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Die Schweiz eröffnet einen Tunnel und die Welt klopft ihr (endlich) auf die Schultern

Die Schweiz eröffnete mit dem Gotthard-Basistunnel einen der längsten Eisenbahntunnel der Welt. Ein seltenes Erfolgserlebnis.

Grafik von VICE Media

Fast wären ihr bei der Eröffnung des Gotthard-Tunnels bundesrätliche Tränen über die Wangen gekullert. Als Doris Leuthard, unter anderem Bundesrätin für Umwelt und Verkehr, einem italienischsprachigen Fernseh-Team ein Interview gab, stand für einige Augenblicke nicht die oberflächliche Verwunderung über ihr wie ein Emmentaler-Käse durchlöcherstes Kleid im medialen Fokus (Google-Suchergebnisse auf Schweizer Newsseiten: 38), sondern ihre Emotionen in reinster Form. Sie sprach angesichts der nach 17 Jahren abgeschlossenen Bauarbeiten von Stolz und Perfektion, von Mut und Zukunft und nicht zuletzt vom Schweizer Volk.

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Den Tränen nahe: Doris Leuthard geht dieser historische Tag emotional sichtlich nahe. ^kw [#srfgotthard](… href="https://t.co/KqusstzYun" class="redactor-linkify-object">https://t.co/KqusstzYun">https://t.co/KqusstzYun
— SRF News (@srfnews) 1. Juni 2016

Doris Leuthard hatte auch allen Grund dazu, sich eine Auszeit von der abgeklärten Regierungsarbeit zu gönnen. An keinem anderen Zeitpunkt ihrer Karriere werden sich wohl jemals wieder so viele Augen auf sie und dieses kleine Land im Herzen Europas richten, das sonst international vor allem Schlagzeilen macht, wenn es Minarette verbietet, seine idyllischen Strassenzüge mit fremdenfeindlichen Plakaten verschandelt oder sich an der Urne wieder einmal weigert, Teil des institutionalisierten Europas zu werden.

Einen Tag lang aber schaute die Welt nicht nur auf die Schweiz, sie teilte sogar Doris Leuthards Stolz darüber, dass in diesem Alpenstäätchen der—je nach Auslegung—längste oder drittlängste Tunnel der Welt erschaffen wurde.

Dementsprechend zog es nicht nur diverse Machtmenschen Europas—von der deutschen Bundeskanzlerin Merkel bis zum liechtensteinischen Regierungschef Adrian Hasler sassen alle im VIP-Zug—, sondern auch die internationalen Medien. Und sie alle hatten gestern etwas gemeinsam, sie alle freuten sich. Dass bei den Bauarbeiten Menschen starben durfte angesichts der feierlichen Performances als Kollateralschaden abgehakt werden und dass es letzten Endes eben doch nur ein Loch durch einen Berg ist, wurde für diesen einen Tag aus dem Bewusstsein verdrängt. Wohl keiner wollte der Schweiz, einem kleinen Kind gleich, dieses einmalige Erfolgserlebnis auf dem internationalen Parkett kaputt machen.

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Und so produzierten Doris Leuthards Tränendrüsen weiterhin fleissig ihr Produkt, während die Medien und die Politik ihr tröstlich auf die Schultern klopften. Wir haben eine Auswahl der internationalen Schlagzeilen nach ihrem Trostfaktor für das Kleinkind Schweiz geordnet:

Trostfaktor: 0

Die BBC gibt sich distanziert

Der Deutschlandfunk gönnt der Schweiz das volle Erfolgserlebnis wohl nicht

Auch die Daily Mail zeigt sich eher erstaunt

Trostfaktor: 1

ZEIT ONLINE gesteht der Schweiz immerhin ihren Stolz zu

Trostfaktor: 10

Die FAZ weiss wie's geht

Von einem "Meilenstein" schreibt die Süddeutsche Zeitung

Von einem "Jahrhundertbauwerk" der Tagesspiegel

TROSTFAKTOR: 1000

Der Focus scheint sogar stolzer als die Schweiz selbst zu sein

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