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The Sick Day Issue

Der Mord an Taing Try: Journalisten sterben im Kampf um Kambodschas Wälder

Der Boom im illegalen Holzhandel kostet in Kambodscha nicht nur zahllose Bäume das Leben, sondern auch Menschen, die die Wälder verteidigen wollen.

Kautschukbäume in der Nähe von Snuol, Kambodscha. Fotos von Claire Eggers

Aus der The Sick Day Issue

Taing Try schlief schon fast, als seine Frau sich einen Ruck gab und ihn bat, doch nicht zu gehen. Die beiden lagen auf einer Matratze in ihrem Ein-Zimmer-Pfahlhaus im Schwemmland von Ostkambodscha. Sie hörten das Atmen ihrer kleinen Tochter von der anderen Seite des Zimmers und das der Wasserbüffel unter dem Haus. In der Ferne donnerten Holztransporter den National Highway 7 entlang und brachten ihre illegale Last nach Vietnam.

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Taing, 49, war Journalist und schrieb über die Abholzung der kambodschanischen Wälder. Der Holz-Schwarzmarkt ist dem Waffen- oder Drogenmarkt nicht unähnlich, und seine Frau Chhim Mom fürchtete zunehmend um sein Leben, wenn er nachts auszog. Er durchstreifte die Wälder nur mit Kamera und Handy auf der Suche nach illegalen Holzlagern und den dazugehörigen Holzfällern. In jener Nacht Mitte Oktober 2014 traute sie sich endlich, etwas zu sagen.

"Ich sagte: 'Liebling, ich mache mir große Sorgen wegen deiner Arbeit'", erinnert sie sich. "‚Du hast keine Pistole. Du kannst dich nicht verteidigen. Die Geschäftsmänner, über die du schreibst, sind reich und bewaffnet. Was, wenn sie wütend werden?'"

Taing sagte, er mache sich keine Sorgen, und auch sie solle sich keine machen. Journalist sei ein ganz normaler Beruf. Er würde sich schon nicht so nah an jemanden heranwagen. Chhim redete auf ihn ein. "Bleib zu Hause. Arbeite mit mir im Reisfeld. Hilf mir, unsere Tochter großzuziehen." Schließlich sah sie, dass Taing schlief. Am nächsten Tag erwachte Chhim mit einem Gefühl der Erleichterung. Sie war von innerem Frieden erfüllt, als sie in die Felder ging.

Doch Taing hatte morgens das Haus verlassen und war ostwärts gefahren nach Kratie, wo die verbleibenden östlichen Wälder Kambodschas beginnen. Die Gegend schwimmt im Reichtum aus illegalem Handel mit Land, Edelsteinen und Holz, betrieben von korrupten Polizisten und Soldaten, die schwer bewaffnete Kartelle bilden. Irgend etwas passierte dort draußen im dunklen Wald mit Taing. Zwei Tage später fanden Bauern ihn mit dem Gesicht nach unten im Matsch einer Holzfällerstraße. Man hatte ihm in den Hinterkopf geschossen.

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Taings Tod war tragisch, doch er ist kein Einzelfall. In den entlegenen Wäldern Kambodschas und anderer Länder boomt der Schwarzhandel mit Holz, Land und Mineralien. Ein Umweltjournalist ist inzwischen eine Art Krisenreporter. Seit 2005 haben weltweit 40 Journalisten und Journalistinnen bei der Berichterstattung über diese Themen ihr Leben gelassen; das sind mehr als alle getöteten Kriegsreporter des Afghanistan-Krieges. In Kambodscha sind die Opfer hauptsächlich Einheimische wie Taing, die über illegalen Bergbau und Holzeinschlag berichten. Meist sind sie unabhängig und nicht ausgebildet. Den etablierten Medien sind sie ein Dorn im Auge. Wenn sie in ihrem Kampf gegen Korruption und Gewalt auch nur einen Schritt zu weit gehen, kann es schnell passieren, dass sie mit ihrem Leben bezahlen müssen. Und doch gehen sie in die Wälder.

Taing Trys Witwe, Chhim Mom, hält den Presseausweis ihres Mannes. Taing wurde am 12. Oktober 2014 ermordet, während er über illegale Holzeinschlagoperationen in der kambodschanischen Provinz Kratie berichtete.

Zwei Wochen nach Taings Tod fahre ich mit meiner Dolmetscherin in die Wälder von Kratie. Sinary Sany ist eine winzige Frau Anfang 30, die ein erhabenes und sehr eigenes Englisch spricht. Übersetzt wird daher doppelt: Khmer nach Sinary-Englisch, dann in meinem Kopf in mein eigenes Englisch. Manchmal gewinnen die Interviews dadurch etwas Surreales, als ob ich versuche, vom Meeresboden zu berichten. Sie ist Land-Aktivistin und hat für die englischsprachige Zeitung The Cambodia Daily geschrieben, doch ihre Mutter machte sich solche Sorgen, dass sie sich in die Geschäftsabteilung versetzen ließ. "Wurdest du bedroht?", frage ich, als sie das erzählt. "Nein." Sie zuckt die Schultern. "Sie haben mich nur einmal geschlagen. Es war nichts."

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Zwischen Taings Zuhause Tbong Khmum und dem Wald, in dem er starb, liegt entlang des National Highway 7 eine Region im tief greifenden Wandel. Es ist Oktober, doch die Hitze ist erdrückend. Die Sonne brennt schonungslos, während die Bauern Wasser aus den Bewässerungskanälen auf ihre Reisfelder bringen oder die Ernte auf Fahrrädern transportieren. Ohne die Wasserbüffel und spitzen Hüte würde ich mich fühlen wie in Faulkners Mississippi: vereinzelte Siedlungen schlichter Holzhäuser und Kinder, die entlang eines weiten, schlickigen Flusses mageres Vieh hüten. Und immer mehr Plantagen in fremder Hand: Als wir uns dem Bezirk Snuol nähern, sehen wir entlang des Highways Kautschuk- und Maniokfelder, die bis zum Horizont reichen.

