FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Contact Dance – So ist es, sich an fremden Menschen zu reiben

Dieser Tanz gehört definitiv zu den seltsamsten Dingen, die ich je gemacht habe.

Was zur Hölle ist Contact Improvisation Dance? Diese Frage habe ich mir auch gestellt und wollte es bei einem Besuch am Wiener Kama Institut (Tantra! Sexualberatung!) herausfinden. Ich konnte mir nämlich gar nichts darunter vorstellen. Gegen einen Unkostenbeitrag von fünf Euro für die Raummiete, finden dort wöchentlich Kontakt-Improvisationstanz-Sessions statt, die ungefähr drei Stunden lang dauern.

Anzeige

Ich habe eigentlich erwartet, dass ich dort nur Hippies antreffen werde, die mit Blumen im Haar und geschlossenen Augen im Kreis tanzen und Mantras für den Weltfrieden oder die Rettung der Wale singen. Ich sollte eines Besseren belehrt werden. Als ich gegen 19:00 Uhr im Institut angekomme, werde ich von der Mischung an Leuten, die an der Session teilnahmen, überrascht. Von ungefähr 15 Teilnehmern sind acht weiblich und der Rest ist männlich. Sie sind altersmäßig bunt durchgemischt, doch die meisten sind Mitte Zwanzig. Und sehen zumindest so gar nicht Hippie-mäßig aus – alle tragen ganz normale Outfits.

Ich werde von der Leiterin der Session, einer grauhaarigen Frau, die eine seltsame Ruhe ausstrahlt, begrüßt. Wir ziehen uns um und gehen dann in einen Raum mit Holzboden. Bilder von Mandalas und einige Spiegel hängen an den Wänden, Matten und Kissen liegen neben einem Sofa in der Ecke. Es wirkt sehr gemütich. Ich frage die Leiterin, ob die Session heute mit Hintergrundmusik stattfindet – im Internet habe ich gelesen, dass das nicht immer der Fall ist und man in manchen Fällen zu der Musik in seinem Kopf tanzt. OK, ernsthaft? Würde ich das meinen Freunden erzählen, würden sie mir diese Typen mit der weißen Weste und den Tranquilizern auf den Hals jagen. Sie sagte aber, dass es Musik geben wird. Ich bin erleichtert.

Wir werden aufgefordert, uns schon mal aufzuwärmen. Eine halbe Stunde haben wir dafür Zeit. Schon wirft sich die Frau neben mir auf den Boden und beginnt, sich hin und her zu rollen wie eine Katze und scheint instantly in ihrer Welt zu sein. Dann liegt sie eine Weile mit ausgestreckten Armen am Boden und starrt an die Decke. Ein Mann rechts von mir läuft elegant auf allen Vieren am Boden, dreht sich und dehnt seine Beine dazwischen. Wo verdammt bin ich hier gelandet? Ich kann mein schon länger unterdrücktes Lachen nicht länger zurückhalten und überspiele es mit einem Husten. Der Raum füllt sich langsam und die Menschen fangen an, sich in die seltsamsten Positionen zu begeben.

Anzeige

Schon an diesem Punkt weiß ich nicht recht, was ich machen soll. Aber ich beginne einfach auch damit, mich zu dehnen, vorne über zu beugen und mit meinen Händen zu tanzen, indem ich kreisende Bewegungen mit den Fingern nachzeichne. Anscheinend muss einem hier eh nichts peinlich sein, dem Verhalten der Leute um mich herum nach zu urteilen – egal, wie dämlich man dabei aussieht. Es soll sich einfach gut anfühlen. Ich nehme mir vor, egal was heute kommt, aus mir herauszugehen und meine Scham zu überwinden.

