Diese App soll dich zu einem echten Mann machen

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Neue Männlichkeit

Diese App soll dich zu einem echten Mann machen

"Manly" zaubert Fake-Bauchmuskeln, Fake-Tattoos und Fake-Bärte. Aber welche Auswirkungen hat das auf die Körperwahrnehmung von jungen Männern?

Apps, mit denen wir unser äußeres Erscheinungsbild verändern und vermeintlich "aufbessern" können, sind soweit nichts Neues. Falten glätten, Zähne aufhellen, Augen vergrößern, Teint anpassen. In Zeiten wie diesen retuschieren wir unsere Selfies mit einer Selbstverständlichkeit, dass man fast annehmen könnte, es wäre nie anders gewesen. No Filter mein Arsch.

Bis jetzt haben die meisten Body- und Facetuning-Apps allerdings vorrangig eine bestimmte Zielgruppe bedient: Frauen. Software, die sich explizit der virtuellen Verschönerung verschrieben hat, setzt in der Regel auf weibliche Testimonials und wirbt mit der Möglichkeit auf schmalere Taillen, längere Beine oder virtuelles Make-up. Mit "Manly" gibt es eine App, die sich nicht nur als digitales Beauty-Instrument versteht, sondern vielmehr als Männlichkeits-Booster.

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"Manly – Muscle Editor for Men" wurde bereits 2017 veröffentlicht, startete jedoch erst dieses Jahr eine groß angelegte Werbe-Kampagne in den Sozialen Medien. So landeten die Anzeigen irgendwann auch in meinem Instagram-Feed. Worum es geht, ist schnell klar: Eine Bildbearbeitungs-App, mit deren Hilfe man auf Fotos aussehen kann wie ein "richtiger Mann". Das bedeutet in diesem Fall: Definierte Bauchmuskeln, breite Schultern, Tattoos, Vollbart, richtig männlich eben – alles mit nur ein paar Fingertapsern.

Wisst ihr noch, die "FaceApp", die einem zeigte, wie man vielleicht als anderes Geschlecht aussehen könnte, und die letztes Jahr viral ging? Das war lustig. Das hier ist … anders.


Auch bei VICE: Broadly und die Muskelmänner aus LA.


Um zu sehen, was die Gratis-App wirklich kann, suche ich mir ein lizenzfreies Foto von einem halbnackten Typen aus dem Internet und bin mehr als bereit für die geballte Ladung App-Testosteron. Der Mann auf dem Bild wirkt eigentlich schon ziemlich trainiert, aber – wenn man der von "Manly" kommunizierten Werbung glaubt – nicht trainiert genug. Zumindest nicht für einen echten "Manly Man".

Gleich beim Öffnen der App stellt sich heraus, dass die Features, die einem definierte Muskeln auf Bauch, Brust und Oberarme zeichnen, lediglich in der kostenplfichtigen Premium-Version verfügbar sind. Ich bin zwar enttäuscht, aber nicht überrascht. Und weil ich den Teufel tun und dieses Projekt auch noch finanzieren werde, teste ich stattdessen nur die Gratis-Funktionen.

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Nach Hochladen des Fotos öffnet sich zunächst die Kategorie "Körper", die wiederum in Sub-Kategorien wie "Schlanksein", "Bauchmuskeln (Premium)", "Brustmuskeln (Premium)" und "Bizeps (Premium)" eingeteilt wird. Sogar Hautfarbe und Körpergröße können hier optisch verändert werden. Mithilfe von Technologie, die im Grunde genommen nichs anderes macht als das Wischfinger-Werkzeug in Photoshop, pumpe ich also die Statur meiner Testperson auf und schenke ihm ein japanisches Brust-Tattoo für Männer.

In der Kategorie "Gesicht" sind Liftings, Bärte und Haare verfügbar – kein schlechter Deal für meinen glatzköpfigen Komparsen, der von nun an Toupet trägt. (Offenbar auch sehr männlich: kein Haarausfall.) Aus der Accessoire-Abteilung bekommt er noch eine sehr maskuline Mittelfinger-Goldkette, bevor ich standardmäßig die Lichtverhältnisse maximal "anpasse" und zu guter Letzt sogar einen Regenbogenfilter auf das Foto klatsche. Das Ergebnis ist sensationell. Seht selbst.

Wie er wohl heißt? Ich tippe auf Günther. Aber Spaß beiseite: "Manly" und die Message, die damit vermittelt wird, stößt wenig überraschend auch auf einiges an Gegenwind. Mitbegründer der britischen "Be Real"-Kampagne, die sich für Body-Positivity einsetzt, sagten gegenüber dem Independent: "Solche Apps unterstützen ein schädliches Narrativ, wonach ein bestimmtes Aussehen erforderlich ist, um als attraktiver Mann gesehen zu werden. Das ist extrem giftig für junge, beeinflussbare Männer."

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Auch auf Twitter stößt die App auf viel Kritik: "Du findest, du machst noch nicht genug, um deine Tinder-Dates zu enttäuschen? Dann hol dir diese App", kommentiert ein User. Ein anderer argumentiert wiederum, dass "Manly" in einer Ära, in der "Dad Bods" gesellschaftlich akzeptiert werden, schlichtweg nicht mehr zeigemäß sei. 2009, als GTL und Jersey Shore eine Sache waren, hätte das Konzept vielleicht noch mehr Anklang gefunden.

Männliche Körperideale, giftige Standards und damit verbundene Selbstzweifel waren bereits 2015 ein Thema auf VICE. Die Wiener Psychotherapeutin Johanna Zierl bestätigte damals, einen gesellschaftlichen Umschwung mitzuerleben: "Früher war es das Selbstverständnis eines Mannes, einen leichten Bauch haben zu können, während eine schöne Frau schlank sein muss." Inzwischen stünden aber auch Männer unter einem medial verursachten Druck, einem trainierten, möglichst muskulösen Schönheitsideal zu entsprechen – ein großes Problem sei dies vor allem unter Teenagern, so Zierl.

Eine Studie der medizinischen Fachzeitschrift JAMA kam zum Ergebnis, dass sich fast 18 Prozent aller männlichen jungen Erwachsenen übermäßig viele Gedanken über ihr Gewicht und ihre Statur machen. Rund 8 Prozent aller jungen Männer sind darüber hinaus besorgt, nicht genügend Muskeln zu haben – und ziehen dafür auch die Verwendung potentiell gefährlicher Substanzen in Erwägung.

Eine andere Studie von der Universität Sydney hat 2016 ergeben, dass zwar mehr Frauen mit ihren Körpern unzufrieden sind, die psychischen und physischen Schäden bei Männern allerdings weitaus höher sein können. So ist etwa die Wahrscheinlichkeit einer nicht diagnostizierten Essstörung unter Männern viermal höher als bei Frauen.

Unsere Gesellschaft neigt dazu, körperliche Unsicherheiten – oder generell Emotionen – als "Frauensache" abzutun. Das führt im Umkehrschluss aber dazu, dass Männer um ihre Männlichkeit fürchten, sollten sie es auch nur wagen, Selbstzweifel und Unzufriedenheiten mit ihrem Körper anzusprechen. Eine App wie "Manly" ist dabei nicht sonderlich hilfreich.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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