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Sex

Der Preis vom späten Verlust der Jungfräulichkeit

Der Versuch, die "verlorene" Zeit aufzuholen, bringt doch einige Probleme mit sich.

Titelfoto: Wyatt Fisher | Flickr | CC BY-SA 2.0

In seinen 20ern versuchte Jin Wu ein Jahr lang, den fehlenden Sex seiner Jugend aufzuholen. Er verlor seine Jungfräulichkeit nämlich erst mit 23, nachdem er sich sein Leben lang übergangen gefühlt hatte.

"Es machte mich richtig wütend, wie meine Klassenkameraden jeglicher Ethnie damit angaben, Sex zu haben", erzählt Wu, der selbst Asiate ist. "Ob meine Herkunft da eine Rolle spielte? Vielleicht, vielleicht auch nicht."

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Als er dann endlich zum ersten Mal Sex hatte, fühlte er sich toll und richtig befreit. Als die Beziehung mit seiner Freundin dreieinhalb Jahre später allerdings in die Brüche ging, kam auch Wus Sexleben abrupt zum Stehen. Er war 26, hatte bis dato nur mit einem einzigen Menschen geschlafen und es ging ihm deswegen richtig miserabel. Also tat er das Einzige, was ihm in dieser Situation logisch erschien: Er versuchte, so schnell wie nur möglich so viel Sex wie nur möglich zu haben.

"Die Sexualentwicklung ist ein sehr wichtiger Teil sowohl der persönlichen Gesamtentwicklung als auch der Identität eines Menschen", erklärt Dr. Michael Aaron, ein Sexualtherapeut aus New York, der laut eigener Aussage schon mit vielen Patienten zu tun hatte, die in Bezug auf die Anzahl ihrer Bettpartner "aufholen" wollten. "Wenn man das Gefühl hat, hier etwas verpasst zu haben, dann entwickelt sich der Eindruck, dass permanent etwas fehlt. Verpasste sexuelle Chancen aufzuholen, ist oftmals nur ein Aspekt eines allgemeinen Verlangens, 'vollständig' oder komplettiert zu sein."


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Für Wu sah dieser Prozess dann folgendermaßen aus: Er verschlang Bücher, die er inzwischen als "Müll zum Thema Verführung" bezeichnet—wie etwa Die perfekte Masche oder Assholes Finish First. So wollte er lernen, wie man Frauen am schnellsten abschleppt. Anschließend fing er an, sich in Bars, in Clubs und auf Dating-Websites rumzutreiben, um die Zahl seiner Bettpartnerinnen nach oben zu schrauben.

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"Ich hatte so viel Sex mit so vielen Frauen an so vielen verschiedenen Orten wie nur möglich", erzählt er. "Ich redete mir immer wieder ein, dass das jetzt die Wiedergutmachung für all die Jahre sei, die ich verpasst hatte."

Diese Phase hielt ungefähr ein Jahr lang an und hinterließ Wu aufgrund der ganzen Dates, Abendessen, Drinks und neuer, schicker Kleidung mit 6.000 Dollar Kreditkartenschulden. Nach 26 Sexpartnerinnen hörte er übrigens auf zu zählen.

Wus später Start und der daraus resultierende "Wiedergutmachungsrausch" könnten ihn aber nicht nur Geld gekostet haben. Eine 2008 im American Journal of Public Health veröffentlichte Studie zeigt nämlich, dass eine verzögerte sexuelle Aktivität unter Umständen Gesundheitsrisiken mit sich bringt, weil die Entwicklung von emotionalen, kognitiven und zwischenmenschlichen Fähigkeiten gestört wird. Diese Fähigkeiten sind wichtig für eine zufriedenstellende Sexualität und für das allgemeine Wohlbefinden. Der Studie zufolge gelten Menschen, die erst mit 22 oder noch später zum ersten Mal Sex hatten, als "Spätzünder".

In Bezug auf die Folgen eines späten Verlusts der Jungfräulichkeit gibt es noch nicht viel Forschung. Die meisten Experten, die sich in diesem Artikel äußern, haben zwar noch nie wirklich Studien speziell zu diesem Thema gesehen, dafür aber schon Menschen betreut, die den Drang verspürten, den gefühlten Mangel an Sex in ihrem Leben zu kompensieren. Im Internet lassen sich zudem einige Communitys zu dieser Diskussion finden und das New York Magazine hat vor Kurzem das Sex-Tagebuch einer Frau veröffentlicht, die einiges aufholen will.

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Tara Morgan* schlief mit 26 zum ersten Mal mit einem Mann. Mit Anfang 20 noch Jungfrau zu sein, hatte sie vorher nie gestört. Dann verlor sie jedoch ihre Jungfräulichkeit und hatte plötzlich das Gefühl, ihre besten Jahre verschwendet zu haben.

"Ich verspüre einfach diesen inneren Druck, dass ich etwas verpasse", sagt sie. "Meiner Meinung nach habe ich alle diese Jahre verschwendet, indem ich bezüglich meines ersten Mals unsicher, schüchtern und nervös agierte. Das hat nichts gebracht. Jetzt bin ich quasi gezwungen, meine Sexualität zu genießen und voll auszukosten." Natürlich sind auch die Menschen, die ihre Jungfräulichkeit im "Durchschnittsalter" verlieren, nicht immun gegen die Unsicherheit, die Spätzünder verspüren. Ich hatte mit 18 zum ersten Mal Sex und war trotzdem jahrelang erpicht darauf, die verlorene Zeit aufzuholen—genauso wie Wu und Morgan. Irgendwann erkannte ich jedoch, dass ich genügend aufgeholt hatte. Dazu kam dann noch, dass es keinen Reiz mehr hatte, immer mehr Sexpartner anzusammeln. Es erfüllte mich nicht mehr. Es machte sich deswegen eher eine Leere in mir breit.

Laut Sari Cooper, einer Sexualtherapeutin aus New York, ist das eine normale Reaktion. "Der Selbstvorwurf, dass man eigentlich schon mit mehr Menschen geschlafen haben sollte, bringt einen sehr wahrscheinlich nicht weiter", sagt sie.

Der inzwischen 32 Jahre alte Matthew Kennedy verlor seine Jungfräulichkeit mit 18. Bis zu seinem 22. Lebensjahr schlief er dann nur mit einer Person. Danach versuchte er aktiv, sein Sexleben richtig in Fahrt zu bringen. Im darauffolgenden Jahr hatte er in diesem Zug mit acht verschiedenen Frauen Geschlechtsverkehr, aber schon bald kam er zu dem Schluss, dass er sich deswegen nicht mehr so viele Sorgen machen sollte. Wenn man Sex nämlich nur als eine Art Wettbewerb ansieht, dann geht der eigentliche Sinn verloren.

"Die Anzahl meiner Bettpartnerinnen war nach dieser Erkenntnis nicht mehr so wichtig wie die Erfüllung für beide Seiten—sowohl körperlich als auch emotional. Deshalb fing ich an, mich eher auf diesen Aspekt zu konzentrieren", erzählt Kennedy. "Wenn ich ein verständnisvollerer Partner bin und meine eigenen Wünsche besser verstehe, dann kann ich den Sex auf jeden Fall viel besser genießen als damals während meiner 'Aufholphase'."

*Name geändert

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