Drohnen, Soylent und Ether: Dieser Teenager macht euch zum High-Tech-Einsiedler
Alle Bilder: John Dummett / Hermicity

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Drohnen, Soylent und Ether: Dieser Teenager macht euch zum High-Tech-Einsiedler

Auch manchmal keinen Bock mehr auf die Welt? Hermicity will die radikale Lösung für den zivilisationsmüden Early Adopter sein: Werde zum Ethereum-Sielder in der Wildnis und lass dich per Drohne mit Soylent beliefern.

Willkommen in der Stadt der Cyber-Eremiten. Wir haben endlich genügend Technologien entwickelt, um in Ruhe gelassen zu werden.

Das Surren am Himmel kommt von den Drohnen, die uns nahrhaftes Soylent und Wasser liefern; mehr brauchst du nicht zum Leben. Wir zahlen mit der virtuellen Währung Ethereum und verwalten uns selbst automatisiert auf der DAO, einer Dezentralen Autonomen Organisation. Du hast hier keine Freunde, keinen Besitz, kein Instagram oder sonstige Eitelkeits-Vehikel, wenn du nicht willst. Du haust allein in kleinen Hütten mitten in der Wildnis, und bist endlich frei.

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Das ist die Vision des Teenagers John Dummett aus Melbourne, der alles daran setzt, das Leben in autonomen, autarken Tech-Gemeinschaften rund um die Welt zur Wirklichkeit zu machen. Hermicity—ein Portemanteau aus den Worten hermit (Einsiedler) und city hat das unverbindliche Designkonzept-Stadium bereits überschritten. John Dummett meint es ernst. Gerade hat sein Projekt das erste Landstück im australischen Busch gekauft, um Menschen zu selbstgewählten High-Tech-Einsiedlern zu machen. Das 22-jährige Krypto-Währungswunderkind Vitalik Buterin bezeichnet Hermicities schon jetzt etwas überschwänglich als den „Höhepunkt des 21. Jahrhunderts".

„Ein paar Ideen liegen uns allen am Herzen: Privatsphäre, Freiheit, Unabhängigkeit, geistige Stärke, Ausdauer, Gesundheit—
und der Wunsch, außergewöhnlich zu sein."

„Wenn du früher als Einsiedler leben wolltest, musstest du eine Menge opfern, was Komfort und Sicherheit anbelangt. Aber heute haben wir passende, robuste Kleidung, hocheffiziente und gemütliche Häuser und Drohnen, die uns liefern können, was wir brauchen—auch an abgelegene Orte." Das schreibt mir John, 19 Jahre alt, allerdings nicht aus seiner Solarhütte im Busch, sondern aus einem Coworking-Space in Melbourne.

Er arbeitet Vollzeit als Coder beim australischen Meteorologiebüro, aber hat einen Tag pro Woche zum Fernstudium frei. An diesem Tag redet er auch mit Unternehmern und versucht, sich von ihnen abzuschauen, wie sie ihre Projekte stemmen. Klingt eigentlich gar nicht so misanthropisch, wie man erwarten würde. „Ich verbringe gern Zeit offline, mache lange Spaziergänge. Ich versuche immer, so viele Ablenkungen wie möglich abzuwehren. Das ist etwas anderes, als sich von der Welt abzuschotten. Es geht darum, besser zu sehen, zu fühlen, zu hören, was du willst, statt darauf zu hören, was andere Menschen wollen."

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Der erklärte Ayn-Rand-Bewunderer, der erst mit 16 sein erstes Smartphone besaß, ist genau deshalb so selektiv in seinem Umgang mit der Technologie. Auf seiner Website heißt es „Ich facebooke nicht, Ich instagramme nicht. Ich twittere nicht. Schick mir eine Mail an…" Seine Philosophie erklärt er Motherboard gegenüber so: „Es geht nicht um mich oder meinen Lebensstil. Bei dem Lärm und der Geschwindigkeit, in der die Welt gerade wächst, ist es umso wichtiger, Menschen Raum zur Reflexion zu geben, in dem sie einfach nur Mensch sein können."

Es mutet daher etwas paradox an, dass der moderne, vermeintlich autarke Einsiedler den Brunnen in seinem Exil nicht mehr selbst ausheben muss, sondern von Technologie und diversen Märkten abhängig ist (was, wenn die Wasserlieferdrohne mal nicht landet?).

„Die meisten Menschen, die sich als Kapitalisten bezeichnen, sind recht asozial oder zumindest sehr brutal, und das finde ich abschreckend"

John argumentiert, Weltabgewandtheit durch technische Mittel sei nicht nur möglich, sondern notwendig, um sich auf sich selbst zu konzentrieren. Bei so radikalen Ideen könnte man leicht auf die Idee kommen, ihn als Träumer zu bezeichnen, aber wenn es nach ihm geht, hat er bereits en Detail ausgearbeitet, wie das System des gemeinsamen Alleinseins in der Praxis funktioniert—und die Blockchain soll dabei helfen. Wer eine Hermicity aufbauen will, muss über ein Formular Beweise darüber erbringen, ob das ausgesuchte Land legal gekauft oder gemietet werden kann, und die Rahmenbedingungen abstecken.

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„Sagen wir, ich einige mich mit dem Besitzer einer riesigen, wunderschönen Farm, dass dort vier Einsiedler leben können, für 20.000 Dollar pro Jahr. Dann finde ich eine Firma, die für je 50.000 Dollar kleine Wohnungen oder Hütten darauf baut. Alles zusammen kostet 220.000 Dollar. Dann müssen wir nur noch Soylent, Wasser und Lieferkosten für andere Gegenstände in die Miete einrechnen. Das alles schreibe ich in einen standartisierten Antrag, den ich auf der Parent-DAO einreiche—bei uns heißt die Meta."

Wenn der Antrag in der automatisierten digitalen Vertragsdatenbank der DAO eingereicht wurde, werden auf der Blockchain ein paar Ether-Adressen dafür erstellt, die solange gültig sind, bis genügend Geld dafür von den Investoren zusammengekommen ist. Passiert das nicht binnen eines festgesetzten Zeitrahmens, kriegen die Crowdfunder ihr Geld zurück. Wenn alles klappt und sich Eremiten finden, die dort wohnen möchten und die Kosten für Drohnen und Hütten decken können, haben die Mäzene anteilig Anspruch auf deren per Smart Contract eingesammelte Mieten; die Mittel wandern dann auf eine Child-DAO. Wenn du also zehn Prozent der Farm-Kolonie finanziert hast, hast du Anspruch auf zehn Prozent der Mieten. John hat sich also nicht nur Gedanken um das eigentliche Überleben in der High-Tech-Einöde gemacht, sondern gleich ein Investoren-System entwickelt, das den Start in dieses Leben überhaupt finanziell ermöglicht.

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Ein Teil der Mieten geht zurück an die Meta, um die weitere Entwicklung des Hermicites-Ökosystems zu finanzieren. Manche Mittel können auch von John und seinem Team zum Sponsoring anderer benutzt werden, die versuchen, teurere Anträge einzureichen. John hofft, dass die Gemeinschaft genug Leidenschaft in das Projekt steckt, um ganz unterschiedliche Hermicities auf der ganzen Welt aufzubauen: „Ich will ganz viele Leute mit verschiedenen Werten und Motivationen erreichen. Aber es gibt schon ein paar gemeinsame Ideen, die uns allen am Herzen liegen: Privatsphäre, Freiheit, Unabhängigkeit, geistige Stärke, Ausdauer, Gesundheit und der Wunsch, außergewöhnlich zu sein."

Die Einsiedlerstädte haben sogar schon ihre eigene Zeitung: Das Rainbow Paper, verfasst von einem Freund Dummetts, den er als „Cloud-Rapper und Philosoph" bezeichnet. Es steckt voller abstrakter Ideen, um die Ecke gedachter Witzchen und libertärer kultureller Referenzen. Auf viele Leser, die sich nicht näher mit dem Projekt beschäftigen, mag das abschreckend und wirr wirken. „Durchaus gewollt", bestätigt Dummet. „Ich wollte nicht tausendmal auf die gleichen Fragen antworten, zum Beispiel, „wieso sollte ich denn alleine leben wollen", dafür hab ich einfach nicht genug Zeit in meinem Leben."

Exklusivität scheint also Teil des Konzepts zu sein, doch die Hürden für Menschen, die ein wenig echtes Interesse zeigen, hält Dummett absichtlich niedrig. „Die Menschen, die uns verstehen, sollen sofort begreifen, dass sie hier richtig sind", sagt John, der auf jede meiner Fragen ausführlich und enthusiastisch antwortet, „und der Rest wird sich schnell verziehen. Ich glaube, dass wir so eine leidenschaftliche und starke Gemeinschaft aufbauen können." Einen Fan hat er schon: Vitalik Buterin. „Wir haben jetzt endlich die Technologie, die es uns Menschen ermöglicht, komplett alleine zu leben", schreibt dieser im Vorwort des Rainbow Paper. Für John—und hunderte anderer Interessenten—klingt diese Aussage verheißungsvoll statt dystopisch.

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Trotz alledem bleibt die Praktikabilität und Logistik der Siedlungen etwas schwammig. John sieht die offenen Fragen als Wahlfreiheit, „die Freiheit, zu tun, was du willst, wann du willst—das will ich so zugänglich wie möglich machen". Für ihn bietet das temporär-einsame Leben Anreize, die unser permanent vernetzter Alltag nicht bieten kann.