Lest hier, wie gefährlich illegale Holzfäller sein können

Vor 40 Jahren hätte sich Reisenden ein ganz anderer Anblick geboten. Noch bis in die 1970er waren drei Viertel Kambodschas bedeckt mit dichten Primärwäldern, die sich über den Großteil Südostasiens erstreckten, von den Bergen Papua-Neuguineas bis nach Burma. Das Land war beschattet von Akazien, Mahagonibäume und Dalbergien.

Aus Dalbergien wird Palisander gewonnen, eines der wertvollen tropischen Edelhölzer, die in Kambodscha "Luxusholz" genannt werden. Es kommt vor allem in der Herstellung hochwertiger Möbel und Musikinstrumente zum Einsatz. Weil Länder wie Vietnam und China zu regionalen bzw. globalen Mächten aufgestiegen sind, ist die Nachfrage nach Hartholz und Plantagenflächen in der Region extrem angestiegen. Und so verschwinden Kambodschas Wälder unter der Axt und der Kettensäge, auf dem Motorrad und dem Laster, am helllichten Tag und bei Nacht und Nebel. Von dort geht es im Eiltempo in illegale Sägewerke und Lagerhäuser in Vietnam. Laut der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Global Witness enden mehr als 85 Prozent der kambodschanischen Hartholzexporte als elegante Himmelbetten oder Beistelltische in China.

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Die Wurzeln des illegalen Holzbooms lassen sich ins Jahr 1978 verfolgen, als vietnamesische Truppen die Grenze überquerten und die maoistischen Rebellen der Roten Khmer in die Flucht schlugen, die vier blutgetränkte Jahre lang in Kambodscha gewütet hatten. Die Rebellen zogen sich vom Landesinneren in die bewaldeten Berge nahe der thailändischen Grenze zurück. Während in Phnom Penh der einäugige Überläufer Hun Sen als Mittelsmann der Vietnamesen eingesetzt wurde, setzten sich die übrig gebliebenen Ex-Offiziere der Roten Khmer in den Bergen ab, wo sie sich an illegalem Bergbau und Waldrodung bereicherten.

Zwei Männer auf einem Motorrad in der Nähe von Snuol.

1994 vermittelten die Vereinten Nationen einen Friedensvertrag zwischen den Seiten. Der neue Staat, hauptsächlich von der UN aufgebaut und finanziert, war vorbildlich im Hinblick auf progressive Gesetze und Umweltschutz. 2001 konnten die UN sogar die kambodschanische Regierung zu einem landesweiten Verbot industrieller Holzgewinnung bewegen. Bauern und Waldbewohner durften noch Material für Häuser und Werkzeug sammeln, doch Palisander zu schlagen, um damit die Villen reicher Ausländer zu schmücken, galt nun als Straftat.

Doch seither hat weder die Holzgewinnung noch die Waldrodung aufgehört. Waren 1970 noch 75 Prozent Kambodschas bewaldet, so sind es heute nur noch knapp 50. Große Teile des unberührten Primärwaldes sind unwiederbringlich verloren. Der National Highway 7 führt an weniger Bäumen und mehr Plantagen vorbei. In jedem Dorf, über den Pfahlhäusern und den Schmelzgruben voll Plastikflaschen, hängt das wohlwollende Antlitz Hun Sens, der noch immer ein hoher Funktionär der Kambodschanischen Volkspartei ist und als Ministerpräsident de facto eine Diktatur betreibt. Unter Hun Sens Blick läuft der illegale Holzhandel mit verblüffender Offenheit ab. Wer nachts die Grenzstraßen entlangfährt, sieht koreanische Laster, auf denen sich die Baumstämme türmen. In den verbleibenden nördlichen Wäldern schleppen Bauernjungen Blöcke roten Holzes mit Motorrädern auf den Markt. Kleinbusse chinesischer Hersteller rasen zwischen den Städten hin und her, den Palisander unter den Sitzen verborgen.

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Der Kleinbusfahrer, der uns nach Osten bringt, ist ein junger Khmer, der auf der Strecke zwischen Phnom Penh und Taings Heimatort arbeitet. Er erklärt mir den Schwarzmarkt. Er sei schon ein paar Jahre gefahren, als ein Freund ihm anbot, für einen Geschäftsmann—einen Politiker, vielleicht—Holz von den östlichen Wäldern in die Lagerhäuser der Hauptstadt zu bringen. Zwei Jahre lang habe er die Stämme an der Forstpolizei vorbeigefahren.

"Wurdest du bedroht?", frage ich, als sie das erzählt. "Nein." Sie zuckt die Schultern. "Sie haben mich nur einmal geschlagen. Es war nichts."

"Wie war die Bezahlung?", frage ich. Er verzieht das Gesicht. Jeder Forstpolizist verlangte eine Bestechung. "Irgendwann merkte ich, dass ich gerade so meine Benzinkosten deckte", erklärt er. Also gab er den "Geschäftsmann" an einen Freund weiter und ignorierte seine Anrufe. Auf die Frage, ob er je Angst gehabt habe, von ehrlichen Polizisten verhaftet zu werden, sagt er: "Niemand in Kambodscha will, dass die Holzgewinnung aufhört."

