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​Kranker Scheiß aus dem Leben einer Kosmetikerin

Wenn sich eine Kundin für eine Gesichtsbehandlung pudelnackt auszieht, liegt es eigentlich nahe, dass da irgendetwas nicht stimmt.
Ein Fuß
Alle Illustrationen von Luft Fabrik

Man könnte meinen, der Arbeitsalltag einer Salzburger Kosmetikerin verläuft größtenteils unspektakulär. An manchen Tagen ist das auch so. Aber ab und zu passiert einem auch in diesem Job grenzwertig absurdes, fast schon filmreifes Zeug. Die folgende Geschichte ist aber vermutlich der kränkste Scheiß, der mir in meiner beruflichen Laufbahn als Kosmetikerin je widerfahren ist.

Die nackte Frau

Eine Frau hatte in unserer Praxis einen Termin für eine Gesichtsbehandlung vereinbart. Wie bei uns üblich, hatte meine Kollegin im Wartebereich einige Getränke bereitgestellt, während ich im Behandlungsraum alles vorbereitete. Als ich hinaus in den Warteraum ging, um die Dame für die Behandlung abzuholen, saß sie da, umgeben von Glasscherben, der Boden war mit Getränken überschwemmt.

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Die Frau saß zwar direkt zwischen Scherben, schaute aber ins Leere, so als hätte sie mit den Getränken am Boden nichts zu tun. Ich schaute sie an. „Ist Ihnen ein kleines Missgeschick passiert?" Sie entgegnete mir: „Was? Nein, nein, das war nicht ich." Vielleicht hätte ich zu dem Zeitpunkt schon in Betracht ziehen sollen, dass hier irgendetwas faul war.

Aber hey, der Kunde ist König. Meine Kollegin machte also sauber und die Dame folgte mir in den Behandlungsraum. Ich versuchte ein wenig mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber sie war nicht besonders redselig. Sie erzählte mir lediglich, dass sie als Stewardess tätig wäre. Ich gab ihr also die üblichen Anweisungen: „Für die Behandlung müssten Sie bitte den Schulterbereich frei machen." Sie folgte meiner Anweisung und zog ihr Oberteil aus. Und ihren BH. Aber ehe ich mich versah, hatte die Frau auch alles andere ausgezogen und stand komplett nackt vor mir.

Was zur Hölle ging hier vor sich? Warum in drei Teufels Namen zog sich diese Frau für eine Gesichtsbehandlung pudelnackt aus? Erwartete sie sich irgendetwas Sexuelles? Ich war so überrascht, dass ich gar nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Aber die Dame hatte sich mit einer solchen Selbstverständlichkeit ihrer Klamotten entledigt, dass ich mir letztendlich einfach dachte: „Wer weiß, vielleicht fühlt sie sich nackt einfach am wohlsten." Ich entschied mich also dazu, einfach gar nichts zu sagen. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Dame auf dem Weg zum Behandlungstisch mit vollem Karacho gegen den mobilen Kasten lief, auf dem meine Behandlungs-Ausrüstung stand.

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Irgendwas war hier faul. Sie verhielt sich wie eine Betrunkene, roch aber nicht nach Alkohol. Ich sagte ihr möglichst nett und höflich: „Wenn Sie Alkohol getrunken haben, müsste ich das bitte wissen." Sie entgegnete mir: „Was? Nein, ich habe überhaupt keinen Alkohol getrunken", und nahm auf dem Behandlungsstuhl Platz. Irgendwie war ich ratlos. Ich holte einen ganze Haufen Handtücher, deckte ihren Körper damit so gut wie möglich zu und sagte mir selbst: „Zieh das einfach so schnell wie möglich durch."

Als ich die Gesichtsmassage startete, begann die Frau zu murmeln: „Mmmh, das fühlt sich gut an! Ja, das ist gut!" Langsam aber sicher bekam ich Angst vor ihr. Ich versuchte, während der Behandlung möglichst großen Abstand zu ihr zu halten. Das ist bei einer Gesichtsbehandlung natürlich leichter gesagt als getan. Meine Arme waren also komplett durchgesteckt, und irgendwie kam ich mir dabei selbst ein bisschen blöd vor. Nach ein paar Minuten begann die Frau mit dem Gesicht zu zucken und ihre Zunge schoss immer wieder, seltsam unkontrolliert aus ihrem Mund. Jetzt war die Sache für mich klar—sie hatte sich ganz sicher irgendwas eingeworfen.

Aber noch während ich darüber nachdachte, was mit dieser Frau wohl los war, richtete sie sich wie aus dem nichts ruckartig auf. Ich bekam nun wirklich Panik, versuchte aber professionell zu bleiben. „Was tun Sie? Brauchen Sie was zu trinken? Müssen Sie auf die Toilette?" Doch dann—so schnell konnte ich gar nicht schauen—sprang die Frau vom Stuhl auf und kam direkt auf mich zu.

