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Hooligans

Wie mich zehn Jahre als Hooligan zu einem besseren Menschen machten

Wir sind vielleicht primitiv, aber wir sind auch ein stolzer, loyaler und respektvoller Haufen. Dem ich viel zu verdanken habe. Und zwar meine heutige Persönlichkeit.

Nick Hay* war zehn Jahre lang Casual in den Niederlanden. Er bereiste Stadt und Land für seinen Fußballklub und ging der einen oder anderen Schlägerei ebenfalls nicht aus dem Weg. VICE Sports hat er erzählt, warum er glaubt, dass er durch seine Zeit als Hooligan zu einem besseren Menschen geworden ist.

Es war ein Spätsommertag im Jahr 2000, als ich zum ersten Mal zu einem Fußballspiel ohne die Aufsicht meiner Eltern gehen durfte. Ich habe noch verschwommen im Kopf, wie neben mir ein Bär von einem Kerl einen Stein fing—mit seiner Stirn. Aus seinem rechten Nasenloch kullerte ein Tropfen Blut. Der Schlag, der auf seine Stirn knallte, markierte den Beginn einer neuen Phase in meinem Leben.

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Diese Phase dauerte zehn Jahre. Neben den notwendigen Beulen, Schlägen und Nächten im Gefängnis gab sie mir ein Ziel in meinem Leben. Diese Zeit ließ mich als Mensch wachsen und ich kann sagen, dass ich es niemals bereuen werde, sie durchlebt zu haben. Zehn Jahre als Hooligan haben mich zu einem besseren Menschen gemacht.

Mit zitternden Beinen stieg ich zum ersten Mal „auf meine Tribüne". Sie war voll von halbwüchsigen Jungens, die sich prügeln wollten. Es war beängstigend, aber zugleich faszinierte es mich ungemein. Nach dem ersten Tor stürmten sie alle auf den gigantischen Zaun, der uns vom Auswärtsblock trennte. Von Angst gelähmt wurde ich durch eine Menschenmasse zu den rivalisierenden Fans gestoßen. Die Zäune hielten stand, obwohl es so schien, als ob sie unter der Last zusammenbrechen würden. Später realisierte ich, dass das gemeinsame Stürmen des Auswärtsblocks ein Ritual war. Nach jedem Treffer hingen wir am Zaun, jedes Mal hielt er stand.

Im Laufe der Jahre lernte ich die Gesetze, Vorschriften und Bräuche des Blockes und seiner Bewohner kennen. Als kleiner Bengel in der Gruppe brauchte ich Jahre, um meinen Platz auf dem Affenfelsen zu erklimmen. Buchstäblich begann ich, Jahr für Jahr ein Stück weiter die Tribüne heraufzuklettern. Meine Vorbilder wurden zu meinen Freunden—jedoch ohne, dass ich den Respekt für sie verlor. Zehn Jahre lang habe ich an meinem Platz in der Gruppe gearbeitet. Und wenn man so will, werde ich den für immer behalten. Wir erlebten Seite an Seite Geburtstage, Hochzeiten, Beerdigungen und unzählbare Kämpfe mit unseren Gegnern. Das Prestige wuchs, aber nur langsam. Es ist keine Sache von ein paar Wochen, sondern ein Prozess, der Jahre andauerte.

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Manchmal standen wir an einem dämmrigen Freitagabend in irgendeiner gottverlassenen Provinzstadt. Eine Stadt, in die wir uns nie verirrt hätten, doch der niederländische Fußballverband—genauer gesagt der Spielplan und Pokalspiele—verurteilte uns mindestens ein Mal im Jahr dazu. Dann standen wir im Abendlicht in einer fast verlassenen Gasse, tanzten mit den Füßen und hielten die geballten Fäuste vor die Gesichter. An manchen Tagen kassierten wir, weil in Unterzahl, auch mal ordentlich Prügel. Während der normale Mensch The Voice im Fernsehen schaute, mussten wir—wenn nötig—unsere Ehre verteidigen. Auch wenn wir mal verkloppt wurden und nicht gewonnen haben—das gehörte dazu. Zum Glück waren wir etwas später mit einem Paar dicken Lippen und zugeschwollenen Augen im Zug auf dem Nachhauseweg.

Von einem Tritt in Arsch stirbst du nicht. Du stehst wieder auf, klopfst dir den Staub ab und weiter geht's. Wenn ich an die letzten zehn Jahre denke, wird mir klar, dass ich durch die Rückschläge am meisten gelernt habe. Über mich selbst, über die Gruppe und über das Leben. Diese Momente haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.