Und doch gibt es manche, die behaupten, das zu wollen. Die holprige Fahrt geht von Tbong Khmum nach Snuol, eine lebhafte Bezirkshauptstadt wenige Kilometer von der vietnamesischen Grenze. Hier führt der Highway 7 nach Vietnam, dem reicheren und mächtigeren Nachbarland, das auch Snuols wichtigster Handelspartner ist. Der Markt ist voll mit chinesischem Spielzeug, vietnamesischem Werkzeug und kambodschanischen Textilien. Auf der Hauptstraße mit ihren vielen Restaurants weichen Fußgänger Motorradtaxis und Tuk-Tuks aus. Die Seitenstraßen bestehen aus gestampfter roter Erde, mit Pfützen, die Schuhe und Hosen rostig färben.

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Snuol war die letzte Stadt, die Taing vor seinem Tod besuchte. Sie ist zu einem Zentrum des Umweltjournalismus geworden, von dem aus wenige autodidaktische Journalisten einen einsamen und hochgefährlichen Krieg gegen die Holzindustrie führen. Vor dem Markt hält ein staubiger Mann mittleren Alters mit seinem Motorrad, einen mitgenommenen Aktenkoffer zwischen den Füßen. Es ist Sa Piseth, ein guter Freund und Kollege von Taing. Sa war Taings Beifahrer bei seiner letzten Fahrt, womit er der Letzte ist, der Taing lebendig gesehen hat—von den Mördern abgesehen. Uniformierte Soldaten beäugen ihn; Sa steigt von seinem Motorrad und führt uns in sein Haus.

Sa Piseth, ein Journalist, der Taing am Tag seiner Ermordung in den Wald begleitete.

Sa ist 42 Jahre alt, groß und hat ein kindliches Gesicht. Er lächelt viel und zeigt dabei einen blanken Goldzahn. Sein hanglagiges Haus ist gepflegt; dahinter hört man immer wieder Hunde kämpfen. Sa zieht einen Stapel Zeitungen in Khmer hervor. Es ist sein eigenes Blatt, mit dem Namen Klommel ("Wachhund"). Das gelbliche Papier zieren grobkörnige Fotos von Baumstämmen, die sich am Straßenrand oder auf Lastern stapeln. Sa durchblättert sie, während sein Sohn auf seinen Schoß klettert. "In diesem Laster sind Bäume, nicht Gemüse", erklärt der Junge mir.

Sa zeigt mir auch Fotos von brennenden Dörfern, die neuen Landwirtschaftsprojekten weichen mussten. Er entschuldigt sich, er habe keine neueren Fotos, weil die Polizei seine Kamera zerstört habe, als er dokumentierte, wie ein Dorf in der Provinz Kampong Cham auf Geheiß des Provinzpräsidenten abgebrannt wurde. Die Polizei habe Sa festnehmen wollen, doch die Dorfbewohner hätten ihn beschützt. Schließlich mussten die Beamten ihn gehen lassen, doch sie nahmen ihm das Versprechen ab, nicht darüber zu schreiben. Sa lächelt. Dieses Versprechen hat er gebrochen.

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Wie Taing ist auch Sa ein Veteran des kambodschanischen Militärs. Seine ersten journalistischen Schritte machte er Anfang der 1990er als Radio-Propagandist oder "Soldaten-Journalist", als die Zeit der Roten Khmer sich dem Ende zuneigte. Er produzierte Radiospots, die an die Rebellenlager gesendet wurden. Diese forderten die Kämpfer auf, aus den Hügeln zu kommen und nach Hause zurückzukehren. Nach einem Streit mit seinem Kommandanten verließ Sa entehrt das Militär. Wie so viele ländliche Kambodschaner sah Sa nun, wie sich in Phnom Penh genau die Art von gieriger Kleptokratie entwickelte, die ursprünglich den Krieg angetrieben hatte. Die progressiven Gesetze der UN-gestützten Regierung Hun Sens stellten sich schnell als Fassade für Gewalt und Heuchelei heraus.

"Ich habe keine Pistole, aber ich habe die Nachrichten. Damit kann ich kämpfen."

Ein gutes Beispiel ist das Verbot der Holzgewinnung von 2001. Im selben Jahr schuf Hun Sens Regierung die "wirtschaftliche Landkonzession" (ELC, für Economic Land Concession), um Land für Kautschuk-, Maniok- und Palmölplantagen zu verpachten. Da ELCs den Pächtern das Recht einräumten, gefälltes Holz zu verkaufen, handelte es sich de facto auch um Konzessionen zur Holzgewinnung—oft in Primärwäldern, die fälschlich als Ödland eingestuft wurden.

Als internationaler Druck die Regierung zwang, ELCs abzuschaffen, öffnete diese gleichzeitig ein neues Schlupfloch, welches das Verbot völlig untergrub. Zudem waren die Holzfäller genau jene Menschen, deren Aufgabe es war, die Wälder zu schützen: Mitglieder der Polizei und der Königlichen Streitkräfte Kambodschas. Das Abholzen und Exportieren wertvoller Bäume war eine der Hauptarbeiten des Militärs. Der UN-Sonderberichterstatter für Kambodscha, Yash Ghai, fasste es 2005 in einem vernichtenden Urteil zusammen: "Die Machterhaltung [von Hun Sens Volkspartei] fußt maßgeblich auf der bewussten Ablehnung eines Rechtsstaats."

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Sa beobachtete, wie die östlichen Wälder verschwanden, und begann, Oppositionschef Sam Rainsy und seine Partei zur Rettung der Kambodschanischen Nation zu unterstützen. Doch das genügte ihm nicht. Wie viele kambodschanische Journalisten, mit denen ich mich unterhalte, erklärt er mir, es brächte wenig, die Regierung auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, weil die Regierung selbst Teil des Problems sei.

