Billig-Glühwein im Test
Fotos: Bernardo Martins
Drogen

Wir haben Billig-Glühwein mit einer Sommelière getestet

"Sehr ungesunder Urin", beschreibt eine Teilnehmerin das dünne Rot des Glühweins beim Eingießen in den Topf.

Wäre Glühwein ein Song, hieße er "Last Christmas" von Wham!. Es gibt kein Entrinnen. Er ist überall. Weil kein Weg an diesem Schmieröl im Getriebe der Vor- und Nachweihnachtszeit vorbeiführt, haben wir beschlossen, ihm einen ganzen Abend zu widmen. In einem großen VICE-Billig-Glühwein-Tasting. Und weil man an der Basis immer noch am meisten über die Dinge erfährt, lautet hier die einzig mögliche Antwort auf die angsterfüllte Frage eines Kollegen "Wie billig soll‘s denn werden?" natürlich: So billig, wie es geht!

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Erhitzt und getestet werden sechs Glühweine von Discountern und Supermärkten, zum Preis von 0,99 Euro bis 2,19 Euro pro Liter:

  • Weineck's Glühwein von Penny
  • Holzmichel-Glühwein von Rewe
  • Christkindl-Glühwein von Lidl
  • Winterzauber-Glühwein von Netto
  • Würziger aromatischer Glühwein von Aldi Nord
  • Gerstacker Christkindl-Glühwein von Edeka.

Geprüft wird in den Kategorien

  • Alkoholgeschmack
  • Säuregehalt
  • Würze
  • Süße
  • Abgang, also Nachgeschmack und – für den Gesamteindruck –
  • Trinkbarkeit

In diesen Kategorien vergeben die Teilnehmenden, bestehend aus sieben Kolleginnen und Kollegen, Punkte von 1 (geringe Intensität bzw. kurzer Abgang) bis 10 (hohe Intensität, langer Abgang).

Billig-Glühwein im VICE-Test

Sechs Billig-Glühweine haben wir getestet. Der teuerste kostete 2,19 Euro

Normalerweise würde man zur Weinverkostung Brot, Käse oder Oliven reichen. Das sagt unsere Sommelière Katy Gaffney, die im Hauptberuf Gäste der Berliner Weinbar jaja berät. Für uns wird sie das Glühwein-Tasting professionell betreuen. Weil wir den Versuchsaufbau so realistisch wie möglich halten wollen, gibt es statt Brot und Käse klebriges Weihnachtsgebäck und als Zugeständnis an die Geschmacksnerven: Salzstangen.

Aus den Boxen jault Mariah Carey "All I Want for Christmas Is You", und man ahnt bereits, dass sie damit nicht die Drinks gemeint hat, die wir gleich verkosten werden.

Gerstacker Christkindl-Glühwein (Edeka) 8,7 Prozent, 1,29 Euro für 1 Liter

Als der Inhalt der ersten Flasche in den Topf gluckert, erklärt Katy Gaffney, dass wir bei einer normalen Weinverkostung auch die Fruchtnote und Tannine, also pflanzliche Gerbstoffe, bewerten würden. Aber weil Glühweine aus dem Supermarkt so stark gewürzt sind, sei es schwierig, diese Kategorien zu beurteilen. "Viele dieser Getränke werden zu höchstens 20 bis 30 Prozent aus Wein bestehen", sagt sie. In Wein dürfe man ohnehin jede Menge Zeug kippen und ihn dennoch als Wein verkaufen. Farbstoffe, Gelatine, verschiedenste Säurungsmittel und weitere Zusatzstoffe. "Es gibt sehr wenige Regeln", erklärt Gaffney. Na dann: Prost!

Verkostung

Am Anfang freuten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen noch auf die Probe, am Ende hätten sie doch lieber gearbeitet

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Nach dem ersten Schluck sagt die Sommelière: "Es scheint, als sei hierfür der schlechteste Wein aller europäischen Erzeuger gekauft und zusammengeschüttet worden." Das könne man ja schon fast als Nachhaltigkeit bezeichnen, antwortet darauf unser Fotograf, während ein anderer Teilnehmer seinen ersten Schluck mit einem lauten "Bah!" kommentiert. Auf einem Bewertungsbogen notiert ein anderer: "Zu viel Zimt". Besonders in der Kategorie Alkoholgeschmack vergeben die meisten Teilnehmenden zwischen 7 und 8 Punkten. Das Zeug beißt einem ins Gesicht, schon bevor man es trinkt. Auch wenn eine Kollegin das Tasting mit dem gnädigen Urteil "Kann man mal machen" eröffnet, lehrt niemand seine Tasse ganz. Das meiste landet im Spucktrog.