Wir leben alle in so einer perfekten Welt, dass wir gewissermaßen verlernt haben, mit Rückschlägen umzugehen. Wir verhätscheln uns doch gegenseitig kaputt. Wir werden zu rückgratlosen Ja-Sagern. Alles ist erhältlich und in Reichweite. Wir müssen für nichts mehr kämpfen. In meinen Augen schadet es nicht, wenn man als Mann ein paar Mal auf der Fresse landet—und auf die Fresse bekommt.

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Ich weiß, dass das nicht normal ist. Vor Kurzem habe ich mit einem Hooligan eines anderen Vereins eines schönen Dienstagabends telefoniert. Wir kennen uns von Spielen der niederländischen Nationalmannschaft. Es war ein nettes Gespräch. Zwischen Witzen und Trashtalk haben wir uns für ein Aufeinandertreffen unserer beiden Vereine verabredet. Anzahl der Männer, Ort und Zeit: Alles war schon ausgekaspert. Vor einem Monat haben wir noch Schulter an Schulter gegen ausländische Kollegen gekämpft. Der Fight war abgesprochen. Mir ist schon klar, dass das alles nicht normal erscheint. Aber ist es wirklich so verrückt, wie du glaubst?

Die Gesellschaft kann sich so aufregen über die bösen Hooligans. Ich frage mich, wie gerechtfertigt das eigentlich ist. Was ich mache, ist primitiv und jenseits der gesellschaftlich legitimierten Grenzen. Aber ist denn alles innerhalb derselben Grenzen wirklich so perfekt? Mich kotzt all diese Entrüstung über uns „sogenannte" Fans unfassbar an. Ja, es ist nicht normal, bei Fußballspielen die Fäuste sprechen zu lassen. Aber unsere Fäuste treffen nur Menschen, die sich extra zum Prügeln mit uns treffen. Außerdem kämpfen wir nach einer Art Ehrenkodex. Wer auf dem Boden liegt, wird in Ruhe gelassen.

Chris Henderson, der Ex-Frontman der berüchtigten Chelsea Headhunters, hat in seinem Buch „Who wants it?" über die Karrieren früherer Hooligans geschrieben. „Diese alten Fans haben die unmissverständliche Aura von Menschen, die auch bei Widerstand Erfolg haben werden." Ich kann ihm nur zustimmen. Zwischen dem Jungen, der der Gruppe im Jahr 2000 beigetreten ist, und dem Mann, der zehn Jahr später aufgehört hat, liegen Welten. Ich war damals einfach eine andere Person.

Ich war nie ein knallharter Macher. Wenn es schwierig wurde, kniff ich und gab auf. Aber nach zehn Jahren inmitten von Hooligans habe ich ein neues Lebensmotto: Was muss, das muss. Manche Sachen machen keinen Spaß oder erscheinen auf den ersten Blick unmöglich. Aber indem man es immer und immer wieder probiert—und dabei gerne auch mal auf die Schnauze fällt—, erlebt man, dass man sich Erfolg erkämpfen muss.

Auch beruflich habe ich mittlerweile mehr Erfolg. Das liegt auch daran, dass ich mich an Dinge rantraue, die ich noch nie zuvor gemacht habe. Chris Henderson schrieb dazu: „Risikobereitschaft ist eine gute Eigenschaft, um ein Unternehmen zu führen." Heute mache ich da weiter, wo andere schon aufgeben, wo ich früher selber aufgegeben hätte.

Auf der Straße würdest du mich niemals erkennen. Genauer gesagt bin ich wahrscheinlich die letzte Person, von der man denken würde, dass sie ein Hooligan ist. Ich bin jemand, den Leute im Zug respektieren. Ich lebe vielleicht nach anderen Regeln, aber ich weigere mich, deswegen irgendwelche Schuldgefühle zu entwickeln. Und Karl-Heinz an der Kaffeemaschine zuzustimmen, was Hooligans alles für kranke Verbrecher sind. Hat unsere Gesellschaft nicht andere, gravierendere Probleme? Die Welt steht in Flammen und die Menschen regen sich über Hooligans auf. Wir sind vielleicht primitiv, aber wir sind auch ein stolzer, loyaler und respektvoller Haufen. Dem ich viel zu verdanken habe. Und zwar meine heutige Persönlichkeit.

* Nick Hay ist natürlich nicht sein echter Name.