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Alle Illustrationen von Luft Fabrik

Was würdest du tun, wenn eine vollständig entkleidete Frau mittleren Alters, mit der ziemlich offensichtlich irgendetwas nicht stimmt, unangekündigt auf dich zugelaufen kommt? Meine Reaktion war jedenfalls ziemlich intuitiv: Ich begann panisch nach meiner Kollegin zu schreien, die gerade im Nebenzimmer eine Behandlung durchführte. Die brach sofort die Behandlung ab und kam zu mir ins Zimmer gestürmt—gerade noch rechtzeitig, um zu beobachten, wie die Frau das Gleichgewicht verlor und vor mir auf den Boden krachte.

Da lag sie nun also, die nackte Frau. Wie man sich vermutlich vorstellen kann, waren meine Kollegin und ich kurzfristig einmal ziemlich perplex. Wir bückten uns zu ihr hinunter, um zu sehen, ob es ihr gut ging. Die Frau war zwar wohlauf, schaffte es aus mangelndem Gleichgewicht aber nicht wirklich, wieder auf die Beine zu kommen. Ich sagte zu meiner Kollegin, dass wir am besten einen Krankenwagen rufen sollten. Diese Aufforderung brachte die Frau aber ziemlich aus der Fassung. „Nein! Keine Rettung! Mir geht es gut. Die Behandlung war einfach zu stark."

Die Behandlung war zu stark? Ich hatte ihr ein paar Minuten lang die denkbar leichteste Gesichtsmassage gegeben und deswegen soll es sie nun umgehauen haben? Die Frau bat uns, sie einen Moment am Boden liegen zu lassen. Meine Kollegin und ich gingen also vor die Türe und überlegten eine Minute lang, was wir tun sollten.

In diesem Moment ging hinter uns die Tür auf und die Frau marschierte, nach wie vor komplett nackt, aus dem Behandlungszimmer in den Empfangsbereich und Richtung Ausgang. Sie hatte ihren Gleichgewichtssinn wiedergefunden. Meine Kollegin und ich liefen ihr hinterher und versuchten sie davon abzuhalten, komplett nackt hinaus in den Salzburger Winter zu spazieren. Zufällig stand auch unser Chef gerade am Empfang. Er warf uns einen mehr als entgeisterten Blick zu. Zu dritt folgten wir der Frau ins Freie.

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Wieder versuchte ich mit ihr zu reden. „Was tun sie da? Ziehen Sie sich doch zumindest noch etwas an!" Sie entgegnete: „Nein, danke, ich will jetzt einfach nach Hause." Sie ging zu dem Fahrrad, mit dem sie hergekommen war und versuchte loszufahren (das war bei ihren Gleichgewichtsproblemen natürlich leichter gesagt als getan). Wir versuchten mit allen Mitteln, es ihr auszureden. Aber obwohl wir wirklich alles versuchten, radelte sie—bei winterlichem Wetter und splitterfasernackt—davon. Und wir konnten nichts tun, als ihr dabei zusehen.

Nach diesem Vorfall war ich erst einmal fix und fertig und völlig vor den Kopf gestoßen. Irgendwie hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, weil wir es nicht geschafft hatten, sie aufzuhalten. Mein Chef war eher aufgebracht über die Frau. Er meinte, sollte sie ein weiteres Mal hier auftauchen, sollen wir umgehend die Polizei verständigen. Aber wie hoch war die Chance, dass die Frau noch einmal hier aufkreuzen würde?

Offensichtlich gar nicht so gering. Am nächsten Morgen saß ich an der Rezeption, als die Tür aufging und dieselbe Frau herein marschierte. Diesmal zwar nicht nackt, sondern mit anderen Klamotten. Dafür aber mit Abschürfungen an Gesicht und Händen, die offensichtlich von ihrer Radfahrt stammten. Mein schlechtes Gewissen war wohl nicht ganz ungerechtfertigt gewesen.

Aber als sie da so stand, wirkte sie nicht wie jemand, der am Vortag noch pudelnackt und wankend durch das Gebäude gelaufen war. Sie kam einfach daher spaziert und erklärte mir Folgendes: „Guten Tag, ich hatte für gestern einen Termin für eine Gesichtsbehandlung ausgemacht, konnte ihn aber nicht wahrnehmen, weil ich mit dem Fahrrad gestürzt bin. Könnte ich einen neuen Termin ausmachen?"

Einen kurzen Moment lang kam ich mir vor, als wäre ich bei der Versteckten Kamera gelandet. Dann ging ich zu meinem Chef und wir riefen die Polizei. Als wir den Beamten den Namen der Dame sagten, war es ein bisschen, als hätten sie schon auf den Anruf gewartet: Die Frau war offensichtlich ein paar Tage zuvor aus der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik ausgebrochen, seitdem lief auf Hochtouren eine Suche nach ihr.

Die Dame wurde von den Beamten abgeholt und in die geschlossene Anstalt zurückgebracht. Irgendwie tut mir die ganze Geschichte im Nachhinein leid. Ich hoffe sehr, dass es der nackten Frau jetzt wieder besser geht. Wenn ihr in eurem Berufsleben ähnlich kranken oder noch kränkeren Scheiß erlebt, schreibt gerne ein Mail an tori.reichel@vice.com.