2008 fand er für sich eine Lösung: Er würde es der ganzen Welt mitteilen. Eine Pistole habe er nicht, sagt er, "aber ich habe die Nachrichten. Damit kann ich kämpfen." Er schloss sich den örtlichen Journalisten an und fuhr mit einer Kamera und einem chinesischen Handy in die Hinterwälder, wo er Rodungen fotografierte. "Damals", erklärt er durch Sinary, "habe ich hauptsächlich über Land Grabbing geschrieben. Ich habe angeprangert, wie die Mächtigen einfache Leute unter Druck setzen und bedrohen, um ihnen ihr Land zu nehmen." Doch um 2012 lernte er in Snuol Taing kennen und war von dem älteren, ernsteren Mann fasziniert. Taing war meist zurückhaltend, doch wenn er getrunken hatte, hielt er Tiraden über den Verlust der kambodschanischen Wälder. Taing war laut Sa ein Mann, der immer das tat, was er sagte.

Chea Lyhieng, Chef des Journalisten-Kollektivs Stolz der Khmer.

Sa und die anderen Journalisten arbeiten freiberuflich, genau wie Taing es tat. Sie verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Artikeln oder Hinweisen für die lokalen und landesweiten Tageszeitungen. Zusätzlich geben sie eigene Zeitungen heraus und schreiben für einander Beiträge. Taing gehört wie auch Sa einem losen Reporterkollektiv an, das sich "Stolz der Khmer" nennt und von einem großspurigen früheren Tageszeitungsreporter namens Chea Lyhieng geleitet wird. "Andere verstecken sich vor der Gefahr", prahlt Chea bei Mango und Eiskaffee in einem Café am Highway 7. "Wir rennen da­rauf zu." Er habe seine Tageszeitung satt gehabt, weil er seine Themen nicht selbst auswählen konnte, und sei deswegen Freiberufler geworden. Stolz der Khmer sammelt von seinen Mitgliedern Spenden, um kleine Auflagen zu drucken, die auf den Schreibtischen örtlicher Beamter landen. So wollen sie sagen: "Wir behalten euch im Auge."

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Die Medienwelt von Chea und Sa ist nicht wie die der New York Times oder der englischsprachigen Tageszeitungen der Hauptstadt wie Cambodia Daily News oder Phnom Penh Post. Die Journalisten im Hinterland haben ein geradezu anarchisches Netzwerk aufgebaut. In gewisser Weise erinnern sie an die frühe westliche Presse oder die Zine-Bewegung, in der jeder, der wollte und ein wenig Geld hatte, seine eigene Zeitung veröffentlichen konnte.

Bei der kambodschanischen Regierung sind laut dem Cambodian Institute for Media Studies etwa 300 Zeitungen registriert. Die meisten davon erscheinen unregelmäßig. Die sogenannten "Geisterzeitungen" gibt es entweder selten oder gar nicht. Wie auch Taing können viele Journalisten selbst kaum lesen: Als freie Autoren für größere Häuser wie Radio Free Asia oder die Cambodia Democracy Foundation schicken sie ihre Storys per SMS oder Handyfoto. Das ist zwar unorthodox, doch ihre Arbeit kann tatsächlich Einfluss haben. Wie Mathieu Pellerin von der Kambodschanischen Liga für die Förderung und Verteidigung der Menschenrechte (LICADHO) erklärt, ignorierten die Holzfäller zwar die Gesetze, mediale Aufmerksamkeit wollten sie aber vermeiden. "Dann könnten sie Probleme mit ihren Chefs bekommen", sagt er. "Die wissen zwar vielleicht, dass er Holz fällt, aber nicht, wie viel—oder er arbeitet in der falschen Gegend." Die öffentliche Bloßstellung habe auch andere mögliche Konsequenzen. "Wenn sein Name als illegaler Holzfäller auftaucht, darf seine Tochter vielleicht nicht in Australien studieren gehen."

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Erpresserische Journalisten stehen Holztransporten offenbar derart im Weg, dass die Regierung begonnen hat, gegen die Pressevertreter durchzugreifen—während sie die Holztransporte unbehelligt passieren lässt.

Umweltjournalisten in vielen Entwicklungsländern kämpfen mit denselben Methoden wie Sa und Taing gegen ähnliche Probleme. Diese lassen sich oft in die frühen 1990er zurückverfolgen, als in den tropischen Regionen zwei Revolutionen stattfanden. Die erste war politisch. Ab Anfang der 1980er fielen Diktaturen wie Dominosteine: Brasilien, 1985; Guatemala, 1985; die Philippinen, 1986; Paraguay, 1989; Thailand, 1992; Kambodscha, 1994; Indonesien, 1998. Informationsministerien und Lizenzeinschränkungen wurden abgeschafft. Als die jungen Demokratien um Entscheidungen wie die Rolle der Judikative und den Aufbau eines Parlaments kämpften, entstanden und verschwanden zahlreiche Zeitungen. Die Journalisten genossen ihre neue Freiheit, die Machthaber zu kritisieren.

Die zweite Revolution war eine tief greifende Veränderung der Landnutzung. In fast allen oben aufgelisteten Ländern stieg die Flächennutzung rapide an und damit ihre negativen Folgen: Entwaldung und die Vertreibung Einheimischer, um Bergbauunternehmen und Großplantagen den Weg zu ebnen. Kolumbianische Paramilitärs und malaysische Oligarchen enteignen Bauern, um Palmölplantagen zu bauen; paraguayische Narcos roden Wälder, um Rinder zu halten und Soja als Futtermittel zu pflanzen; chinesisch finanzierte Nickelminen verschmutzen Agrarland in den Philippinen.