"Würde jemand von euch sagen, dass er diesen Glühwein hasst?", fragt unser Fotograf.

"Ja", antwortet die Sommelière.

5,4 von 10 Punkten


Auch bei VICE: Weinflasche öffnen mit einem Schuh


Würziger, aromatischer Glühwein (Aldi Nord) 9,5 Prozent, 0,99 Euro für 1 Liter

Es fällt schwer, die Tasse zum Mund zu führen, ohne zu husten. Alkoholgeschmack? Deutlich. Ein Teilnehmer glaubt, eine Amaretto-Note zu schmecken, eine andere notiert: "Glasreiniger mit Honig, nur für Senioren geeignet." Eigentlich sei nichts dagegen einzuwenden, einen Schuss Rum oder Amaretto in den Glühwein zu geben, sagt die Sommelière, aber bei dem hohen Alkoholgehalt des Aldi-Glühweins könne man davon ausgehen, dass bereits purer Alkohol zugegeben wurde. Normalerweise könne man die alkoholische Gärung antreiben, indem man mehr Zucker zugibt, dieser Glühwein schmecke jedoch nicht danach. "Furchtbar, blass und dünn", notiert sie.

5 von 10 Punkten

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Weineck's Glühwein (Penny) 9,9 Prozent, 1,49 Euro für 1,5 Liter

Glühwein aus dem Tetrapack: ein Produkt, geboren aus der Innovationskraft der Deutschen. Zumindest unsere Sommelière sagt, dass sie so etwas erst in Deutschland kennengelernt habe. Überhaupt, fertig gemixten Glühwein kenne man in ihrer Heimat Irland nicht. Aber man könne ja auch einfach einen passablen Rotwein kaufen und würzen. Mit Orangenscheiben, Gewürznelken, Kardamom, Zimt, schwarzem Pfeffer oder Ingwer.

Das Team nimmt den Test ernst.

Das Team nimmt den Test sehr ernst

Inzwischen ist der Raum erfüllt von Glühweindampf und Körperwärme. Dabei haben wir vorschriftsgemäß darauf geachtet, den Glühwein nicht zum Kochen zu bringen. Seine Trinktemperatur sollte etwa 45 Grad betragen – so steht es auf dem Tetrapack von Penny. Offenbar ideal, damit sich ein Geruch breitmacht, der die Teilnehmenden an Blaubeeren erinnert. Als eine andere Teilnehmerin sagt, sie rieche da eher "Potpourri", stimmen alle enthusiastisch zu: Ja, dieser Glühwein riecht wie die Trockenblumen, die in Toiletten den Klogeruch überdecken sollen! Nach dem ersten Schluck läuft eine Welle der Erleichterung durch den Raum: Ja, der Wein riecht vielleicht nach dem Badezimmer einer alten Frau, schmeckt er aber zum Glück nicht danach. Künstlich, aber unauffällig.

5,1 von 10 Punkten

Christkindl-Glühwein (Lidl) 8,7 Prozent, 0,99 Euro für 1 Liter

Der nächste Tropfen wurde wie schon die erste Flasche dieses Abends in Nürnberg abgefüllt, Heimat der weltgrößten Glühwein-Druckbetankungsanlage: dem Christkindlmarkt. Nicht nur das Design, eine traditionelle Darstellung eines Weihnachtsmarktes, schindet Eindruck. "Die Farbe ist schon mal vernünftig", sagt unsere Sommelière, der Wein sei weniger dünn als die Konkurrenz. "Das riecht gar nicht mal so schlecht", sagt Gaffney und dann, als sie probiert hat: "Diesen Glühwein hasse ich zumindest nicht." Zwar seien vor allem Aromen von Orangen zu schmecken, aber die Süße stehe hier zumindest in einem ausgewogenen Verhältnis zur Säure. "So sollte ein Weihnachtsmarktglühwein schmecken."

