzen.

Sothers Anmerkungen: „Lebkuchen, Zimt, Nelke, Weihnachtskekse."

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Amaro dell'Erborista

„Es wird empfohlen, ihn warum zu trinken", sagt Sother über diesen Amaro. Da er ungefiltert ist, sieht er trüb aus, und da er mit Honig gesüßt wurde, riecht er fantastisch. „Sie haben ihren eigenen Bienenstock. Die Bienen bestäuben bittere Blumen, deshalb ist der Honig bitter." Wer hätte gedacht, dass es so was wie bitteren Honig gibt? (Und ja, er ist sehr bitter.)

Sothers Anmerkungen: „Honig und Blume, bitter—viele botanische Eigenschaften am hinteren Ende. Kribbelt ein bisschen auf der Zunge. Leicht rauchig."

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Elisir Novasalus

Sother hatte mich vor diesem Bitter gewarnt.

„Ich werde sterben", prophezeie ich. "

„Der hier wird dir einen komplett neuen Blick aufs Leben geben", entgegnet Sother. „Gäbe es eine Bitterkeits-Skala und wir hätten mit dem süßesten an dem einen Ende der Bar angefangen, stünde der hier auf der anderen Straßenseite."

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Er schmeckt wie Satans hausgemachtes Putzmittel mit Kiefergeschmack. Oder, als würde man in einen Baum beißen. Großartig, wirklich.

Sothers Anmerkungen: „Dieser hier enthält kein Süßungsmittel, er schmeckt nach Kiefer, da er Kieferharz enthält—und Kieferharz ist nicht süß. Herzhafte Winterkräuter."

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Martini Riserva Speciale Rubino

Was empfiehlt Sother zu den Resten des Festmahls? Wermut. Eine gute Wahl: Martini Riserva Speciale Rubino. „Dieser schreit für mich nach Winter. Ich mag ihn sehr gerne."

Wird Wermut normalerweise nicht für Cocktails verwendet?

„Gieß ihn einfach in ein Glas und trink ihn. Am Tag nach danach, wenn der große Trubel vorbei ist, iss die Reste und trink Wermut dazu."

Sothers Anmerkungen: „Fruchtig und herzhaft mit intensiven Noten der Winterkräuter: Oregano, Salbei, Rosmarin, Thymian."

Aber mal ernsthaft, am Ende des Tages (oder der Festtage) ist Sother der Meinung, jeder sollte trinken, was er am liebsten mag: „Ich trinke, wie ich esse, nach Jahreszeit, nach Anlass, nach der Atmosphäre."

Hoffen wir, dass die Jahreszeit, der Anlass und die Atmosphäre fantastisch sind. Prost.