Screenschot aus einem Youtubevideo

Bei CI (Contact Improvisation) geht es darum, sich nur auf seinen Körper zu konzentrieren und sich auf andere Menschen einzulassen. Dabei kommt man den Teilnehmern körperlich so nah, wie es sonst im Alltag so gut wie nie vorkommt. Was auch ziemlich weird ist, weil man es einfach nicht gewohnt ist. Man berührt die anderen und versucht zusammen einen Flow aufzubauen. Ein Key-Element ist, dass man seinen Schwerpunkt immer in Richtung seines Gegenübers verlagern muss. Also sich anlehnen, immer mit einem Berührungspunkt tanzen. Jedoch ist fast alles erlaubt: Ob herumspringen, sich gegenseitig in die Arme nehmen, zusammen am Boden rollen, ganz egal. Ob zu zweit oder ein Gruppentanz ist auch wurscht. Alles ist sehr spontan. Der Tanz kann jederzeit unbegründet beendet werden. Man spricht sowieso nicht während CI, es geht rein um die Kommunikation mit dem Körper.

Nach einer halben Stunde Dehnen und "mal im Raum ankommen" machen wir ein gemeinsames WarmUp. Bevor wir damit beginnen, bekommen wir noch eine kurze Einleitung auf Englisch und werden gebeten, uns für die Session eine Frage oder Intention zu überlegen. Also wir sollen uns auf etwas Bestimmtes konzentrieren. Zum Beispiel: Tanze ich mit geschlossenen Augen anders, als mit offenen? Welche Bewegungen mache ich am liebsten? Was hält mich davon ab, eine bestimmte Bewegung zu machen? Üblicherweise kann man sich solche Fragen am Ende jeder Session selbst beantworten. Zumindest ist das ein Ziel.

Anzeige

Das WarmUp beginnt damit, dass wir alle im Raum herumgehen. Jeder in seinem eigenen Tempo. Dann werden wir von der Leiterin aufgefordert, unsere Umgebung wahrzunehmen. "Konzentriert euch auf die Farben im Raum. Auf die Formen, Gerüche, dann auf die Geräusche". Fünfzehn Leute marschieren quer durch den Raum, manche machen dazu artsy Bewegungen mit den Armen (ich bin eine davon), andere schlendern eher steif umher. Um uns besser kennenzulernen, sollen wir jetzt laut unseren Namen sagen. Wenn jemand ihn ausgesprochen hat, sollen alle anderen ihn im Chor nachsprechen. Dann sollen wir weiter durch den Raum gehen, und jeder anwesenden Person abwechselnd zur Begrüßung in die Augen schauen. Das hat sich richtig seltsam angefühlt und war etwas unangenehm, weil ungewohnt. Irgendwie fühl ich mich auf eine komische Art durchschaut, als mich eine Frau mit aufgerissenen Augen gefühlte 20 Sekunden lang anstarrt und langsam auf mich zukommt.

Dann sagt uns die Leiterin, wir sollen stehen bleiben und uns eine andere Person aussuchen, mit der wir uns aufwärmen. Ich nehme einen jungen Typen neben mir, der zirka in meinem Alter ist. Wir stellen uns Rücken an Rücken. Die Leiterin sagt uns, wir sollen darauf achten, wie sich der Rücken des anderen anfühlt und uns etwas hin und her bewegen, bis wir einen gemeinsamen Rhythmus gefunden haben und uns immer anlehnen. Sie sagt, wir müssen uns gegeneinander lehnen und und einen Balancepunkt finden, sodass wir nicht umfallen können.

Anzeige

Es fühlt sich komisch an, einem Fremden dahingehend zu vertrauen, hätte mein gegenüber eine zu ruckartige Bewegung gemacht, hätte ich mir womöglich den Rücken brechen können. Das ganze Spiel widerholte sich zweimal, mit immer unterschiedlichen Personen. In der dritten Runde sollten wir uns zu dritt gegenseitig an unsere Rücken lehnen, versuchen uns hinzusetzen und wieder aufzustehen, ohne dabei den Körperkontakt an einem Verlagerungsschwerpunkt zu verlieren.