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Und dann geschieht ein Vorweihnachtswunder. Eine Kollegin trinkt ihre Tasse aus. Dann, entschlossen, ohne erkennbare Ironie im Blick, hält sie die Tasse in Richtung Topf und sagt: "Ich hätte gerne noch einen." Am Ende lassen sich vier Teilnehmende nachschenken. "Lasst uns einfach hier aufhören und dieses Zeug trinken, bis wir betrunken sind", schlägt eine Kollegin vor. Aber nein, wir sind noch nicht fertig. Und wenn das wie eine Drohung klingt, dann aus gutem Grund.

8,8 von 10 Punkten

Winterzauber-Glühwein (Netto) 8,7 Prozent, 1,49 Euro für 1,5 Liter

"Sehr ungesunder Urin", beschreibt eine Teilnehmerin das dünne Rot des Glühweins beim Eingießen in den Topf. Beängstigend. Verstörend ist auch das Design des Tetrapacks. Das Comic-Rentier auf babyblauem Hintergrund sieht eher nach Kinderpunsch aus. "Oder Milch", sagt der Fotograf, "Weihnachtsmilch." Der Gedanke hinter dem kinderfreundlichen Design erschließt sich nicht, aber es soll hier ja auch um den Geschmack gehen. Leider.

Die Sommeliére muss spucken

Standesgemäßes Verkosten heißt: Manchmal muss man spucken. Es ist nur Glühwein.

"Nun, das …", beginnt die Sommelière und stockt. Sie ringt um Worte. Offenbar ist es schwierig, diesen einzigartigen Geschmack zu beschreiben. "Ich weiß nicht, ob ich das durchziehen kann, man fühlt förmlich den Schaden, den man sich mit diesem Getränk zufügt", sagt Katy Gaffney. Alte-Damen-Aromen. Diesmal Veilchen. Eine Teilnehmerin fühlt sich an den Geruch einer "Oma-Handtasche" erinnert. Dann wird es sehr still im Raum. Man hört nur noch das Schüttgeräusch von fast vollen Tassen, die in den Spucknapf geleert werden.

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2,1 von 10 Punkten

Holzmichel-Glühwein (Rewe) 9,5 Prozent, 2,19 Euro für ein 1 Liter

Rewe, oder zumindest die Filiale, in der wir waren, führt eigentlich keinen wirklichen Billig-Glühwein. Mit 2,19 pro Liter müsste der "Holzmichel Glühwein" deswegen eigentlich außer Konkurrenz laufen. Der Name, kombiniert mit der klassischen Aufmachung, kann eigentlich nur zwei Dinge bedeuten: Entweder wurde dieses Produkt von einem Neuköllner Start-up konzipiert oder von einem Traditionsunternehmen aus dem Lausitzer Bergland. Da Letzteres stimmt, dürfte es sich hier um einen 1a-Tropfen handeln, das ist zumindest die Erwartungshaltung aller Anwesenden.

Holzmichel-Glühwein im Test

Es entspinnt sich ein diverse DDR-Produkte romantisierendes Gespräch, das jedoch beim ersten Schluck auf die harte Realität des Kapitalismus kracht. "Als würde man Zitronensäure durch die Nase ziehen", lautet das ernüchternde Urteil einer Teilnehmerin. Ein anderer hat den Eindruck, er würde den Boden ablecken. So klingt Enttäuschung. Zumindest die Sommelère findet versöhnliche Worte. Das sei kein guter Wein, aber zumindest habe er im Gegensatz zur Konkurrenz überhaupt nach etwas geschmeckt.

4,8 von 10 Punkten

Das Ergebnis

Es war ausgesprochen schwierig, überhaupt Kolleginnen und Kollegen für diesen Test zu motivieren. Die Aussicht auf Billig-Glühwein, also in Flaschen und Tetrapacks gefüllte Kopfschmerzen, löste keine Begeisterungsstürme aus. Umso überraschender war der Testsieger. Gewonnen hat keineswegs der teuerste Glühwein, sondern mit großem Abstand Christkindl-Glühwein von Lidl (8,8 Punkte), einer der vier billigsten. Der teuerste Bewerber, Holzmichel-Glühwein von Rewe, landete auf dem vorletzten Platz (4,8). Das Schlusslicht: Winterzauber-Glühwein von Netto (2,1).

Das Ranking:

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Platz 1: Christkindl-Glühwein (Lidl)

Platz 2: Christkindl-Glühwein (Edeka)

Platz 3: Glühwein (Penny)

Platz 4: Würziger, aromatischer Glühwein (Aldi Nord)

Platz 5: Holzmichel-Glühwein (Rewe)

Platz 6: Winterzauber-Glühwein (Netto)

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