Während 20.000 Geflüchtete noch in Lagern leben müssen, erkämpfen sich die ersten ihre Existenz
Aller Bilder: Elif Küçük

FYI.

This story is over 5 years old.

Flucht

Während 20.000 Geflüchtete noch in Lagern leben müssen, erkämpfen sich die ersten ihre Existenz

Wenn es Krieg gibt im arabischen Raum, dann macht einige Zeit später auf der Berliner Sonnenallee ein neues Geschäft auf. Jetzt kommen die ersten Syrer. Tamem al-Sakka hat dort seine Bäckerei aufgemacht.

In den achtziger Jahren kamen viele Menschen aus dem Bürgerkriegsland Libanon nach Berlin und brachten ihre Küche mit. Die arabische Welt trifft sich auf der Sonnenallee. Dort hat Tamem al-Sakka seine Konditorei eröffnet, das Damaskus. Viele Geflüchtete aus Syrien kommen hierher, weil es ein wenig Trost verspricht. In den Notunterkünften der Stadt heißt die Straße nur die „arabische Straße" und die Menschen dort freuen sich, wenn sie darüber sprechen. Hier bekommen sie, was sie kennen und zurücklassen mussten.

Anzeige

Das ganze Team (v.l.n.r.): Salim al-Sakka, Tamem al-Sakka, Khalid al-Saada, Sulaiman al-Sakka, Anas Abdalhak, Mazen Masalkhe, Mohamad Hassun

In Deutschland wohnen noch 20.000 Menschen in diesen Notunterkünften, allein in Berlin sind es 15.900, wie der Spiegel recherchiert hat. Sie wohnen in Turnhallen oder im alten Tempelhofer Flughafen. Sie kommen nicht in Wohnungen, weil der Markt in Berlin ohnehin schwierig ist, und sie kommen nicht in Jobs, weil sie noch keine Genehmigungen haben oder die Sprache nicht sprechen und die deutschen Unternehmen sich noch immer schwertun. Der Bäcker Tamem al-Sakka hatte Glück. Er hatte eine außergewöhnliche Begabung, er hatte Familie und er hatte Freunde, die ihm helfen konnten. Alte Freunde, die Homs vor 20 Jahren verlassen hatten, halfen mit den Behördengängen und der Sprache. Dennoch ist er mit seinem Deutsch noch unsicher, sein Neffe Sulaiman al-Sakka erzählt uns die Geschichte der Familie.

Sulaiman ist 18, kam ohne ein Wort Deutsch zu sprechen in das Land, jetzt macht er sein Abitur. Er will Wirtschaftsinformatik studieren. Von sich spricht er gerne, von dem Laden auch, über Deutschland spricht er gut, über Politik mag er nicht reden. Auch nicht darüber, wie es in Homs aussah, als sie die Stadt verlassen mussten. Die ganze Familie ging, 18 Menschen, als in Homs aus einem Aufstand ein Krieg wurde.

Blick auf die Sonnenallee durch goldenes Baklava

Nur wenige westliche Journalisten waren 2012 in der Stadt, um zu berichten, was dort vorfiel, und zu erklären, warum die Menschen fliehen. Was in Homs passierte, nahm die Welt kaum wahr. Der berühmte französische Journalist und Schriftsteller Jonathan Littell war Anfang 2012 für die französische Zeitung Le Monde in Homs und schrieb dort seinen langen Bericht „Notizen aus Homs" – in der Zeit, als Tamem und Sulaiman und ihre Familie die Stadt verließen. Littell erzählt von einer Stadt, die von Panzern umgeben ist und von Scharfschützen kontrolliert wird: „Es gilt, eine letzte Straße mit Scharfschützen zu überqueren. Wir fahren rüber. Sobald wir in Sicherheit sind, brechen wir alle in Schreie aus", schreibt er. Kurz nachdem Littell die Stadt verlassen hat, beginnt das syrische Militär damit, die Stadt systematisch zu zerschießen. Viele der Gebäude in der Stadt haben keine Keller, sie sind billig und hastig gebaut, sie bieten keinen Schutz vor dem Beschuss. Sulaiman und Tamem nahmen den Flieger nach Ägypten.

Anzeige

Normalvoll.

Dort bauen sie eine Fabrik auf, es läuft gut für die Familie. Die Süßigkeiten verkaufen sich gut. Zwei Jahre war es ruhig im Land, dann putschte das ägyptische Militär gegen den Präsidenten Mursi und Tamem entschied, dass es Zeit ist, zu gehen. Es war nicht mehr sicher, sie mussten wieder alles aufgeben und kamen nach Deutschland und beantragten Asyl.

In Berlin kamen sie schon nicht mehr unter. Tamem wohnt in Wittstock, 130 Kilometer entfernt. Das ist die einzige Möglichkeit, nicht in einer Notunterkunft bleiben zu müssen. Er muss pendeln. In der Woche schläft Tamem bei seinen Verwandten, die näher an der Stadt wohnen, nur am Wochenende ist er in Wittstock. Nur so kann er leben, ohne auf das Jobcenter angewiesen zu sein. Sulaiman arbeitet zwei Tage in der Woche hier, alle anderen Angestellten in dem Laden sind neu. Manche konnten backen, andere sind angelernt. Aus dem alten Laden in Homs ist ansonsten niemand da. Tamem weiß nicht, wo sie sind, manche sind verschwunden, manche sind gestorben.

Halawet al Jibn während der Zubereitung.

Das Damaskus ist die ganze Zeit voll, es kommen alle, Syrier, Libanesen, Türken, Deutsche. Am liebsten verkauft Tamem Halawet al Jibn, eine Süßspeise aus Homs. Es ist eine Masse aus Grieß, Zucker und Mozzarella, dazu gibt Tamem noch Rosenwasser. Als eine Frau den Laden verlässt, sagt sie: „Schön, dass es euch gibt." Tamem hört es nicht, Sulaiman übersetzt ins Arabische.