Nach dem Aufwärmen geht's ans Eingemachte. Wir sollen einen Partner erwählen, mit dem wir zu tanzen beginnen. Ich entscheide mich für den jungen Typen von der ersten WarmUp-Runde. Wir wissen beide nicht genau, was wir jetzt eigentlich machen sollen. Es scheint, als würde er das Ganze auch zum ersten Mal machen. Wir beginnen uns aneinander zu reiben und zu drehen setzen uns auf den Boden und beobachten dabei die anderen. Einige von den Anwesenden scheinen schon Profis im CI zu sein, denn das, was sie machen sieht wirklich schön und geschmeidig fließend aus.

Wir versuchen uns ein Vorbild daran zu nehmen und versuchen uns so gut wie möglich durch den Raum zu manövrieren. Dann setzen wir uns mit geschmeidigen Bewegungen hin und ich rolle mich über den ganzen Körper meines Partners. Danach hocke ich mich auf alle Viere und er legt seinen Bauch schräg über meinen Rücken, sodass seine Füße und Hände in der Luft baumeln. Schon nach einer halben Stunde beginne ich zu schwitzen, das alles ist eindeutig viel anstrengender, als erwartet. Man muss die ganze Zeit die Körperspannung bewahren, kreativ sein UND auf die Bewegungen des Partners achten. Plötzlich ertönt ein lautes Furzgeräusch aus der Mitte des Raumes und einige beginnen zu lachen. Aber hey, es ist auch wirklich schwer, seine Darmluft drinnen zu behalten, wenn man am Boden liegt und ein Fremder sein ganzes Gewicht plötzlich auf deinen Bauch stützt. Ehrlichgesagt musste ich mich auch echt zusammenreißen und bemühen, keine derartigen Affekthandlungen zu begehen.

Anzeige

Nach einer Stunde Tanz war ich schon ganz schön aus der Puste und geschlaucht, habe dann aber doch noch einmal Partner gewechselt. Einen älteren Mann, geschätzte 50 Jahre alt. Der war aber eindeutig richtiger Profi und hat sehr schnell die Positionen gewechselt. Ich bin kaum mitgekommen. Später erzählt er mir, er macht das Ganze schon über fünf Jahre. Er stellt sich deshalb schnell als sehr stabile Unterlage und solider Tanzpartner heraus. Für ihn – so erzählt er mir – ist es noch immer nicht allzu leicht, einfach so auf Fremde zuzugehen, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran und öffnet sich mehr. Neben uns beobachte ich zwei Teilnehmer, die aufgehört hatten zu tanzen, und mit geschlossenen Augen in Embryonalstellung kuschelten und sich gegenseitig die Köpfe hielten, sich dazu aber nicht bewegten. An diesem Punkt des Abends wundert mich das aber auch nicht mehr.

Fazit: Diese Contact-Improvisation Tanz-Session gehört wahrscheinlich zu den seltsamsten Dingen, die ich je gmacht habe. Wenn man aus sich rausgehen kann, macht es total Spaß. Man hat das Gefühl, man kann alles machen, ohne dafür irgendwie verurteilt zu werden. Es hat sich ein bisschen angefühlt, als wären wir alle Kinder die raufen, nur ohne Gewalt. Es war wie ein Spielplatz aus Körpern.

Als ich gegangen bin habe ich mich auch total komisch und high gefühlt, aber auf ne sehr positive Art und Weise. Contact-Improvisation kann ich jedem empfehlen, der nicht allzu große Hemmungen hat, Fremden sehr nahe zu kommen. Sehr, sehr nahe. Ich habe mich aber an keinem Zeitpunkt gefühlt, als hätten die Berührungen einen sexuell gefärbten Hintergrund. Obwohl das alles mal sehr interessant war und eine coole Abwechslung, bin ich nach zwei Stunden – also eine Stunde vor dem offiziellen Ende – abgehauen. So viel menschliche Nähe und Offenheit war mir dann ab einem gewissen Zeitpunkt doch ein wenig zu viel.

** Folgt Noisey Austria bei Facebook, Instagram und Twitter. Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify.