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Nicht schuldig: Urteil im größten deutschen Transplantationsskandal ist gefallen

Warum der Göttinger Transplantationschirurg trotz Manipulation von Patientendaten und fetten Bonuszahlungen straffrei aus dem Prozess geht.
Auf dem Bild ist nicht Aiman O. zu sehen. Foto: Imago

Der Göttinger Transplantationschirurg Aiman O. ist die schillernde Hauptfigur des deutschen Organspende-Skandals. Gestern morgen hat das Landgericht Göttingen den 47-jährigen von dem Vorwurf des versuchten Totschlags und der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen.

Obwohl der umstrittene Arzt der Manipulation medizinischer Daten—aufgrund derer seine Patienten bei der Vergabe von Spendeorganen gegenüber anderen Bedürftigen bevorteilt wurden—für schuldig befunden wurde, kommt er straffrei davon.

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Die Anklagepunkte

Die Staatsanwaltschaft hatte Aiman O. vorgeworfen, in seiner Zeit als Leiter der Transplantationsmedizin an der Göttinger Uniklinik zwischen 2008 und 2011 in elf Fällen gegenüber der internationalen Organvergabestelle Eurotransplant bewusst Falschangaben zum Gesundheitszustand seiner Patienten gemacht zu haben, um sie auf der Warteliste für Organspenden nach oben rutschen zu lassen.

Damit hätte der Arzt billigend in Kauf genommen, dass andere Menschen zu Gunsten einer schnelleren Versorgung seiner eigenen Patienten später operiert wurden. Die Staatsanwaltschaft hatte das als versuchten Totschlag eingestuft. Das Gericht sah es allerdings nicht als erwiesen an, dass eine spätere Vergabe von Spendeorganen automatisch zu einer Gefährdung des Lebens der anderen Patienten geführt, geschweige denn, sie das Leben gekostet habe.

„Unter Fachärzten gibt es aber durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, wann der richtige Zeitpunkt für eine Lebertransplantation ist."

Tatsächlich weiß man von drei Patienten, die von der Beeinflussung der Warteliste betroffen waren und nach verspäteten Transplantationen starben. Dass ihr Tod zwangsläufig auf den späteren Operationstermin zurückzuführen ist, lässt sich allerdings nicht beweisen. Das liegt auch daran, dass ein gespendetes Organ grundsätzlich nicht zwangsläufig auch ein Lebensretter sein muss.

Dass Aiman O. nicht nur vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen wird, sondern vollkommen straffrei davon kommt, obwohl ihm von drei unabhängigen Kommissionen die Manipulation der Patientendaten bewiesen wurde, liegt an einer Gesetzeslücke, die erst nach Bekanntwerden der Göttinger Fälle (und ähnlichen Verstößen in Transplantationszentren in Leipzig, München und Münster) geschlossen wurde.

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Denn Verstöße gegen die Richtlinien zur Transplantation der Bundesärztekammer werden erst seit einer Novellierung des deutschen Transplantationsgesetzes im Juli 2013 strafrechtlich verfolgt. Zum Zeitpunkt der Aktivitäten des Aiman O. wurden sie offiziell lediglich als Ordnungswidrigkeit betrachtet anstatt—wie heute—mit Freiheits- und Geldstrafen geahndet zu werden.

Ein weiterer Anklagepunkt, nämlich der der Körperverletzung mit Todesfolge, war bereits 2013 fallen gelassen worden, was Aiman O. aber keineswegs in besserem Licht dastehen lässt. Der Chirurg hatte nachweislich drei Patienten eine neue Leber implantiert, ohne dass akute Notwendigkeit dafür vorgelegen habe. Alle drei Patienten sind mittlerweile verstorben.

Trotzdem sei die Organverpflanzung aber in allen drei Fällen eine vertretbare Entscheidung gewesen, hatte der Vorsitzende Richter Ralf Günther damals geurteilt: „Unter Fachärzten gibt es aber durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, wann der richtige Zeitpunkt für eine Lebertransplantation ist."

