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Medienopfer

Der Fall Kachelmann zeigt, wie du dank Social Media deinen Ruf retten kannst

Jahrelang hat der Moderator auf Twitter für sich gekämpft. Oft laut, rechthaberisch, manchmal beleidigend. Trotzdem taugt er als Vorbild.
Jörg Kachelmann und sein Lieblingsnetzwerk Twitter
Kachelmann: Future Image | imago || Handy: cabashito | pixabay || Twitter: Wikipedia || Blitz: Max Pixel | CC0 || Bearbeitung: VICE

Jörg Kachelmann ist wieder da, nicht nur mit wütenden Wetterbelehrungen oder als Gewitterwolke in der Gastvorlesung von Alice Schwarzer, sondern bald auch wieder auf dem TV-Bildschirm.

"Isch gomme heeme", sagt der Schweizer Moderator in einem Interview mit der Zeit vom Donnerstag. Er meint damit, dass er nach zehn Jahren wieder die MDR-Sendung Riverboat moderieren wird.

Aus Jörg Kachelmann, dem Moderator, wurde im Frühjahr 2010 Jörg Kachelmann, ein mutmaßlicher Vergewaltiger. Noch bevor der erste Gerichtstermin stattgefunden hatte, hatte die Öffentlichkeit ihn schon verurteilt: Kachelmann verlor jeden einzelnen seiner Jobs als Moderator.

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Ein guter Ruf ist schnell ruiniert, auch bei Normalos und Nichtpromis. Zum Beispiel, weil Nacktfotos geleakt werden, man von anderen mit dem Schlampenstempel abgestraft wird, sich böse Gerüchte schneller im Internet verbreiten als die nächste Grippewelle, oder Menschen andere diskreditieren, bevor ein finales Urteil gesprochen wurde. So auch im Fall Kachelmann, der sich dem Vorwurf der besonders schweren Vergewaltigung und gefährlichen Körperverletzung stellen musste – und deshalb mehr als vier Monate in Untersuchungshaft saß.


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"Im Knast" habe er sich vier Dinge geschworen, sagt er der ZEIT: Seine Falschbeschuldigerin, wie er sie nennt, solle verurteilt werden. Außerdem wolle er der Staatsanwalt Mannheim "verbieten zu lügen", den Springer-Verlag bluten lassen und sein Leben zurück bekommen. Letzteres bedeutet für ihn, wieder beim MDR auftreten zu können. Jetzt könnte er alles abhaken, auf seinem Vier-Punkte-Plan der persönlichen Rehabilitation.

Jörg Kachelmann hat sich zurückgekämpft, vor allem mit der Waffe seiner Wahl: Twitter. Sein Account dort sei sein "Paralleluniversum", auf dem er auch dann noch eine Plattform hatte, gehört zu werden, als kein Journalist, keine Journalistin mehr mit ihm sprechen wollte.

Aber kann das wirklich funktionieren: Selbstverteidigung in sozialen Netzwerken, um den eigenen Ruf wieder herzustellen, auch dann, wenn einen nicht jede zweite Fußgängerin erkennt?

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Recht haben und Recht bekommen

Wer sich leidenschaftlich gern streitet, weiß: Recht haben und Recht bekommen, sind einfach zwei verschiedene Dinge. Dazwischen schwebt eine unsichtbare Wolke aus Spekulationen und Gerüchten.

Kachelmann hat diesen Kampf auf zwei Ebenen ausgetragen. Zunächst im Gericht. Dort zählten Fakten. Und dann bei Twitter. Dort zählte seine Wahrheit.

Diese Wahrheit besteht auch daraus, dass er für Medien den Hashtag #Vollpfostenjournalismus etablieren möchte oder zusammen mit seiner Frau Miriam, die unter dem Handle @Opferabo tweetet, von "Vergewaltigungslügen" schreibt. Kachelmanns Mantra ist es, immer auf Angriff zu gehen. Selbst nach seinem Freispruch im Jahr 2017, durch den er sich immer noch verurteilt fühlte und über den Leute sagten, er sei "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen worden. "Dazu hat natürlich beigetragen, dass ich selbst auch allen permanent auf den Sack gehen wollte, um das nicht einfach hinzunehmen", sagt er in der ZEIT.

Social Media ist nicht nur Vernichtungswaffe

Kachelmanns teilt aus, hart und dauernd, gegen alles und jeden. Das ist umstritten. Aber man muss ihm zu Gute halten, dass er viel einstecken musste. Im ZEIT-Interview gibt er zu, dass er sich selbst im "Konflikt zwischen Harmoniebedürfnis und dem Willen, die Welt zu verändern" befunden habe, dass "niemand perfekt ist". Er habe nicht gewollt, dass sich der Sturm um ihn unausgesprochen legt.

Donald Trump und Politikerinnen, die "auf der Maus ausrutschen" (Stichwort Beatrix von Storch), sind Paradebeispiele dafür, dass Social Media eine Selbstzerstörungswaffe sein kann. Jörg Kachelmann beweist mit seiner Strategie das Gegenteil: dass Twitter ein Mittel der Selbstheilung sein kann.

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Sein Weg von ganz unten zurück nach oben hat funktioniert, um seinen Ruf zumindest so weit wiederherzustellen, dass sein Wetter-Unternehmen nach eigenen Angaben gut läuft und er wieder im Fernsehen auftritt. Das bedeutet aber nicht, dass Schluss ist mit den Twitter-Kämpfen. Wenn er weiter austeilt, bleibt auch für Kachelmann ein Restrisiko seinen Ruf doch wieder zu ruinieren.

Jeder Kampf braucht eine Motivation

Viele, die so unverdaut von der Gesellschaft ausgespuckt worden wären, wie Jörg Kachelmann, hätten sich sicher zurückgezogen. Gegenwind mutiert in sozialen Netzwerken schnell zu einem Hurrikan. Deshalb braucht es eine Motivation, um durchzuhalten. Für Kachelmann ist das sein heute fünfjähriger Sohn. Seine Dauerpräsenz auf Twitter rechtfertigt er im ZEIT-Interview damit: "Ich wollte meinem Sohn, wenn er später im Internet den ganzen Scheiß über mich liest, sagen können: Ich habe alles getan, um all den Idioten zu zeigen, was Papa noch hinbekommt."

Gerechtigkeit statt Rache

Kachelmanns Antrieb war dabei wohl, nicht plumpe Rache auszuüben, sondern "Gerechtigkeit zu erfahren". Seine "Falschbeschuldigerin" wurde 2016 dazu verurteilt, Kachelmanns Prozesskosten zu zahlen. Auch der Springer-Verlag musste für seine Berichterstattung tief in die Tasche greifen. Laut Kachelmann liegen die Schmerzensgeldzahlungen aller Verlage insgesamt "knapp unter einer Million".

Beides mag sich für Kachelmann ein Stück weit wie Vergeltung anfühlen und hat wohl dazu geführt, dass er heute sagt: "Ich habe mein Leben wieder". Dieses Durchhaltevermögen, sich nach einer öffentlichen Demütigung wieder nach oben zu kämpfen, ist etwas, dass Kachelmann zum Vorbild macht.

"Im Übrigen gab es offen engagierten Zuspruch. Vor allem von normalen Leuten kam: Kachelmann, durchhalten!", sagt er in der ZEIT. Das beweist, dass Social Media dann wirklich in die andere Richtung funktioniert: Menschen wieder hochholen, die eigentlich schon am Boden waren. Auch wenn sie es selbst tun müssen.

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