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Die längste Wahl der Welt

Wann haben wir die Nachwehen der Wahl endlich überstanden?

Das Gerücht um einen Wahlbetrug bei der Bundespräsidentenwahl lebt weiter. Wie lange soll uns die Wahl bitte noch in unseren Albträumen verfolgen?

Seit vergangenem Montag steht das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl fest und Alexander Van der Bellen ist mit 50,3 Prozent unser nächster Präsident. Das Rennen war spannend, der Wahlkampf war mühsam und viele sprechen aufgrund des knappen Ergebnisses aktuell gerne und vor allem sehr dramatisch von einem "gespaltenen Österreich".

Seither wird von einigen Seiten ein möglicher Wahlbetrug suggeriert—dagegen hilft leider auch kein ausführlicher Fact-Check von Journalist Martin Thür. Norbert Hofer und Strache geben sich zumindest offiziell ziemlich staatsmännisch und haben zu Vernunft und dazu aufgerufen, "das demokratische Wahlergebnis anzuerkennen." Strache zeigt sich in einem Posting von Dienstag außerdem ungewohnt deeskalierend und schreibt auf seiner Facebook-Page: "Ich fordere alle, die sich hier an Diskussionen beteiligen, dringend zur Besonnenheit und zur Mäßigung auf." Außerdem hat sich die Bundes-FPÖ in Form von Mastermind Herbert Kickl erst einmal davon distanziert, nur um der Wahlanfechtung Willen die Wahl anzufechten. Das ist taktisch ziemlich klug, weil die Bundes-FPÖ somit den guten Verlierer mimt. Kurze Zeit später hat die FPÖ Villach eine Anzeige wegen Manipulationsverdachts eingereicht.

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Und auch Heinz-Christian Strache erhebt trotz aller Distanzierung indirekt Vorwürfe auf seiner Facebook-Seite und wird nicht müde, seine Facebook-Gefolgschaft anzustacheln. Seit der Verkündung des Ergebnisses am Montag hat er auf seiner Page sechs Postings veröffentlicht, die sich mit dem Thema Wahlbetrug beschäftigen. Er spricht nichts direkt aus, gibt aber mit Aussagen wie "Viele Fragen bleiben offen" genug Zündstoff für Kommentare wie diese hier:

Der FPÖ kommt diese misstrauische Stimmung und Frustration der Wähler gelegen. So können sie weiterhin ihre Rolle als Underdogs ausbauen, als die verkannte Mehrheit, die vom Establishment mit allen Mitteln verhindert werden will—sogar mit vermeintlichem Wahlbetrug. Dass Strache diese Fantasien auf Facebook jedoch anheizt und gezielt Öl ins Feuer gießt, ist wahrscheinlich sogar für ihn eine neue Dimension der Social Media-Stimmungsmache.

Aktuell kümmern sich das Innenministerium und die Staatsanwaltschaft um die bisher bekannten Unregelmäßigkeiten. In fünf Bezirken (vier davon in Kärnten, einer in der Steiermark) wurden die Wahlkarten zu früh ausgezählt und die Wartefrist bis zum Morgen des Folgetages wurde nicht eingehalten. Die Bezirke wurden bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Auch das Innenministerium, oder zumindest dessen Social Media-Beauftrager, scheint das alles nicht mehr lange ertragen zu können und schreibt in einem Posting zum Thema "Zum Heulen ist das." Wo er Recht hat, hat er Recht. Eine solche Äußerung von offizieller Seite scheint in einer ohnehin schon extrem hitzigen Diskussion dennoch etwas fehl am Platz.

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Auch kursiert aktuell ein YouTube-Video, in dem ein gewisser Chris Bienert über seine Erlebnisse am Wahlsonntag spricht. Er erzählt, dass er eine Wahlkarte beantragt hatte und dennoch zusätzlich im Wahllokal wählen konnte. Er erzählt sehr ausführlich von möglichen Fehlerquellen bei der Wahl, will aber natürlich niemandem etwas unterstellen. Ist "Ich will ja nicht von Wahlbetrug sprechen, aber …" das neue "Ich bin ja kein Nazi, aber …"?

Er hat sein Video erst auf Vimeo unter dem Titel "Wahlkarte Fail—Doppelwahl in Wien wäre möglich gewesen" hochgeladen. Später wurde es von dem YouTube-Account namens AustriaOccupy mit dem Zusatz "Wahlbetrug?" veröffentlicht. Sieht man sich den Account genauer an, findet man einerseits ein Titelbild mit der Aufschrift "Anonymous Austria" und andererseits eine sehr eigenwillige Mischung aus Videos. Neben Beiträgen zum Thema Wahlbetrug, meist Ausschnitte aus der ZIB, gibt es dort mitunter zahlreiche Ausschnitte, in denen Norbert Hofer zu sehen ist, oder Videos zum Thema Flüchtlingskrise. Die Tendenz der Inhalte gestaltet sich dabei recht einheitlich. Ob der Account offiziell etwas mit Anonymous Austria zu tun hat, lässt sich nur schwer sagen. Auch über Chris Bienert, der im Video von seinen Erlebnissen berichtet, lassen sich nur wenige Infos finden. Er betrieb früher ein Fliegenfischergeschäft in Wien und bietet unter anderem Fischerkurse an.

Im Regelfall werden wahlberechtigte Bürger, die eine Wahlkarte beantragt haben, gekennzeichnet, sodass sie nicht doppelt wählen können. Bei Chris Bienert war dies anscheinend nicht der Fall, wie er im Video erzählt. Ob es sich dabei um gezielten Wahlbetrug oder einen bedauernswerten Schlampigkeitsfehler handelt, bleibt offen. Genauso wie die Frage, warum er überhaupt noch einmal ins Wahllokal geht, wenn er eine Wahlkarte beantragt hatte. Offensichtlich verwenden manche die Option der Briefwahl aus reiner Bequemlichkeit und nicht, weil sie am Wahltag tatsächlich verhindert sind, in ihr Wahllokal zu gehen.

Die FPÖ hat übrigens bis 9. Juni Zeit, die Wahl anzufechten. Denn erst dann, wenn das Wahlergebnis am 1. Juni per Anschlag auf der Amtstafel des Innenministeriums offiziell wird, beginnt die achttägige Frist, während der die Wahl angefochten werden kann. Bis dahin sammelt die FPÖ noch verdächtige Fälle und bittet beispielsweise Facebook-User um Zusendungen. Aber nicht alle nehmen diese Aufforderung ernst:

Bis dahin bleibt nur noch zu hoffen, dass etwaige Unregelmäßigkeiten erfolgreich aufgeklärt und erklärt werden können. Die Gerüchte um den Wahlbetrug werden bei einem derart knappen Ergebnis dennoch mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit weiterleben. Damit müssen wir uns wohl oder übel abfinden. In emotionalisierten Debatten dringen Argumente oft nicht mehr durch. Und wahrscheinlich gibt es bei jeder schweren Geburt auch schwere Nachwehen, die man im Moment selbst nur schwer aushalten kann. Im Nachhinein betrachtet sind sie einfach ein unvermeidlicher Teil eines großen Ganzen.

Verena auf Twitter: @verenabgnr