1500 Euro Bonus für jede weitere Transplantation

Nach elf Monaten Untersuchungshaft kam Aiman O. wieder auf freien Fuß. Foto: Imago

Rechtlich geht Aiman O., der sich seit Dezember 2013 nach elf Monaten Untersuchungshaft gegen eine Kaution von 500.000 Euro auf freiem Fuß befindet, nun also unbescholten aus dem größten deutschen Organspende-Prozess. Moralisch ist er von der Öffentlichkeit aber bereits seit Bekanntwerden der Fälle aufs Schwerste verurteilt worden. Zu berechnend war er bei der Besserstellung seiner eigenen Patienten vorgegangen, zu viel Geld floss bei den Transplantationen in seine eigene Tasche, als dass man dem Arzt keinen skrupellosen Missbrauch des Systems für eigene Zwecke auf Kosten anderer vorwerfen könne.

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Aiman O. bekam einen Vertrag, der ihm ab der 21. bis zur 50. Transplantation eine Bonus-Zahlung von jeweils 1.500 EUR zusicherte.

In fragwürdigem Licht steht dabei auch die Leitung der Universitätsmedizin Göttingen da. Diese hatte O. 2008 von der Uniklinik Regensburg abgeworben, um die Zahl an Lebertransplantationen zu steigern. Denn ein Transplantationszentrum wird erst bei einer Mindestanzahl von 20 Operationen pro Jahr zugelassen.

Entsprechend bekam Aiman O. einen Vertrag, der ihm ab der 21. bis zur 50. Transplantation eine Bonus-Zahlung von jeweils 1.500 EUR zusicherte. Ein nettes Zubrot von 45.000 EUR pro Jahr, das ihm von der Klinik regelrecht aufgezwungen worden sei, wie O. später vor Gericht behauptete.

Doch allein die Tatsache, dass er 2009 und 2010 jeweils über 50 Transplantationen, dabei jedoch nie deutlich mehr als 50 durchführte, lassen erhebliche Zweifel an dieser Darstellung aufkommen. Sie erhärten sich, wenn man sich noch einmal vor Augen hält, wie O. die medizinischen Daten seiner Patienten manipulierte. Bei Alkoholikern (die normalerweise erst sechs Monate nachdem sie trocken sind operiert werden dürfen) verschwieg O. die Sucht. Andere Patienten deklarierte er fälschlicherweise als dialysepflichtig.

Spendebereitschaft der Deutschen deutlich gesunken

Mit dem von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) herausgegebenem Organspendeausweis können Bürger ihre Bereitschaft zur Organspende erklären

Der Freispruch von Aiman O. wird nun wohl auch einen Trend weiter verstärken, der im Zuge des Organspende-Skandals in Deutschland eingesetzt hat: Immer weniger Menschen sind bereit, ihre Organe zu spenden–trotz der großangelegten Organspende-Kampagne der Bundesregierung, die dafür wirbt, seinen Organspendeausweis stets bei sich zu führen. Bereits 2014 hatte die Zahl der bundesweiten Organspenden mit 864 so niedrig wie nie seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahr 1997 gelegen.

Auch wenn der deutliche Abwärtstrend in den Jahren nach Bekanntwerden des Organspende-Skandals erstmal gestoppt zu sein scheint, ist die Situation für die derzeit 10.585 Patienten, die in Deutschland auf ein Organ warten, katastrophal.

„Die Zahl der Organspender hat sich im vergangenen Jahr auf niedrigem Niveau stabilisiert. Trotz dieser Stabilisierung ist dies für die Patienten auf der Warteliste und ihre Angehörigen nach wie vor sehr bedrückend, da die Wartezeit aufgrund der niedrigen Zahl an Spenderorganen länger werden und die Chance auf eine Transplantation abnehmen kann," so Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation.