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Rentner entfacht mit Fotos von Pflegeheim-Essen erneut Debatte um Alterswürde

Nachdem seine Bilder viral wurden, bekam Jürgen E. Probleme mit der Heimleitung und muss sich nun eine neue Bleibe suchen.
Fotos: Screenshot

Jürgen E. ist Frührenter, wohnt in einem Nürnberger Altenheim der Kette Pro Seniore und ist mit den dort herrschenden Verhältnissen ziemlich unzufrieden.

Aus dieser Unzufriedenheit heraus hatte er letzte Woche damit begonnen, das Essen, was ihm im Heim vorgesetzt wird, zu fotografieren und auf Facebook zu veröffentlichen.

Wie uns die mit Jürgen befreundete Marion Engling am Telefon erklärte, gehe es ihm bei seinem Social-Media-Protest aber nicht in erster Linie um die Verpflegung im Heim, sondern die im Allgemeinen katastrophalen Zustände, zu denen sich Engling aufgrund der aktuellen Auseinandersetzung mit der Heimleitung aber nicht näher äußern wollte.

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Anstatt irgendeine Verbesserung seiner Situation zu erreichen, wäre Jürgen E. von der Heimleitung fast rausgeschmissen worden.

Denn anstatt irgendeine Verbesserung seiner Situation zu erreichen, wäre Jürgen E. von der Heimleitung fast rausgeschmissen worden, steht mit dieser nun auf Kriegsfuß und hat außerdem einen Haufen BILD-Reporter vor der Tür.

Seniorenmahlzeit aus dem 3D-Drucker

Ganz nebenbei hat die virale Verbreitung der Fotos groteske Züge angenommen: Die Berichterstattung über Jürgens Lage wurde vom rechten Spektrum begeistert für eigene Zwecke instrumentalisiert—und so schämte sich Ex-Pegidaführer Lutz Bachmann nicht, den Fall folgendermaßen zu kommentieren:

„Das Essen ist Scheiße, er ist Deutscher Frührentner und nun fliegt der Herr sogar raus aus dem Heim. […] Während die Glücksritter die Essensration während des Ramadan lieber im Müll entsorgen und für Bargeld statt Verpflegung in Streik gehen, muss der liebe Jürgen nun sehen, wie er wieder ein Dach über'm Kopf und überhaupt was zu fressen bekommt." (sic)

Gleichzeitig diskutieren User wie wild darüber, ob das gezeigte Essen nun wirklich schlecht sei, oder passierte Nahrung eben eine schlichte Notwendigkeit für kranke Patienten. Einige empfehlen dem Altersheim, das Essen über Silikon-Formen einfach wieder in schmackhafte Form zu bringen:

Foto: Screenshot

Unterdessen berichten einige Medien, wie z.B. Bild, Jürgen E. sei Mitglied der Satirepartei Die PARTEI. Andere spekulieren, die ganze Geschichte sei nur ein PR-Stunt.

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Fakt ist dagegen, dass die Facebook-Seite Jürgen fotografiert sein Essen - Residenz Seniorenheim (an die der Rentner seine Fotos geschickt hatte) von Jürgen E.s langjähriger Bekannter und DIE PARTEI Österreich-Mitglied Eva Rußegger betrieben wird. Denn „Jürgen hat im Heim kein WLAN und besitzt auch gar kein Smartphone", erklärt Marion Engling.

Auf Rußeggers Initiative ist es dann wohl auch zurückzuführen, dass Jürgen E. sich über Facebook offiziell vom rechten Lager à la Bachmann distanzierte und dafür jede Menge Social-Media-Applaus bekam:

Ebenso wie Marion Engling übernimmt Rußegger dieser Tage die Presseanfragen für Jürgen E., dessen Gesundheitszustand mit einem Gewicht von 45 Kilo bei 1,80 Meter instabil ist. Engling kümmert sich vor allem darum, eine neue Unterkunft für den ehemaligen DJ zu finden—was sich als äußerst schwierig gestaltet—und versucht ihm bei der Auseinandersetzung mit der Heimleitung zur Seite stehen.

Als sie E. gestern zu einem Treffen begleiten wollte, wurde sie allerdings prompt des Hauses verwiesen. Einen unabhängigen Zeugen für E.s Behauptung, die Heimleiterin habe ihn mit Frist zum August rausgeschmissen, gibt es also nicht. Die Pressesprecher von Pro Seniore dementieren E.s Aussage derzeit auch weiterhin. Engling hofft, dass sie bei einem erneuten Gespräch zwischen E. und Heimleitung am morgigen Donnerstag dabei sein darf.

Auch wenn Jürgen E. aktuell in der schwierigen Lage steckt, einen neuen Heimplatz finden zu müssen, einen Rechtsstreit mit Pro Seniore fürchtet und von den Medien belagert wird, ist sein ursprüngliches Anliegen, die öffentliche Wahrnehmung für den prekären Zustand des deutschen Pflegesystems zu schärfen, tatsächlich gerade dabei, zu einem vollen Erfolg zu werden.