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In diesen jungen Demokratien mit ihren internen Konflikten und mangelhaften Rechtssystemen kann die Lokalpresse "die letzte Instanz" sein, an die sich die Menschen wenden können. So beschreiben es einige Presseaktivisten. Die kambodschanische Demokratie mag schwerwiegende Lücken aufweisen, doch schlechte Presse und der damit einhergehende internationale Druck können großen Einfluss haben. Immerhin finanzieren andere Staaten die Hälfte des Etats, was ihnen viel Macht verleiht—selbst wenn oft der Wille fehlt, diese auch einzusetzen. 2011 trat die Lokalpresse zum Beispiel Proteste los, als Tausende Bauern von einem See nahe Phnom Penh vertrieben wurden, weil dort mit chinesischen Geldern ein Luxuswohnkomplex entstehen sollte. Das Projekt gehörte einem kambodschanischen Senator aus dem nahen Umfeld von Hun Sen. Die Proteste sowie die gewaltsame Reaktion der Polizei brachten die Weltbank dazu, für mehrere Jahre alle Kredite für das Land einzufrieren.

Chhaya Angkor News, eine sogenannte Geisterzeitung, die unregelmäßig erscheint und investigative Berichte enthält.

Doch diese Macht des Lokaljournalismus ist gefährlich, wenn sie nicht durch einen echten Rechtsstaat geschützt ist. Hier sind nur ein paar der Todesopfer aus den zwei Jahren vor dem Mord an Taing: Der Kambodschaner Suon Chan berichtete über Fischwilderei und wurde erschlagen. Der russische Journalist Michail Beketow schrieb über die Zerstörung eines Waldes bei Chimki im Zuge des Baus der Autobahn Moskau – St. Petersburg; Unbekannte zertrümmerten seinen Schädel und brachen ihm die Beine, er starb nach fünf Jahren Schwerstbehinderung. Der indische Journalist Chandrika Rai berichtete über illegalen Kohleabbau und wurde zusammen mit seiner Familie erschlagen.

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Um sich zu schützen, müssten sie viele Tricks anwenden, sagen mir die Journalisten in Snuol. Sa erklärt, manchmal fänden sie sich tief im Wald wieder, allein unter bewaffneten Soldaten, die Bäume fällten. Dann gäbe es einen Ausweg: Die Soldaten böten ihnen Geld, vielleicht umgerechnet 10 Euro—mehr, als sich mit einem Artikel verdienen ließe. Das solle ihr Schweigen erkaufen. Andere bestätigen mir, dies sei das ungeschriebene Gesetz des Waldes. Ein Journalist könne geduldet werden, wenn er diskret genug sei, das Geld zu nehmen und wegzusehen.

"Manchmal sagen sie auch gar nichts [wenn sie das Geld bieten], aber sie haben Waffen", sagt Sa. "Was passiert wohl, wenn wir ablehnen?" Taing hatte laut Sa einen Trick, wie er mit den Geschäftsmännern und Soldaten umging, die ihn unter Druck setzten. Er nahm das Geld und hielt sein Versprechen, nichts zu veröffentlichen. Stattdessen gab er die Story an Sa oder einen anderen Kollegen weiter. Sa zeigt uns ein paar solcher Artikel, die eigentlich von Taing waren, aber von anderen veröffentlicht wurden. "Militärchef Gian N Jiaam zerstört den Wald" lautet eine Schlagzeile.

Die Journalisten erklären mir, sie nähmen die Bestechungsgelder auch an, weil sie das Geld einfach nötig hätten. Die Männer und Frauen gehören fast allesamt zur Arbeiterklasse, besitzen wenig Bildung und bekommen keinerlei Unterstützung. Während Taing Bericht erstattete, schuftete seine Frau in den Reisfeldern. "Manchmal musste ich Geld von meiner Frau nehmen, um meine Arbeit zu machen", erklärt mir ein Ex-Journalist seine Gründe für den Ausstieg. Viele Freiberufler in aller Welt wissen, wie das ist. "Wenn wir wenigstens auf 500 Dollar im Monat kommen würden", sagt eine Journalistin in Snuol, "ich habe die Nachrichten. Damit kann ich kämpfen."arbeiten wir gern 20 Stunden am Tag und nehmen von niemandem Geld an."

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Auf der Straße, auf der Taing ermordet wurde, holt ein Transporter illegal gefällte Stämme ab.

Sie betonen auch, wie gefährlich es sei, Bestechungsgelder zu nehmen. Ein Journalist, der sich bestechen lässt—selbst wenn er dazu genötigt wurde—kann sich später Erpressungsvorwürfen gegenübersehen. So ist die Bestechung zugleich Zuckerbrot und Peitsche. Laut Chea, dem Chef von Stolz der Khmer, meldete Taing einmal illegale Holzfäller dem Forstministerium, wo­raufhin diese anzeigten, Taing habe "etwa 10.000 oder 20.000 Riel erpresst" (ca. 2 bis 4 Euro). Taing verbrachte sechs Monate im Gefängnis.

Auch wenn es nicht immer zur Haftstrafe kommt, ist die Arbeit gefährlich. Der Journalist Coy Saveuth wohnt ein paar Kilometer außerhalb Snuols, entlang der schlammigen Holzfällerstraße, die Taing, Sa und die anderen nach Holzlieferungen absuchten. Es ist die große Handelsroute zweier Polizeichefs aus verschiedenen Bezirken, sagen mir Journalisten.

Coy, ein drahtiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht, lebt im Gebiet des Polizeichefs Chhonn Khoeun. Er kommt gerade über die Runden und wohnt in Sichtweite des imposanten zweistöckigen Lagerhauses, in dem Chhonn in der Fällsaison wertvolle illegale Lieferungen verwahrt.

"Wir brauchten Essen und Benzin", erklärt mir Coy. Eines Tages beschloss er, einen Anteil einzufordern. Er ging mit einigen Freunden in den Wald, wo Polizeichef Chhonn Baumstämme lagerte. Sie machten Handyfotos und verlangten Geld von ihm. Chhonn fragte laut Coy, ob umgerechnet 10 Euro reichen würden. Coy bestand auf 15. Chhonn wandte sich seinem Bruder zu. "Er sagte: ‚Vielleicht sollten wir ein paar dieser Reporter umbringen.'" Coy wurde wütend, verpfiff Chhonn beim Militär und führte die Soldaten auf Motorrädern zu dem Waldlager. Chhonns wütender Bruder war ebenfalls anwesend. Bei den Stämmen angekommen zog er vor den Augen der Soldaten eine Pistole und richtete sie auf Coy.

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"Ich sagte: ‚Wenn du mich töten willst, dann mach es besser mit dem ersten Schuss, sonst hast du ein Problem'", erinnert sich Coy. Am Ende gab der Bruder nach und Chhonn bot Coy an, ihm jeden Monat umgerechnet etwa 45 Euro für sein Schweigen zu zahlen. "Er sagte: ‚Vergib meinem Bruder, er steigert sich oft rein'", erzählt Coy. "‚Arbeite doch für mich.' Aber ich dachte, wenn ich das tue, dann muss ich ihn immer schützen. Also lehnte ich ab. Wenn jetzt Ware kommt, ruft er an und wir verhandeln."

Meine Fixerin Sinary schafft es, kurz mit Chhonn zu sprechen. Er wirft den Journalisten mangelnde Loyalität vor. "Sie benehmen sich sehr schlecht", klagt Chhonn über Sa, Taing und die anderen. "Wir haben einander früher wie Brüder behandelt, jetzt fallen sie mir in den Rücken. Meiner Meinung nach haben diese Journalisten nur ihre eigenen Interessen im Sinn. Für die ist das ein Geschäft."

Chhim Mom, Taing Trys Witwe.

Viele denken wie er. In Phnom Penh gilt es vor allem unter englischsprachigen Profijournalisten und den Gesetzeshütern als gesichert, dass die Waldökonomie Kambodschas derart von Gewalt und Schwarzgeld beherrscht ist, dass absolut alle dort—Holzfäller, Polizisten, Parkaufseher, Journalisten—korrupt sind. Viele meinen, ländliche Journalisten wie Sa und Taing seien wenig mehr als Erpresser, die ihren Pressestatus lediglich als Vorwand gebrauchten. Die Cambodia Daily berichtet oft über Journalisten, die wegen Erpressung festgenommen wurden. Die Intellektuellen der Hauptstadt sind einhellig der Meinung, die Geisterzeitungen der ländlichen Journalisten würden nur registriert, um ein legitimes Druckmittel in der Hand zu haben.

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Doch laut dem deutschen Forstexperten Marcus Hardtke, der Jahrzehnte in Kambodscha verbracht hat, ist die Presse eine der wenigen Kräfte, die das illegale Abholzen im Zaum halten können—ob die Journalisten nun ehrlich oder korrupt sind. Berichte über den Holzmagnaten Try Pheap in der Phnom Penh Post und anderen Zeitungen zwangen die Regierung, korrupte Verträge zu brechen. Hardtke schrieb später, die Erpressung durch khmersprachige Journalisten wie Coy habe solche Dimensionen erreicht, dass sie tatsächlich anfange, den Holzeinschlag einzudämmen. Hardtke erwähnt eine große Lieferung, die von Kratie an die Grenze gehen sollte. Sie löste "eine Pilgerfahrt von Beamten und, Berichten zufolge, mehr als 50 Journalisten aus, die sich alle an dem Geschäft bereichern wollten. Am Ende fand der Transport nicht statt." Erpresserische Journalisten stehen Holztransporten offenbar derart im Weg, dass die kambodschanische Regierung begonnen hat, gegen die Pressevertreter durchzugreifen—während sie die Holztransporte unbehelligt passieren lässt.

Am Morgen nach dem Mord an Taing fand die Mordkommission der Provinz den Lexus auf dem Dach liegend, unweit von der Stelle, an der Taings Leiche auf der Straße lag.

Bob Dietz beobachtet Asien für das Committee to Protect Journalists, eine NGO für weltweite Pressefreiheit und Menschenrechte. Laut Dietz kann auch ein korrupter Journalist noch Gutes tun. "Die Wahrheit ist, dass die journalistische Praxis in vielen Entwicklungsländern unterirdisch ist", sagt Dietz. Wie er und andere internationale Fürsprecher mir sagen, können Bestechungen in diversen Ländern auf demselben Spektrum der Nötigung liegen wie Festnahmen, Gewalt und Mord. Journalisten sollen mundtot gemacht werden und sich von den Machthabern abhängig fühlen. Wenn Journalisten sich nicht kaufen lassen, so Dietz, "dann gibt es noch die Möglichkeit, sie zu erschießen".

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Die Journalisten in Snuol dachten, sie hätten ein System entwickelt, das sie schützen würde. Vor seiner letzten Mission kam Taing mit einer Idee zu Sa. Taing hatte viele Kontakte in Ostkambodscha, denen er im Austausch für Hinweise auf illegale Holztransporte Handykarten im Wert von etwa 1,80 Euro gab. Seine Quellen hatten ihm gesagt, auf der Strecke werde eine Lieferung erwartet, die "23 Ochsenkarren" voll mit Baumstämmen entspräche. Ein Journalist schätzte den Wert dieser Ware auf etwa 200.000 Euro—ein schmutziges Geschäft zwischen Chhonn und dem Polizeichef auf der anderen Flussseite. In der Nacht des 13. Oktober 2014 versammelten Taing und Sa sicherheitshalber eine Gruppe von Kollegen und fuhren in den Wald, um das Holz zu finden.

