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Wie man den Rauchern die Würde lässt

Eine Rauchstopp-Hotline ist eine gute Sache, aber noch teurere Zigis und Open-Air-Fumoirs nehmen den Rauchern Freiheit und Würde.
Foto von Benjamin von Wyl

Die neue Rauchpräventionskampagne des Bundesamt für Gesundheit BAG hat lustige Bilder. Richtig toll designte Rauchwolken um Köpfe von jungen Menschen, die meinem Umfeld entstammen könnten. Die eine—Sophie—heisst und sieht aus wie jemand, der früher mal bei uns gearbeitet hat. Das einzige was ich dran nicht mag, ist der weisse Balken „Ich bin stärker." (So viel Pathos.) Ob ich wegen diesem Plakat mit dem Rauchen aufhöre, weiss ich nicht.

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Momentan habe ich eine solche Erkältung, dass ich nicht rauchen kann. Und zumindest ein Teil von mir wünscht sich diese Erkältung so lange, bis ich vom Rauchen so entwöhnt bin, dass ich via Krankheit mit dem Rauchen aufhöre. Wenn ich dann soweit bin, dass mein Rachen wieder fähig ist Rauch zu transportieren, dessen Teer mir Rachen und Lunge asphaltiert, rufe ich vielleicht auch bei der Rauchstopp-Hotline an.

Ich denke nicht, dass die Hotline zu einem wichtigen persönlichen Sozialkontakt wird, aber ich fühle mich durch sie auch nicht in meiner Freiheit eingeschränkt. Es gibt sie und damit gut. Wenn ich mal aus Versehen oder betrunken da anrufe, kostet mich das nicht mal was, da es eine 0848-Nummer ist.

Alle Plakate zur Verfügung gestellt vom Bundesamt für Gesundheit

Soweit so gut und ich wär auch brav ruhig gewesen—ausser wenn ich dann tatsächlich für immer mit dem Rauchen aufgehört hätte. Aber SP-Nationalrätin Bea Heim hat 20 Minuten Dinge gesagt, die mich wirklich wütend machen: „Ich habe tabaksüchtige Menschen in Reha-Kliniken gesehen, die trotz Herzinfarkt oder Lungenkrebs weitergeraucht haben. Wegen einem solchen Plakat oder Kurzfilm hört kaum jemand auf zu rauchen."

Natürlich gibt es Menschen, die weiterrauchen werden, wenn sie Lungenkrebs haben. Natürlich gibt es immer Menschen, die ihre Süchte verfolgen. Die auch nach der Magenband-OP Salamipizzas in sich reinstopfen, obwohl das ihrem Körper widerstrebt. Die auch nach dem dritten psychotischen Anfall noch kiffen. Natürlich, gibt es Menschen, die gegen ihre Sucht verlieren. Oder die ihre Sucht über ihren Lebenswillen stellen—was rein abstrakt betrachtet auch ganz okay ist.

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Das persönliche Erlebnis von Bea Heim—inVICE-Headline-Sprech „Ich war in der Reha-Klinik und hab den Lungenkrebskranken beim Rauchen zugesehen."—hilft als Argument gegen die BAG-Kampagne also schon mal nicht weiter. Denn diese Süchtigen werden von einer Hotline ebenso nicht erreicht wie von „mehr Aufklärung an Schulen", ein Vorschlag von Bea Heim im selben Artikel.Weiter fordert Bea Heim, das Rauchen zu verteuern und die Gelegenheiten weniger zu machen.

Ich war letzte Woche in Norwegen und dort gibt es auch draussen Glaskabinen, in denen Raucher rauchen noch rauchen dürfen. Statt dass man den Menschen, die durch ihre Sucht die eigene Gesundheit gefährden, Frischluft gewährt, dürfen sie ihre Zigis nur im Glaskasten wegglimmen. (Selbstverständlich haben wir uns nicht an diese Vorgaben gehalten und in etlichen Rauchverbotszonen geraucht.)

Foto von Evan Ruetsch

Drum, liebe Bea Heim—das „Du" ist okay; wir sind in derselben Partei: Ich bin ja dafür, dass man das Passivrauchen reduziert. Ich verstehe, dass Rauchschwaden für Leute, die im Service arbeiten, ein krasses Gesundheitsrisiko darstellen. Aber eine Gesellschaft, in der Extrakapseln gebaut werden, um die Raucher zu isolieren, kann nicht das Ziel sein. Das Ziel ist natürlich individuell. Meins ist aber Freiheit, unabhängig vom persönlichen Hintergrund und den Mitteln. Die Rauchstopp-Hotline der neuen BAG-Kampagne ist niederschwellig und freiwillig. Will ich nichts mit ihr zu tun haben, kann ich wegschauen. Will ich mit dem Rauchen aufhören, kann ich anrufen.

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Und du hast ja noch keine Raucher-Glaspranger gefordert, aber auch die Verteuerung von Zigaretten-Päckli kann nicht grenzenlos weitergehen, denn irgendwann rechtfertigt das Abschreckungsmoment nicht mehr die Einkommenseinbussen, welche die Raucher zu tragen haben. (Ja, wir haben norwegische Zigi-Preise gesehen—unsere Vorräte aber entweder mitgebracht oder im Duty-free zusammengekauft.) Weil weniger Geld in unserer Gesellschaft oft auch weniger Freiheit heisst. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral"—Das absolute Klischeezitat aus Brechts Dreigroschenoper, theoretischer muss Ideologie nicht sein.

Ich weiss nicht, ob ich jetzt, in fünf Jahren oder nie mit dem Rauchen aufhöre. Ich halte das Rauchen für eine Sucht, aber ich bin mindestens so süchtig nach Arbeit, Triple Chocolate Chip Cookies oder der Zeitung DIE ZEIT. De facto kämpft das Rauchen in mir auch mit der Selbstzerstörungslust beim Joggen.

Vom Rauchen bin ich so oft erkältet, dass ich halb so oft joggen gehe. Joggen gehe ich aber nicht primär der Gesundheit willen, sondern weil ich die Glückshormone liebe, die mich nach 2.5h-Verausgabung durchfliessen.

Foto von Evan Ruetsch

Vielleicht bin ich ja der einzige, der ein Grossteil seines Lebens mit Süchten bestreitet. Und natürlich gibt es gesündere und schädlichere Süchte. Natürlich ist es wichtig und richtig, dass das BAG Rauchern, die aufhören wollen, diese Möglichkeit bietet. Raucher sind auch Menschen. Oder wie es Rainald Grebe singt: „Raucher waren keine Mörder, sondern Mitbürger … In den 90er Jahren."

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