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Mode

Saubere Geschäfte an der Grenze der Fashion Week

Anders als auf allen anderen Messen der Berliner Modewoche sind auf der White Label keine Marken vertreten, die ihre neuen Kollektionen dem Fachpublikum präsentieren. Hier her kommen die Fabrikanten aus China und zeigen, was ihre Fabriken auf dem...

Die Granittreppen am Bahnhof Potsdamer Platz glänzen heute. Ganz oben arbeitet ein blondes Mädchen im weißen T-Shirt als Hinweis auf die White Label Messe, die in ihrer zweiten Saison aus einer Sporthalle in den Bahnhof gezogen ist. Die White Label ist eine sogenannte Beschaffungsmesse—was beinahe kriminell klingt. Natürlich aber ist sie das nicht und all das Weiß und die scheinbare Reinheit des Ortes lassen diesen Eindruck schnell verfliegen.

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Anders als auf allen anderen Messen der Berliner Modewoche sind auf der White Label keine Marken vertreten, die ihre neuen Kollektionen dem (mehr oder weniger) Fachpublikum präsentieren. Hierher kommen die Hersteller, die Fabrikanten—diejenigen hinter den Kulissen und zeigen, was sie und ihre Fabriken auf dem Kasten haben. Robuster, grauer Industrieteppich führt den Besucher vorbei an kleinen Ständen, die einen Eindruck von KiK-Filiale vermitteln.

Was auf der einen Seite die Ästhetik des Gezeigten betrifft (Buntes mit trendigen Printmotiven, Nieten oder Pailletten) und auf der anderen: die Art der Warenpräsentation. Variationen des Fabrikguts dicht an dicht hängend an Kleiderstangen. Der Service jedoch, da bin ich mir sicher, ist um einiges aufmerksamer als der Durchschnitts-Kik-Angestellte. Emsige Fabrikanten begrüßen mich bei der kleinsten Andeutung eines Blickes auf ihr Sortiment. Ihr Englisch ist zwar eher zer- als gebrochen, doch ich weiß, dass wie überall die Geste an erster Stelle steht. Und wenn sie nur ein fragendes Lächeln ist.

Weiterhin führt mich der Industrieteppich (und mein Durst) zur Bar. Es gibt Wasser, Bionade und Rich. Auch wenn mich der Name des aromatisierten Weincocktails mehr als reizt, lasse ich mir vorerst von der blonden Dame ein rotes Erfrischungsgetränk reichen. Einige Anläufe, mich mit den Ausstellern zu unterhalten, möchte ich noch unternehmen. Sie sollen den Weg aus China nicht umsonst gemacht haben. Die Kleidungsstücke auf den Stangen sind zum größten Teil für ab- und umsatzstarke Marken und Ketten produziert, wie von den eingenähten Labels abzulesen. Berauscht vom Maß an gezeigter Ästhetik frage ich erst mich, dann einige Aussteller, was wohl ihr erfolgreichstes Teil sei. Zunächst wissen weder sie noch ich eine passende Antwort: ich nicht, weil ich mir den Erfolg von irgendetwas, das hier hängt, nicht vorstellen möchte—sie nicht, weil sie mich nicht verstehen. Doch ich gebe nicht auf. Mit Erfolg: ein Hersteller, der auch für die Kette Ulla Popken produziert, weiß mir seinen Kassenschlager zu zeigen. Es ist ein blumengemustertes Nachthemd und ich sehe mich in meinem Zweifel an dem Sinn für Ästhetik unserer Gesellschaft bestätigt.

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Die meisten Fabrikanten auf der Messe stellen kein Teil unter 500 Einheiten her, einige keines unter 3.000. Nichts, was ich sehe, ist schön. Keine Mode, sondern eine traurige, bunt-blumengemusterte Realität. Doch offenbar das, was die Masse möchte. Der Pressesprecher der White Label Messe erklärt mir, dass es nicht nur darum gehe, den richtigen Produzenten zu finden. Auch stellen die Fabrikanten hier Teile zur Schau, deren Entwurf aus eigenem Hause kommt. So brauchen die Besucher im Prinzip nur noch die Produktion beauftragen und ihr Label einnähen lassen. Kleiderhandel ist ein Geschäft, in dem es um Leidenschaft und Liebe geht—ein Blumengeschäft. Vielleicht aber ist es auch das klinische Umfeld, welches die Klamotte so beliebig und bunt wirken lässt. Auf der Bread & Butter gibt es zur Tarnung immerhin Stände, die aus Holz gebaut sind und Tropenflair vermitteln. Und Mädchen in Hotpants. Entgegen der anderen Messen geht es hier eben ums Geschäft, diese Einleitung bekomme ich schon beim Betreten der Halle. Es nicht um Unterhaltung! Oder gar Schönheit, das Ziel ist Absatz auf Masse.

Auf die Frage nach Ausstellern mit einer besseren Kenntnis der englischen Sprache, bekomme ich die Antwort, ihre Unternehmen seien geprüft—sie alle arbeiten nach internationalen Standards, was die Arbeitsbedingungen anbelange. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte. Doch natürlich steht Made in China nicht für den Ursprung der Textilien, sondern für ihren Fertigungsort—in China werden die Teile vernäht. Es ist kein Geheimnis, dass die Stoffe aus weiteren Ländern kommen, gespenstisch aber bleibt der Umstand. Indien, Bangladesch und ich denke an Fabrikbrände. Was ist mit den Webereien, den Färbebetrieben, unterliegen sie denselben Standards? Für die anwesenden Fabrikanten offensichtlich eine zu komplizierte Frage. Aus dem Kopf los werde ich sie auch nicht, als ich an einen Stand mit Daunenjacken gelange, deren Kapuzen verziert sind mit dem Fell von Nagern: Kaninchen und Waschbären. Pro Modell wieder eine Auflage von mindestens 500 Stück, pro Stück das Fell mindestens zweier Tiere. Mich beruhigt, dass es zu diesem Zweck in China eigens Farmen gibt, die die Dekoration produzieren. Den Fabrikmitarbeitern aber geht es blendend, das entnehme ich auch dem Katalog eines Herstellers: Zu sehen sind Fotos von mindestens Sechs-Bett-Zimmern und Slogans, die hohe Effektivität des Personals anpreisen. Ich bin fasziniert und fühle mich endlich bereit, einen RICH zu trinken, der mir fälschlicherweise als Prosecco vorgestellt wird.

Auf meinem letzten Gang über den Industrieteppich nehme ich erst sehr kleine, dann größere Schlucke. Aber auch der süßlich billige Geschmack von Rosen in Rotwein spült meinen bitteren Eindruck nicht runter. Unter den Neonröhren im Beton der Decke checke ich aus der Messe aus und verlaufe mich im Bahnhof.