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Wen interessieren schon die Scheißbäume?

Abholzung ist eins der Hauptprobleme unserer Zivilisation—vor allem in Rumänien, wo ganze Landstriche mit Wäldern einfach rücksichstlos gerodet werden.

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Im Jänner 2013 veröffentlichte der WWF in Rumänien eine Studie, die zeigte, dass Verschmutzung und Abholzung zwei der Hauptprobleme der heutigen Weltbevölkerung sind (wobei vermutlich egal ist, was die konkreten Gründe dafür sind, weshalb unsere Zivilisation auf jeden Fall dem Untergang geweiht ist).

In Rumänien wird die Abholzung ganz besonders rücksichtslos vorangetrieben. Zwischen 1990 und 2011 verschwanden hier Hunderttausende Hektar Wald—sowohl durch die öffentliche, als auch durch private Unternehmer-Hand. Die genaue Zahl ist immer noch unbekannt, aber die nächstbeste Schätzung, die ich in diesem Interview bekommen konnte, spricht von 600.000 Hektar, von dene nein Drittel allein in den letzten 5 Jahren verschwunden ist.

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In der Region Argeş, die zu den am stärksten betroffenen gehört, fuhren in den letzten 4 Jahren über 6000 Lastwägen beladen mit Holz vorbei, ohne von irgendjemanden bemerkt zu warden. Die rund 900 Hektar, die auf einmal verswchwunden waren, wurden erst 2012 bemerkt und die Abholzung kostete rund 2 Milliarden Euro. Eine Neubewaldung wurde bisher nur für die Hälfte des Gebietes vorgenommen—das heißt, es gibt immer noch Hunderte Hektar, um die sich aktuell absolut niemand schert.

Falls du das Thema bisher als langweilig abgetan hast und auch jetzt wieder verleitet bist, den Artikel wegzuklicken, dann lass dir gesagt sein, dass Abholzung mehr bedeutet als neue Picknick-Flächen, du ignoranter Idiot. Ohne Wald würdest du heute praktisch Teer atmen—und die Bewohner von Bukarest wissen das leider nur zu gut. Ohne Bäume würdet ihr außerdem von Autos auf Boote umsteigen, weil Wälder auch Regenwasser abhalten, und die Gebirgsregionen wären voll mit Obdachlosen, weil Holz auch die lokale Wirtschaft am Leben erhält.

Deshalb habe ich mich mit Radu Vlad unterhalten, dem Koordinator des Neubewaldungsprogramms des WWF, um zu erfahren, wie lange wir voraussichtlich noch ohne Gasmasken herumlaufen können.

Foto via World Bank Photo Collection

VICE: Wie sieht der gegenwärtige Waldstand in Rumänien aus? Ist es um Bäume heute besser bestellt als zu Zeiten des Kommunismus?
WWF: Mengentechnisch gesehen erstrecken sich Bäume heute über eine Oberfläche, die 10 % größer ist als noch in den 90er Jahren, was vor allem aber am Rückgang von Landwirtschaft liegt. Das bedeutet aber nicht, dass der Wald okay ist. Die Waldoberfläche wird in Verhältnis zu dem Grund berechnet, auf dem der Wald angesiedelt ist. Manchmal wird ein Gebiet auch „theoretisch bewaldet“, indem man ein Gebiet einfach besetzt nennt, sodass es nicht der potenziellen Waldfläche zugerechnet wird. Das ist der Grund, warum das Statistikinstitut den heutigen Waldstand so hoch führt.
Was die Qualität angeht, hat der Wald aber ziemlich gelitten. Auch, wenn manche Gebiete als Waldfläche gelten, wurden hier oftmals die Bäume massiv zusammengeschnitten oder komplett entfernt, ohne Chance auf Regeneration. Es gibt aber natürlich auch immer noch Wälder, denen es gut geht und um die sich jemand kümmert.

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Wo ist die Abholzung am größten?
Zirka 500.000 Hektar in Privatbesitz werden derzeit überhaupt nicht überwacht, weshalb es hier zu der meisten illegalen Abholzung kommt. Am schlimmsten betroffen sind aufgrund der hohen Nachfrage die Zapfenwälder. Der WWF ist gerade dabei, gemeinsam mit den Behörden, Unternehmen und NGOs eine Karte der betroffenen Regionen zu erstellen.

Kann man den entstandenen Schaden einschätzen?
Das ist leider sehr schwierig. Ein Hektar abgeholzter Wald ist zirka 5000 Euro wert, wobei hier natürlich der Schaden für die Umwelt noch nicht einkalkuliert ist.

Wie groß ist die Fläche, die neu bewaldet warden muss—undwer zahlt für die ganze Sache?
Die abgeholzte Fläche beläuft sich auf über 600.000 Hektar. Ein Teil davon wird ganz natürlich wieder bewaldet, weshalb es schwierig ist, die Kosten einzuschätzen. Da rund 35 % in privater Hand sind, können dafür auch keine nationalen oder europäischen Budgets verwendet werden. Die Waldbesitzer müssen den Schaden zum Teil selbst einschätzen.

Wie können eigentlich 900 Hektar Wald einfach so verschwinden?
Sie können dann verschwinden, wenn die Politiker, ihre Institutionen und deren Komplizen sie verschwinden lassen wollen. Der Umstand, dass es keinen Präzedenzfall im Umgang mit Verstoßen gegen Abholzungsregeln gibt, macht die Sache noch schwieriger.

Wer ist hier verantwortlich—die Polizei, die Ranger oder die Priavtbesitzer?
Alle davon, plus die Unternehmen, die den Wald ausbeuten und jene, die die Abholzung für ihr Business nutzen. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Da wären auch noch die Staatsanwaltschaft, die Richter und so weiter. Nicht selten gibt es einen Deal unter all diesen Beteiligten. Ironischerweise sind die Waldbesitzer selbst noch am wenigsten verantwortlich zu machen. Wenn sie aus allen Richtungen dazu getrieben warden, illegale Praktiken durchzusetzen—inclusive der Polizei und der Politik—, kann man ihnen beinah keinen Vorwurf machen. Insgesamt unterstützt die Gesellschaft nicht unbedingt verantwortungsbewusste Abholzung und Waldverwaltung, obwohl wir alle entsprechende ökologische Steuern zahlen.

Ich habe erfahren, dass selbst die Leute, die wegen Verstößen angeklagt wurden, bisher kaum jemals irgendwelche echten Konsequenzen zu spüren bekommen haben. Ist hier irgendeine Änderung in Sicht?
Der Fall wird fast immer fallengelassen, nachdem ein Richter entschieden hat, dass Abholzer keine Gefahr für die Gesellschaft darstellen—besonders dann, wenn er seinen eigenen Wald abholzt. Diejenigen, die wirklich vor Gericht landen, sind moistens nur Schaufälle von Leuten, die gerade mal ein paar Kubikmeter abgeholzt haben. Nach geltendem Gesetz ist Abholzung nur dann ein Verbrechen, wenn die Menge groß genug ist. Dieses Problem wird sich leider so schnell nicht lösen lassen.

Okay. Dann anders: Was müsste sich hier ändern?
Am Effektivsten wäre es, die Herstellungs- und Verwertungs-Fabriken genauer zu überprüfen und auch die Nutzung illegal abgeholzter Materialien unter Strafe zu stellen. Es ist schließlich viel einfacher, 4000 Firmen zu kontrollieren, als Milliarden von Bäumen.