Blindgänger
In Darknet-Foren diskutiert der heute 26-Jährige am liebsten über technische Details und mimt den hilfsbereiten Experten, der harmlosen Hobbyschützen den Wunsch nach der eigenen Wumme erfüllt—was einige seiner Empfänger mit den Waffen wirklich anstellen, erfährt er erst vier Jahre später im Gerichtssaal: Drogenhändler tragen mit den Waffen ihre Revierkämpfe auf den Straßen Großbritanniens aus, manche landen in den Händen von Zivilfahndern und ein Käufer aus Bayern richtet sich mit einer Waffe selbst.„Ich kann dir versprechen, hier wirst du alles, was illegal ist, zu Geld machen."
Zwischen Vorlesung und Darknet-Deals
Im August 2013 beginnt er, was er später als „Traumjob mit Traumverdienst" bezeichnen wird: Er eröffnet ein Händler-Profil auf dem Darknet-Schwarzmarkt Black Market Reloaded (BMR)—verglichen mit üblichen Nicknames wie „ThePusher" oder „Agoradick1" (wie zwei seiner Kunden hießen) wählt er ein wenig glamouröses Pseudonym: „Max Mustermann". Doch seiner Popularität in der Waffen-Community des Deepwebs tut diese etwas einfallslose Branding-Strategie keinen Abbruch: Max Mustermanns Erfolgsrezept besteht vor allem im Aufbau von langfristigem Kundenvertrauen sowie in seiner hilfsbereiten Art: Neuen Händlern gibt er bereitwillig Empfehlungen mit auf den Weg und selbst für die Konkurrenz hat er Verkaufstipps auf Lager.„Wir hatten ständig politischen Druck, auf höchster Ebene, den Fall möglichst schnell zu lösen," gibt die BKA-Beamtin zu Protokoll.
Max Mustermann führt einen bunten Strauß an Waren in den Regalen seiner virtuellen Waffenboutique—er bietet nicht nur Knarren, sondern vor allem auch Munition an. Es dauert nicht lange, bis er merkt, dass der Verkauf von Munition sogar das lukrativere Geschäft ist. Auch im Darknet gilt das Prinzip: Kleinvieh macht auch Mist.Die großen Gewinnmargen allerdings lassen sich mit Waffen erzielen. Eines der ersten von ihm verkauften Modelle ist eine vollautomatische Pistole aus türkischer Herstellung, das Angebot ist einfach überschrieben mit „Zoraki 925 full auto Pistol". Die Waffe erwirbt K. als sogenannte Dekowaffe. Vor dem Umbau liegt der Einkaufspreis bei wenigen hundert Euro, Mustermann verkauft die Waffe wohl für über 1.000 Euro.Jahre später offenbart die Anklageschrift, wie hoch die Margen bei den Waffenkäufen von Mustermann sind: So kaufte K. eine Dekowaffe für 200 Euro, die er später für 2.000 Euro im Darknet vertickt. Alles, was er noch erledigen muss, sind fachmännische Handgriffe wie das Herausschleifen von Dekowaffenstempel und Beschusszeichen sowie das Herausbohren des Stahlstiftes.Betreiber von Tor-Servern erklären, warum die Technologie des Darknets längst nicht nur dunkel ist
Märkte kommen, Märkte gehen: Max Mustermann bleibt
„If maxmustermann1 is selling it, then its legit, quality and he will deliver…had quite a bit of business with him and yes I have verified its the same vendor from BMR", schreibt ein Kunde. Es sind Rezensionen, wie sie sich jeder eBay-Händler wünscht: „Alles Super, gute Ware und neutrale Verpackung 5/5 . Gerne wieder", erklärt ein Kunde, der sich gerade 50 Schuss Munition für seine Büchsen beschafft hat.„Wir könnten seine Hilfe für die Klausuren gerade gut gebrauchen."
