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Wenn die Polizei Probleme mit der Polizei bekommt

Vielleicht wäre es hilfreich, uns vom heroisierenden Bild des unfehlbaren Polizisten zu lösen.
Ein Polizeiauto verursacht bei einer Ausfahrt in der Roßauer Lände, 1090 Wien, einen Unfall. Foto: Christoph Schattleitner | VICE Media

Polizisten dürfen künftig ohne zusätzliche Prüfung privat Waffen mit einem Kaliber bis zu 9 Millimeter tragen. Die entsprechende Änderung im Waffengesetz hat der Nationalrat gerade in der Vorweihnachtszeit beschlossen.

Wer in Österreich eine Waffe tragen will, muss grundsätzlich mehrere Anforderungen erfüllen. Er muss a) eine besondere Gefahr nachweisen, der er ausgesetzt ist und die mit Waffengewalt verhindert werden kann, b) ein psychologisches Gutachten über den Waffeneinsatz bei Stresssituationen anfertigen lassen und c) sachgemäß mit der Waffe umgehen können.

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Polizisten müssen das ab sofort nicht mehr; der Gesetzgeber diskriminiert sie positiv. Beim Waffenmissbrauch werden aber keine Unterschiede gemacht: Ein Polizist, der betrunken rumschießt, wird nicht anders behandelt als ein Bürger.

Die Besserstellung im Bezug der Waffen ist wahrscheinlich teilweise gerechtfertigt. In der zweijährigen Ausbildung lernen die Polizisten den professionellen Umgang mit der Waffe sowie verschiedene Einsatztechniken und belegen ein Modul zum Thema angewandte Psychologie.

Aber der Generalverdacht, wonach alle Polizisten in ihrer Freizeit waffentauglich seien, geht vielleicht doch zu weit. Auch Polizisten haben ein Privatleben, in dem sie sich nicht dienstkonform und einsatzbereit verhalten. Kurz: Es ist ein Unterschied, ob ein Polizist im Dienst mit Kollegen nüchtern bei einem kontrollierten Einsatz eine Waffe trägt—oder ob er es alleine, betrunken und zornig im Ehestreit um 2 Uhr in der Früh tut.

Polizisten sind nicht vor Kriminalität und vor dem Waffenmissbrauch gefeit. Um das zu illustrieren, haben wir uns wahllos durch ein paar Fälle der Disziplinarkommission des Innenministeriums gewühlt. Seit 2013 ist diese Behörde 210 Fehltritten von Polizisten nachgegangen. Mindestens 51 Mal war Alkohol im Spiel. Einige davon hatten mit Schusswaffen zu tun—bei anderen will man sich nicht vorstellen, was gewesen wäre, wenn bei den Beteiligten eine Waffe in Griffweite gewesen wäre.