„Wenn alles klappt, will ich Geld sparen und mich so bald wie möglich als Einsiedler zurückziehen. Vielleicht gibt es dann schon viele Hermicities auf der DAO, aus denen ich mir eine aussuchen kann. Das ist mein Traum. Und wenn ich dann in die Gesellschaft zurückkehre, will ich etwas noch viel Brillianteres auf die Beine stellen als ich zuvor in der Lage war. Die gewonnene Kraft und Stärke aus der Einsiedlerzeit sollte mir dabei helfen", gibt er sich zuversichtlich. Bis dahin verfolgt er sein Hauptziel, das etwas überraschend wirkt:

„Mein großer Wunsch ist es, sehr schnell sehr reich zu werden. Das ist der effizienteste Weg, Kontrolle über die Umstände zu erlangen, um freier zu werden." Als Kapitalist sieht sich Dummett trotzdem nicht, eher als Libertärer im ursprünglichen Sinn. „Die meisten Menschen, die sich als Kapitalisten bezeichnen, sind recht asozial oder zumindest sehr brutal, und das finde ich abschreckend", erzählt er über seine Erfahrungen in den Anarchokapitalismus-Subreddits, in denen seine Idee heißt diskutiert wird. Auch eine elitäre Tech-Insel ohne Regierungszugriff, wie sie sich der Silicon-Valley-Investor Peter Thiel einst erträumte, liegt ihm eher fern:

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Die Zukunftskolonien bieten explizit auch eine Teilzeit-Option für den zivilisationsverwöhnten Zauderer.

„Ich mag freie Märkte, aber ich beklage, dass Menschen oft keine Verantwortung beigebracht bekommen, darüber, was es bedeutet, in diesen Märkten zu agieren. Außerdem unterstütze ich Bewegungen, die sich für weniger Regierungseinmischung in das Leben der Leute einsetzen.", erklärt er. „All das hat eine interessante Verbindung zu Ethereum. Ich sehe direkte Verantwortung als eine positive soziale Kraft. Sperrige, zentralisierte Organisationen fördern ja kaltes, unmenschliches Verhalten. Durch Dezentralisierung zwingen wir Menschen, direkt Verantwortung zu übernehmen und demokratisieren das Ganze. Damit ermuntern wir andere, menschlicher zueinander zu sein, und genau das ist der Grund, warum ich das Konzept der DAOs und Ethereum so liebe", schwärmt er.

Dass die Technologie, auf der seine Kolonie fußen soll, allerdings anfällig für Missbrauch ist, sieht er ein. „Ethereum ist als Technologie noch in der Experimentierphase—das hat der DAO-Hack ja gezeigt", gibt er zu. Trotzdem sagt er der Dezentralisierung eine rosige Zukunft voraus—insbesondere, nachdem ihm die Grenzen von Bitcoin bei seinem früheren Job bei Coinjar, Australiens größter Bitcoin-Börse, klar wurden.

Auf die Frage, ob Technologie für ihn eher ein Versprechen oder eine Beeinträchtigung darstellt, antwortet John: „Ich finde es immer faszinierend, wenn Menschen spannende Wege finden, um neue Technologie anzuwenden. Ich interessiere mich sehr für Künstliche Intelligenz und die Beziehung zwischen Mensch und Technologie." Als vielversprechendes Beispiel führt er ausgerechnet Neural Lacing an—eine unter anderem von Elon Musk propagierte und vorsichtig gesagt, umstrittene Idee, nach der Menschen zur direkten Interaktion mit einer KI Hirnimplantate als Schnittstelle eingepflanzt bekommen sollen, mit der Computer ihre Hirnströme auslesen können. „Wenn du nicht gegen den Fortschritt per se bist, solltest du Technologie doch nicht bekämpfen", findet John, „sondern ihre Macht lieber sorgfältig studieren und dir eine bessere Vision aufbauen, solltest du unglücklich darüber sein."

Wer noch nicht ganz bereit ist, sein altes Leben dauerhaft hinter sich zu lassen, für den ist in einer Hermicity trotzdem Platz: Die Zukunftskolonien bieten explizit auch eine Teilzeit-Option für den zivilisationsverwöhnten Zauderer, denn: „Wir wollen das Alleinleben auch für ein paar Wochen, Monate oder Jahre möglich machen."

So bewirbt die erste Zukunftskolonie auch das dreieinhalb Hektar große, frisch erstandene Landstück, das geradezu paradiesisch aussieht. Zwischen Wasserfällen, Eukalyptuswäldern und steilen Klippen, die aus der Wildnis ragen, möchte Dummett seine Tech-Vision Wirklichkeit werden lassen: „Nur zwei Stunden von Sydney neben Wallabies und exotischen Vögeln. Perfekt, um für ein Wochenende wegzukommen".

Natürlich würden die Gebühren für diesen Traum komplett automatisiert durch einen Smart Contract abgebucht. Ob dieselbe Drohne, die den Mietern regelmäßig ein Paket köstliches Soylent vor die Füße wirft, den Einsiedler automatisiert aus der Kolonie katapultiert, sobald er seine Miete nicht mehr zahlen kann, müsst ihr John selbst fragen.