All das geht aus den umfassenden Kopien von Darknet-Foren und Nutzerprofilen hervor, die ein unabhängiger Sicherheitsforscher öffentlich zugänglich gemacht und die von Motherboard aufgearbeitet wurden. Der von Gwern Branwen hochgeladene Datensatz ist zwar umfassend (und schon im mehrfach gepackten Format 51 Gigabyte groß), aber dennoch nicht lückenlos. Zusammen mit anderen Motherboard vorliegenden Dokumenten und Recherchen in Unterfranken lässt sich dennoch ein umfassendes Bild des Aufstiegs und Falls von Max Mustermann nachzeichnen.Mit seinem Smartphone bestellt Smokey die Ware aus seiner Gefängniszelle heraus—und lässt die Waffen an Komplizen auf der Straße ausliefern.
Der Campus-Camper mit Pizzaofen und Feldbett
Eines kam den Kommilitonen aber schon länger komisch vor: K. hält sich verdächtig gerne auf dem Campus der Fachhochschule auf—häufiger, als es wohl der fleißigste Student tun würde. Er ist so oft vor Ort, dass er zeitweise mehrere Bibliotheksschließfächer dauerbelegt, auf dem Campus duscht, schon mal ein Nickerchen auf einem mitgebrachten Feldbett macht und einen Pizzaofen für die schnelle Mahlzeit mitnimmt, wie Kommilitonen erzählen.
Der ominöse Ire
Blöderweise, so fährt K. fort, verschwand der ominöse Ire so schnell wie er gekommen war und K. bleibt auf seinem mittlerweile scharf gemachten Blechhaufen sitzen. „Ich hatte gar nicht vor, mir einen Berg Waffen zu besorgen", versicherte K. dem vorsitzenden Richter. Doch als sich der Ire nicht mehr meldete, hatte er den sprichwörtlichen Salat und habe sich genötigt gesehen, die Dinger anderweitig loszubekommen. Er landete also laut eigener Aussage eher unabsichlich auf den einschlägigen Marktplätzen im Darknet.Auch der Amoktäter von München soll seine Waffe im Darknet gekauft haben
Zumindest auf den öffentlich einsehbaren Foren des Darknets, über die K. häufig kommunizierte, finden sich keinerlei Belege, die diese Einstiegsgeschichte bestätigen. Tatsächlich erklärt K. in interessierten Käufer zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt sogar, schon einmal erfolgreich nach Irland versendet zu haben. Die von Motherboard aufgearbeiteten Datensätze zeigen außerdem, dass der Nutzer Max Mustermann schon nach wenigen Wochen nicht nur einen Waffentypus verkauft, sondern ein vielfältiges Produktangebot mit verschiedenen Munitionstypen auf seinem Profil eingestellt hat.Damit bietet Mustermann eine Ware feil, die im Verhältnis zu anderen Darknet-Angeboten deutlich weniger verbreitet ist. Den überwiegenden Teil der über Darknet-Schwarzmärkte abgesetzten Waren machen dabei Drogen aus, aktive Waffenhändler, die laut ihrer Bewertungen tatsächlich zu verkaufen scheinen, gibt es in der aktiven Zeit von Mustermann nur weltweit rund ein Dutzend. Wie groß der Anteil illegaler Aktivitäten am Tor-Netzwerk überhaupt ist, lässt sich ebenfalls nur schwer beziffern. Während eine Studie Anfang dieses Jahres zu dem Schluss kam, dass Darkweb-Seiten mehrheitlich für Verbrechen genutzt werden, rechnen andere Forscher damit, dass lediglich rund drei Prozent der Tor-Aufrufe auf sogenannte Hidden Services (zu denen auch die Darknet-Schwarzmärkte zählen) abfallen.„Also ich habe mir einfach die Waffen besorgt und sie eingestellt. Leg dir einen Vendoraccount zu, so lange er noch so billig ist und lege los."