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  • Ein alkoholisierter Polizist schlägt zu Hause seine Frau, die die Polizei ruft. Schreiend gibt sie an, dass er sie umbringen will. Beim Eintreffen der Kollegen wirkt der Polizist außer Dienst apathisch, blutet aus der Nase und muss zum Schutz der Frau von den Beamten aus dem Haus abgeführt werden. (06.04.2016)
  • Ein Polizist fährt nach dem Dienst in ziviler Kleidung zum Saxophon-Unterricht. Seine Dienstwaffe und 16 Patronen transportiert er in einem Plastiksackerl, das er in der U-Bahn liegen lässt. (19.01.2016)
  • Zwei Polizisten gehen in eine Bar und trinken Bier. Es kommt zur Auseinandersetzung mit einem Gast. Als die Polizei gerufen wird und eintrifft, greift der Polizist außer Dienst seine Kollegen tätlich an: "Was seid ihr für Kasperl, ihr sollts zu mir halten und nicht zu dem Gsindl. Du Kasperl-Polizist kannst mir nichts anhaben, Du bist ein Oarschloch, ich glaub ja nicht, dass ein Kollege so deppert ist. Du Kasperl willst mir Eisen anlegen? Dann sperr mich ein Du Trottel…." (26.01.2015)
  • Eine Beamtin klaut Wimperntusche und andere Drogerieartikel im Wert von 22, 77 Euro. Außerdem soll sie dem Kaufhausdetektiv 500 Euro angeboten haben, wenn er die Sache vergisst. (14.10.2015)
  • Ein Zeuge meldet der Polizei, dass ein volltrunkener Hotelgast ein Auto in Betrieb nehmen will. Als die Beamtinnen ihren Kollegen um einen Ausweis bitten, dreht er durch: "Von mir kriagts gar nix, ihr Deppaten, was glabts, wer ihr seids, de Weiber von da Polizei, i geh jetzt." Nach der Festnahme wiederholt er seine Beschimpfung mehrmals. (22.03.2016)
  • Ein wahrscheinlich betrunkener Polizist verursacht privat einen Unfall. Einen Alko-Test von seinen Kollegen verweigert er, weshalb ihm sein Führerschein entzogen wird. Am nächsten Tag erscheint er unentschuldigt nicht zum Dienst und schreibt eine SMS an einen Kollegen: "Dann sollen die 'Neugscheiten' schauen, dass wer nachrutscht." (30.09.2015)
  • Ein Gruppeninspektor wurde sogar drei Mal für schuldig befunden. Zwei Mal nötigte er Frauen, etwa mit der SMS: „Wennst jetzt net redst mit mir tu i a Strapsfoto auf Facebook!". Und als eine Frau versucht, seine Wohnung zu verlassen, verletzt er sie am Körper und sagt: "In meiner Wohnung bestimme ich, wer wann wohin geht." (16.06.2015)
  • Ein Pensionist ruft wegen Bedrohung die Polizei an—sagt aber nicht, wo er sich befindet. Der Polizist, der den Anruf entgegenommen (und sich offensichtlich darüber geärgert) hatte, rief den Pensionisten vier Tage später zurück: "XX, du Dreckschwein, i kum und stich di ab", so der Pensionist, dem aufgrund der Drohung des anonymen Anrufs der "Arsch gegangen is". Der Anrufer (Polizist) wurde ausgeforscht und freigesprochen, weil er nach eigenen Angaben nur "Na Herr XX, habens ina doch nicht abgstochen?" gesagt haben soll. (06.06.2016)

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Dieser Auszug soll die Polizei nicht lächerlich machen, sondern die sehr menschlichen Züge von Beamten außer Dienst zeigen. Die Fälle zeigen, dass sich das private Handeln nicht mit der beruflichen Ausbildung decken muss. Polizisten, die sich privat betrinken oder einen Ausflug machen, müssen nicht wie im Dienst agieren.

Diese Gesetzesänderung ist aber auch unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten interessant. Es ist ein klares, in Österreich bisher unbekanntes Bekenntnis zur Bewaffnung der Zivilgesellschaft. 23.000 Personen haben mit einem Schlag nun den Rechtsanspruch auf das Tragen von Waffen. Müssen wir künftig auf der Straße damit rechnen, dass Privatpersonen Waffen tragen? Und macht das den öffentlichen Raum sicherer?

Österreich neigt sich damit dem amerikanischen Weg der Verbrechensbekämpfung zu. Die vor allem von den USA gepflegte These, dass mehr Waffen zu mehr Sicherheit führen, ist höchst umstritten. Pro Tag sterben in den USA durch Schusswaffen durchschnittlich 89 Menschen. Insgesamt sind die durch Schusswaffen getöteten Menschen auf amerikanischem Boden (zwischen 1968 und 2015) höher als die Opferzahlen aller US-geführten Kriege; Erster und Zweiter Weltkrieg inklusive.

Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo deutete Donald Trump an, dass mehr Waffen gegen diesen Angriff geholfen hätten.

Die Novelle taugt jedenfalls nicht als Reaktion auf besonders schlimme Taten. Österreich war in der jungen Vergangenheit kein Opfer terroristischer Anschläge und ist aktuell auch keiner akuten und konkreten Terrorgefahr ausgesetzt. Die aktuellen Chronik-Fälle würden eigentlich sogar dagegen sprechen: Zwei Monate vor der Gesetzesänderung hat ein Polizist seine Lebensgefährtin mit der Dienstwaffe erschossen und seinen einjährigen Sohn erwürgt.

Vielleicht wäre es hilfreich, uns vom heroisierenden Bild des unfehlbaren Polizisten zu lösen. Das würde nicht nur unsere Erwartungen an die Beamten normalisieren, sondern auch eine individuelle Prüfung einzelner Personen möglich machen—ohne gleich als Polizistenhasser dazustehen. Oder um es in den Worten des Polizisten und damaligen FPÖ-Sicherheitssprechers Erich Königsberger zu sagen, der in seinem Jaguar mit mehr als zwei Promille auf dem Radweg in die falsche Richtung fuhr: "Polizisten sind auch nur Menschen."

Christoph auf Twitter: @Schattleitner