Fotos von Tessinern, die sich morgens einen hinter die Binde kippen

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Fotos von Tessinern, die sich morgens einen hinter die Binde kippen

Das Tessin. Nostalgische kleine Bergdörfchen, malerische Vorgärtchen mit kleinen Kräuterbeeten, Palmen und unkompliziertes, gutes Essen. Das Postkartenparadies wäre perfekt, wäre da nicht der Fakt, dass wohl etwa die Hälfte der Tessiner beim...

Das Tessin. Nostalgische kleine Bergdörfchen, malerische Vorgärtchen mit kleinen Kräuterbeeten, Palmen und unkompliziertes, gutes Essen. Das Postkartenparadies wäre perfekt, wäre da nicht der Fakt, dass wohl etwa die Hälfte der Tessiner beim behördlichen Alkoholikertest durchfallen würden. "Alkohol ist kein gewöhnliches Konsumgut, sondern eine psychoaktive Substanz, die viele Schäden verursachen kann", schreibt die Präventionsstelle Sucht Schweiz.

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Den Tessinern scheint das aber egal zu sein, wenn manche von ihnen sich täglich um 11:00 Uhr zum Aperitivo treffen, um genüsslich das ein oder andere Gläschen zu konsumieren. Vielleicht haben die zu über zwei Drittel römisch-katholischen Tessiner die Stelle in der Bibel ein bisschen zu ernst genommen, als Jesus nördlich von Nazareth Wasser zu Wein gemacht hat.

Ich bin zusammen mit der Fotografin Nicki Antognini dieser gut etablierten Trinkkultur nachgegangen und habe ein paar Grotto-Inhaber, die dem Aperitivo eine Heimat bieten, getroffen. Dabei haben wir aus eigener Hand erfahren, was es mit den grosszügigen Trinkgewohnheiten der Ticinesi auf sich hat.

Mitten in Ascona ist das Grotto von Mauro. Um 11:00 Uhr stehen dort bereits Wein auf den grossen Steintischen. Sehr beliebt unter den weiblichen Locals ist ein Merlot Rosso Ticinese gemischt mit Gazosa (oder in nicht ganz so fancy: ein gespritzter, süsser Rotwein), der aus einer kleinen Tonschale getrunken wird. Ein fruchtiger, hausgemachter Limoncello und ein guter Grappa dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Davide, ehemaliger Snowboard-Profi und Leiter des Grottos America in der kleinen Ortschaft Ponte Brolla erklärt uns, dass Grottos Generationen zuvor als Lagerhalle zur Erhaltung von Lebensmitteln erbaut worden sind. Die felsige und hügelige Landschaft lässt die Luft so zirkulieren, dass sich ein ständiger, kühler Windzug durch das am Felsen liegende Grotti zieht. Dadurch steigt zwar die Gefahr, sich eine üble Erkältung zu holen, rapide an, das Grotto wird aber auch zum natürlichen Kühlschrank. Daraus haben sich nach und nach die klassischen, einfachen Restaurants im Tessin entwickelt. In Ponte Brolla aber besitzt sogar fast jede Familie ein Grotto. Es kann also gut sein, dass man sich plötzlich an einem kleinen Holztischchen inmitten einer noch kleineren Küche wiederfindet—mit vollem Magen und von den offerierten Grappas leicht benebelt wird mir klar, dass die Grotti im Tessin eine essentielle Rolle im gesellschaftlichen Leben spielen.

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