Der Journalist Coy Saveuth zeigt ein Foto, das er von illegal gefälltem Holz geschossen hat.

Die Mission stand von Anfang unter keinem guten Stern. Taing und Sa fuhren zusammen in Taings Auto. Sie bogen in die Holzfällerstraße, die zur Fähre über den Fluss Preak Chhlong führt, und vorbei an dem Reisbauerndorf und dem Lagerhaus, in dem Chhonn und sein Bruder das Holz aufbewahrten. Die Straße war in einem furchtbaren Zustand. Regen hatte sie in einen Morast aus Schlamm und Schlaglöchern verwandelt. Die Bewohner des Holzfällerdorfs am anderen Ufer wirkten bedrohlich. Der betrunkene Fährmann weigerte sich zunächst, sie mitzunehmen.

Als sie endlich den Fluss überquert hatten, klingelte Taings Handy. Es war Chhonn. Sa konnte mithören, wie Chhonn zu Taing sagte, es sei sein Holz, hinter dem sie her seien, und wie er ihm befahl, umzukehren. Chea Lyhieng, der noch am anderen Ufer im Auto saß, erhielt dieselbe Warnung. Chhonns letzte Worte, bevor er auflegte, machten ihm besonders Angst. "Er sagte: ‚Jetzt habe ich dich gewarnt. Das ist meine gute Tat. Ich bin nicht verantwortlich dafür, was passiert, wenn ihr bleibt.'"

Als sie endlich mit einer anderen Fähre auf ihre Seite des Flusses zurückgelangten, war es bereits dunkel. Es gab gerade genug Mondlicht, um sich zu orientieren. Sie fuhren zurück in das kleine Dorf, wo Coy Saveuth in einem Gemischtwarenladen wohnte. Als sie anhielten, um sich auf einen Plan zu einigen, stand Coy vor ihnen. Er war am Telefon—mit Chhonn. Er sah sich ihre Gesichter an und ratterte ihre Namen herunter.

Damit war es endgültig entschieden: Die Journalisten würden heimkehren. Taings Auto war das letzte in dem kleinen Konvoi. Er fuhr unvorsichtig, erzählt Sa, weil er ständig aufgeregt ins Telefon sprach, über den Anruf von Chhonn und die neue Information, wem das Holz gehörte. Taing war abgelenkt und fuhr in eines der tiefen Schlaglöcher. Er steckte fest. Die anderen Autos fuhren ohne ihn weiter, eine Kette davonziehender Lichter in der Dunkelheit.

"Aber wenn ich eines Tages sterben sollte wie Taing Try", sagt Coy, "dann wäre ich stolz darauf, was ich hier als Journalist gemacht habe. Man würde mich kennen, auch außerhalb Kambodschas."

Als Sa und Taing versuchten, das Auto zu befreien, sahen sie Scheinwerfer, die auf sie zukamen. Taing stellte sich in die Straße, um Hilfe zu erbitten, doch das Auto hielt nicht. Sa erkannte einen schwarzen Lexus des Modells LX 470 SUV. Durch die offenen Fenster konnte er gerade noch die Männer im Inneren sehen. "Sie haben uns sehr wütend angeschaut", erinnert er sich. "Taing Try sagte, das Auto gehöre dem Polizeichef vom anderen Flussufer. Ich weiß nicht, woher er das wusste. Aber in der Gegend kannten einander wohl einfach alle. Sie waren berühmt dafür, dass sie Leute erschießen und ermorden, und er war bekannt als jemand, der über Luxusholz berichtete."

Sa wollte nicht bleiben. Er versuchte, Taing zu überreden, mit ihm zu kommen, doch Taing weigerte sich, sein Auto im Wald zurückzulassen. Er bat Sa, ins nächste Dorf zu gehen und Hilfe zu holen. Sa wollte das nicht. "Ich sagte ihm, ich würde mal nachsehen, ob ich jemanden finde. Aber wenn ich nicht wiederkäme, solle er seine Hängematte aus dem Kofferraum holen und in dem Schuppen am Straßenrand schlafen." Sa blickt beim Erzählen zu Sinary. "Ich dachte wirklich, es wäre schon in Ordnung, wenn er da draußen bleibt." Gegen Mitternacht erreichte Sa das Dorf, in dem er sein Motorrad abgestellt hatte. Genau zu diesem Zeitpunkt kam ihm der schwarze Lexus entgegen—unterwegs zu Taing.

Taing saß in seinem Auto und rief andere Journalisten an, um sie zu bitten, ihn aus dem Schlamm zu ziehen, doch niemand erklärte sich bereit. "Er rief mich kurz nach Mitternacht an", sagt Chea, "aber ich sagte ihm, ich bin fast zu Hause, ich komme jetzt nicht mehr zurück. Dann sagte er, er könne in 10 Meter Entfernung einen der Laster mit dem Holz sehen. Und dann schaltete er sein Handy aus. Gegen 5:30 Uhr morgens bekam ich dann einen Anruf von Chhonn … er sagte, man habe Taing Try in den Kopf geschossen."