Obwohl K. vor Gericht beteuert, sein Wissen über den Umbau ausrangierter Kriegswaffen ausschließlich aus YouTube-Videos erworben zu haben, tragen seine technischen Fertigkeiten sicherlich nicht unwesentlich zu seinem erdrutschartigen Geschäftserfolg bei. Schon bevor er sich in den den FH-Studiengang Mechatronik einschreibt, hat K. als Mechaniker arbeitet. Alle Waffen, die er verkauft, baut er eigenhändig um und macht sie scharf.Dass er, wie er selbst zugibt, im Darknet nur wenige Konkurrenten hatte, liegt unter anderem daran, dass es eigentlich nicht vorgesehen ist, Dekowaffen zu scharfen Knarren umzufertigen. Denn diese ausrangierten Schießeisen müssen, bevor sie legal verkauft werden dürfen, eigentlich so präpariert werden, dass damit nie wieder ein Schuss abgefeuert werden kann. Das geschieht im Normalfall durch maximal-invasive Eingriffe in die Mechanik der Waffe: etwa durch Aufbohrung des Laufs, Verschweißen des Patronenlagers und durch einen Stahlstift im Lauf, der verhindert, dass ein Projektil die Waffe verlässt.Der Fall „Gunny": Es gibt auch Online-Waffenhändler, die gar keinen Tor-Browser brauchen
Die erste Spur
Die Sache mit den Hobbyschützen
Die Maschinenpistolen, die Smokey bei K. bestellte, hatte er an Komplizen außerhalb der Gefängnismauern liefern lassen. Den Tor-Browser gibt es schließlich auch für das Handy—das Bitcoin-Wallet von Smokey bleibt für die Gefängnisbeamten unsichtbar.Dass selbst die auf YouTube gelernten einfachen Umbauten überflüssig waren, erfährt K. erst im Gericht. Tatsächlich hätte ein Schuss mit Munition genügt, um die Waffe scharf zu machen.
Krisentreffen in Den Haag
„Eine gigantische Waffenwaschanlage"
Die AFG ist unter Waffenkunden vor allem für ihre laxen Standards beliebt, mit denen sie alte Militäreisen entschärft. Denn Dekowaffe ist nicht gleich Dekowaffe: Die Kriterien für die Deaktivierung von Kriegsgerät variieren in den Ländern der Europäischen Union stark. Erst nach dem Anschlag auf die französischen Satiriker des Magazins Cherlie Hebdo änderte sich, auf Druck der EU, das slowakische Waffengesetz. Neben der Verschärfung der Rückbaukriterien wurde der Online-Verkauf von Dekowaffen verboten.Wie einfach AFG es ihren Kunden machte, aus ihren Produkten funktionierende Schießeisen zu machen, kam übrigens erst ans Licht, als ein BKA-Spezialist im Zuge der Ermittlungen gegen die AFG eine angebliche Dekowaffe auf ihre Funktionstüchtigkeit testete: Ein Schuss mit scharfer Munition genügte—und der Stahlstift im Lauf, der das Projektil blockieren sollte, löste sich von selbst. Nicht einmal K. wusste davon, wie sein Anwalt Jochen Kaller gegenüber Motherboard erklärte.In den Waffenhandelsbüchern von AFG taucht der Name Christoph K. übrigens gar nicht auf. Als die slowakischen Behörden die Firmenunterlagen der AFG beschlagnahmen und die sensiblen Informationen über das weltweite Kundennetzwerk des Waffendrehkreuzes an Europol weitergeben, findet das LKA nur einen gewissen Manfred H. in den handschriftlich verfassten Notizbüchern. Denn K. ließ sich die Maschinenpistolen pikanterweise in das Haus seines verstorbenen Nachbarn mit diesem Namen liefern—möglicherweise in weiser Voraussicht, was er eines Tages mit den noch unscharfen Dekowaffen alles anstellen wird.„Für den etwas gewöhnungsbedürftigen Preis von 3000 Euro kann ich eine [Glock] auftreiben. Das geht zwar nicht über Nacht, da ich mein Waffen in Osteuropa, aber auftreibbar sind die für mich", erklärt Mustermann auf Nachfrage im Forum.
Blinde Recherche und ein Glücksfund beim BKA
Aus den zahlreichen Bewertungen des Händler-Accounts schließen die Ermittler jetzt, dass in der Vergangenheit schon zahlreiche Waffen über den virtuellen Ladentisch gingen. Max Mustermann wird zum Ziel Nummer Eins.Eine Tour durch die schönsten, schrägsten und absolut legaln Seiten des Deepwebs