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Jürgen Klinsmann ist gescheitert, weil er der amerikanischen Psyche zu nah kam

Klinsi versprach den USA Offensivfußball und eine revolutionierte Nachwuchsförderung. Am Montag wurde er gefeuert. Weil er zu amerikanisch dachte, glaubt unser US-Kollege.
Bill Streicher-USA TODAY Sports

Jürgen Klinsmann ist nicht länger Trainer der US-Nationalmannschaft. Unsere US-Kollegen sind darüber eher erleichtert. Hier gibt Redakteur Aaron Gordon seine Einschätzung, warum Soccer unter Klinsmann nicht funktionieren konnte.

Als Jürgen Klinsmann im Sommer 2011 Trainer der US-Nationalmannschaft wurde, versprach er den Amerikanern einen Spielstil, den er als „proactive" beschrieb. Mit dessen Hilfe wollte er das „Programm vorantreiben". Das Gegenteil war der Fall. In den darauffolgenden Jahren hat er sein Team immer wieder dafür kritisiert, dass es gegen Spitzenteams zu zaghaft auftrete, während es gegen Gegner auf Augenhöhe kaum mehr als Konterfußball zeige. Mit anderen Worten hat sich Klinsmanns Team USA nicht wirklich von den Mannschaften unter seinen Vorgängern unterschieden.

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Klinsmann wurde am Montag rausgeschmissen. Nur er, sein Betreuerteam und die Spieler können wissen, was genau schief gegangen ist. Vieles hat mit Klinsmanns fehlendem taktischem Verständnis zu tun—wie auch mit der Tatsache, dass er offenbar nicht in der Lage ist, das Bestmögliche aus seinen Spielern rauszuholen, die bei ihren Vereinen reihenweise bessere Leistungen geboten haben als im Dress mit den Stars and Stripes. Warum? Vielleicht werden wir es eines Tages rausfinden. Sicher ist nur, dass der amerikanische Fußball ziemlich genau da steht, wo er schon vor Klinsmanns Verpflichtung stand.

Es wäre aber gleichzeitig zu kurz gedacht, die sportliche Stagnation nur auf Klinsmann zu schieben. Klinsmann bekam den Job und löste so viel Enthusiasmus unter amerikanischen Soccer Fans aus, gerade weil er versprach, mutigen und offensiven Fußball spielen zu lassen, auch gegen Weltklassemannschaften. Klinsmann hat in Sachen US-Fußball vieles falsch verstanden, doch seine Lesart unserer Kultur brachte es ziemlich genau auf den Punkt:

„Nachdem ich mich lange mit eurer Kultur beschäftigt habe—und dank der Tatsache, dass ich eine amerikanische Frau und amerikanische Kinder habe—, bin ich zu der Einsicht gekommen, dass ihr Amerikaner nicht gerne reagiert auf das, was andere tun. Ich glaube, Amerika wartet ungern darauf, was andere für Entscheidungen treffen. Ich glaube, Amerika entscheidet viel lieber selbst, was als Nächstes passiert."

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Klinsmann war ein Problem, aber nicht das Problem. Indem sich der US-Verband für ihn entschied, ließ man zu, dass kühne Ideen die praktische Wirklichkeit verblenden konnten. Klinsmann war der Typ, dessen große Ankündigungen Balsam für unsere eitle Sportlerseele waren. Wir glaubten ihm nicht nicht, wir wollten ihm glauben, dass Amerika mit den besten Nationen mithalten kann—und dabei auch noch attraktiven Fußball fernab von irgendwelchen Mauertaktiken bietet.

Seine hehren Pläne hatten nur ein Problem, auf das Klinsmann bei seiner ersten Pressekonferenz sogar kurz angespielt hat: Dem US-Fußball fehlt es einfach am nötigen Talent für einen offensiven Spielstil. Das ist eigentlich so offensichtlich, trotzdem wollte es sich keiner eingestehen. Aktuell hat die US-Nationalmannschaft den vielleicht stärksten Kader aller Zeiten, trotzdem sind wir noch Lichtjahre von den zehn besten Teams in der Welt entfernt, selbst wenn wir einen super Tag erwischen.

Der EHEMALIGE US-Nationaltrainer samt Notizbuch. Foto: Bill Streicher/USA TODAY Sports

Es war Klinsmanns Glück, dass wir Amerikaner nicht mehr hören konnten, dass es uns an Talent fehlen würde. Darum waren wir glücklich über einen Trainer, der uns eine rosige Zukunft versprach. Klinsmann, in seiner Doppelrolle als technischer Direktor und Chefcoach, behauptete, dass er Talente finden, weiterentwickeln und schließlich in das Nationalteam integrieren würde. Er versprach, die Nachwuchsförderung im Land zu revolutionieren.

Natürlich kam es anders als versprochen. Nicht nur die Herren haben sich in den letzten Jahren mehr schlecht als recht abgemüht, der Nachwuchs hat sogar einen großen Rückschritt gemacht. So hat sich die U-23 nicht mal für die diesjährigen Olympischen Spiele qualifizieren können. Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt musste man konstatieren, dass Klinsmanns Plan auf keiner Ebene aufgegangen ist. Seine wiederholte Forderung nach mehr Geduld wirkte irgendwann scheinheilig. Wie viel mehr Zeit wollte er eigentlich noch bekommen? In seiner ersten PK sprach er von einer Entwicklung, die bis zu 20 Jahre dauern könnte. Aber selbst wenn man ihn zwei Jahrzehnte hätte gewähren lassen, wäre er zwangsläufig von einem proaktiven Reformer zu einem passiven Beobachter verkommen. Denn in 20 Jahren ändert sich vieles (allein schon demographisch), und das hat nur selten mit einer einzigen Person zu tun.

Klinsmann hat den Part der US-Kultur richtig eingeschätzt, wo es um unsere Ambitionen geht. Er hat aber ein zentrales Element nicht berücksichtigt. Man muss gewisse Zwischenresultate abliefern, um Zeit zu gewinnen für seine Visionen. Klinsmann aber hat seine Versprechen nicht gehalten. Und das hat ihn am Ende eingeholt.

Im Nachhinein ist man bekanntlich immer schlauer. Trotzdem fällt es einem schwer, sich nicht zu fragen, wie man Klinsmann damals überhaupt glauben konnte. Offensiv zu spielen, ist schön und gut. Aber noch besser ist es, zu gewinnen. Es ist nichts Schlimmes dabei, gut zu verteidigen und auf Konterfußball zu setzen. Vor allem dann, wenn man groß gewachsene, athletische Abwehrspieler und schnelle Außenstürmer hat. Die Sache, die Klinsmann vielleicht am besten an unserer Kultur verstanden hat, ist die Tatsache, dass wir immerzu vorgeben etwas zu sein, was wir in Wirklichkeit gar nicht sind.

Am Ende war Klinsmann genau der, für den wir ihn gehalten haben, im Guten wie im Schlechten. Das Problem ist, dass das leider auch auf den US-Fußball zutrifft.