Coy zeigt auf die Stelle, an der Taings Leiche gefunden wurde. Foto vom Autor

Taings Kollegen hatten ihn allein im Wald sterben lassen. Als meine Dolmetscherin Sa fragt, ob er bereue, nach Hause gefahren zu sein, wird er ernst. "Wenn ich dabei gewesen wäre, weiß ich nicht, was passiert wäre—vielleicht würde er noch leben, vielleicht wären wir aber auch beide tot." Er betont, er sei sich außerdem sicher gewesen, dass keine Gefahr drohe. "Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Angst." Ihm kommen die Tränen. "Wenn ich jetzt daran denke, habe ich schreckliche Angst."

Am Morgen nach dem Mord an Taing fand die Mordkommission der Provinz den Lexus auf dem Dach liegend, unweit von der Stelle, an der Taings Leiche auf der Straße lag. Die Beamten verhafteten den Polizeichef vom anderen Flussufer, Ben Hieng, sowie einen Militärpolizisten und einen Soldaten. Laut Berichten in den kambodschanischen Medien gestanden alle drei: Sie sagten, sie hätten die ganze Nacht getrunken, seien Taing in den frühen Morgenstunden begegnet, woraufhin es zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Als Sinary Py Khum Pao, einen Beamten der Mordkommission von Kratie, anruft, ist er nicht gewillt zu spekulieren, ob Taing aufgrund seiner Berichterstattung über den Holzeinschlag ermordet wurde. "Ich weiß nicht, ob die Verdächtigen Holzhändler sind oder nicht. An jenem Tag fuhren sie durch diese Gegend, obwohl sie keinen Grund hatten, dort zu sein."

Die Journalisten sind sich natürlich dennoch sicher, dass Ben und Chhonn in jener Nacht ein Geschäft abwickelten. Sinary hakt noch einmal bei Kommissar Py nach, ob der Mord etwas mit Taings Arbeit zu tun hatte. Er sagt, das sei möglich, doch das Zusammentreffen der Männer auf der Holzfällerstraße habe persönliche Gründe gehabt. "Vielleicht kannten das Opfer und die Verdächtigen einander schon vorher. Die Gegend war nachts so still und gefährlich—warum sollte das Opfer dorthin wollen, und warum hatte er keine Angst davor, ausgeraubt zu werden?" Könnte es sein, fragt Sinary, dass Taing damit gedroht habe, die drei für ihre Aktivitäten anzuzeigen? Darüber will Py nicht mutmaßen. "Da das Opfer ermordet wurde, können wir das nicht bestätigen." Die Wahrheit, so scheint es, ist mit Taing begraben worden.

"Wenn jemand illegal abholzt, dann berichten wir darüber, und dabei ist uns egal, wie mächtig oder einflussreich er ist."

Zwei Wochen nach Taings Tod begleiten mich die Journalisten an den Tatort. Wir fahren die Holzfällerstraße entlang, vorbei an einem Transporter mit einigen rötlichen Stämmen auf der Ladefläche, zum Anlegeplatz der Fähre. Die ganze Fahrt über klagen die Journalisten darüber, wie wenig sie ausrichten können: Die Behörden seien selbst zu sehr an der Holzgewinnung interessiert, um irgendwen davon abzuhalten. Und dennoch schwingt Leidenschaft in ihren Stimmen mit. "Wir sind ein Dorn in den Augen der Behörden und der Geschäftsmänner", sagt Chea. Coy, der Erpresser, sagt es noch deutlicher: "Ich liebe [den Journalismus] meiner Ideale wegen", sagt er. "Wenn jemand illegal abholzt, dann berichten wir darüber, und dabei ist uns egal, wie mächtig oder einflussreich er ist."

Ich spüre selbst das Adrenalin in meinen Adern, als Coy mit leuchtenden Augen erzählt, wie er dem gefährlichsten Schützen des Bezirks gegenübergetreten ist. Vielleicht ist das ja auch ein Teil des Reizes. Ich muss an Tiefseefischer in Alaska denken—es gibt einfach Jobs, zu denen Männer sich hingezogen fühlen, weil sie sich durch die Lebensgefahr erst lebendig fühlen. Dieser Reiz und vielleicht auch die im ländlichen Kambodscha herrschende Ungleichheit, machen den Journalismus für die Männer zu einem Mittel, um von den Warlords ernst genommen zu werden.

Wir stehen am Fluss, als Coys Handy klingelt. Wir erstarren wie Affen, unter denen ein Tiger vorbeizieht, während Coy mit einem seltsamen Funkeln in den Augen auf Khmer mit Chhonn diskutiert. Er spuckt einen letzten wütenden Satz aus und legt auf. "Er hat mich bedroht", sagt er. Coy geht zum Preak Chhlong und taucht seine Füße in das schlammige Wasser. "Aber wenn ich eines Tages sterben sollte wie Taing Try", sagt er, "dann wäre ich stolz darauf, was ich hier als Journalist gemacht habe. Man würde mich kennen, auch außerhalb Kambodschas." Er macht sein Motorrad startklar, und wir machen uns auf den Rückweg.

Wir nähern uns wieder der Straße, der Schlamm spritzt, und hinter uns schließt der Transporter mit den Baumstämmen auf. Eine atemlose Sekunde lang denke ich, er will uns von der schmalen Straße drängen, doch er biegt am Highway rechts ab, Richtung Vietnam. Wir fahren in die andere Richtung nach Snuol. Ich sehe einen mageren Hund, der versucht, den richtigen Moment abzupassen, um die Fernstraße zu überqueren. Er verschätzt sich und sprintet direkt unter die Räder eines großen Lasters. Ich sehe zu, wie er unter dem Laster verschwindet und sich dabei immer wieder überschlägt. Und dann ist der Laster fort und der Hund ist wieder auf den Beinen. Mit einem Kläffen rennt er weiter und rettet sich zwischen die Bäume am Straßenrand.