Popkultur

Warum uns Billie Eilishs Entschuldigung auch nicht weiterbringt

Die eingespielte Dramaturgie öffentlicher Fehltritte wirkt mittlerweile deplatziert und überflüssig.
Billie Eilish schaut kokett in die Kamera. Sie musste sich kürzlich entschuldigen, weil ein Video aufgetaucht ist, in dem sie rassistische Dinge sagt und tut.
Foto: IMAGO / MediaPunch

Mit 13 wart ihr alle Rassisten. Das behaupte ich jetzt einfach mal, weil ihr ja doch nichts dagegen tun könnt. Mit 13 habt ihr N.W.A. gehört und den Wu-Tang Clan und 50 Cent. Ihr habt ihre Texte mitgerappt, obwohl ihr weder wirklich Englisch, noch rappen konntet. Und wenn ihr behauptet, dass ihr die Lyrics nicht mitsamt ihrer Schimpfwörtern nachgesprochen habt, dann sehr gut.

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Billie Eilish musste sich jetzt entschuldigen, weil ein Video von ihr aufgetaucht ist. Darin ist sie 13 oder 14 Jahre alt, das konnte sie selbst nicht mehr so genau sagen, und bewegt die Lippen zu einem Song, in dem ein Schimpfwort für asiatische Menschen genutzt wird. Außerdem klingt es, als imitiere sie einen asiatischen Akzent, abwertend. Beides ist sicherlich schmuddelig und seltsam, und der Shitstorm war dementsprechend groß. Natürlich, denn Billie Eilish ist groß, sie ist ein Megastar, singt den nächsten James-Bond-Song. Und jeder kriegt nun mal den Shitstorm, der ihm gebührt. Aber was bringt es der Shitstorm-Bubble, sie für das Kind verantwortlich zu machen, das sie einmal war? 


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Als Kinder sind wir dumm. Natürlich sind wir nicht dumm, wir sind sicherlich in vielerlei Hinsicht sogar weiser und weiter als später, wenn die Sozialisierung einmal richtig gekickt hat. Für Kinder, auch das behaupte ich jetzt einfach mal, gibt es keinen Rassismus. Es gibt sicher Neugier gegenüber Menschen, die anders aussehen als die, die man jeden Tag um sich hat – in unserem Fall meistens weiße, heterosexuelle Kernfamilien. Aber abgesehen davon, dass manche anders aussehen als andere, sind für Kinder alle Menschen gleich. 

Doch als Kinder sind wir unerfahren, wissen nicht, mit welchen Codes man Menschen verletzt und welche Konnotationen Wörter haben können. Wenn wir mit Eazy-E das N-Wort mitrappten, dann wollten wir damit keine Schwarzen Menschen verletzen oder degradieren. Wir waren einfach zu dumm, um zu wissen, dass manche Wörter eine andere Bedeutung haben, als wir annehmen. 

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Als ich in der Grundschule war, habe ich im Kunstunterricht, wenn ich meinte, dass meine Bilder fertig seien, und mir die Langeweile von den Füßen in den Kopf wucherte, diese Werke noch mit Hakenkreuzen bekritzelt. Meine Lehrerin ging darauf gar nicht ein. Ich wollte nur provozieren, sagte sie. Und das stimmt sicherlich. Ich wollte einfach gucken, was passiert, wenn ich diese komischen Symbole male, weil man mir einmal gesagt hatte, dass man Hakenkreuze nicht zeichnet. Ich wusste nicht, warum, nur, dass es böse sei. Als ich es dann einige Jahre später verstanden hatte, malte ich keine Hakenkreuze mehr. 

Ich würde es als ungerecht empfinden, wenn man mich für die Taten verantwortlich macht, die ich begangen habe, als ich ein Kind war. Als ich unreif war und dumm, und einfach nicht verstanden habe, was da passiert. Wenn es im Recht eine Grenze für die Strafmündigkeit gibt, dann hat das einen Sinn. Es wäre nur fair, diesen Maßstab auch für Dinge gelten zu lassen, die zwar nicht straf-, aber cancelbar sind.

Denn wer möchte für jeden Fehltritt belangt werden können, den er in seinem Leben begangen hat? Menschen machen Fehler, und wer im Glashaus sitzt, sollte nicht den ersten Stein auf den Typ im Spiegel werfen, weil Scherben Unglück bringen. Dieses Unglück ist eine Gesellschaft, in der Fehler kategorisch verboten sind.

Nun will ich nicht sagen, dass alle Fehler legitim sind. Ein Mensch muss für seine Taten haftbar gemacht werden. Gerade wenn es um Chauvinismus geht. Sexistische Übergriffe, Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit – das sind keine Dinge, die man ignorieren darf. Eine Gesellschaft ist nur dann lebenswert, wenn alle Individuen darin einen Platz haben, an dem sie sich wohlfühlen, an dem sie gleiche Rechte und Partizipationsmöglichkeiten haben. Wer anderen Individuen das verwehrt, gehört sanktioniert. Weil unsere Gesellschaft sonst einfach nichts wert ist. Aber Fehler sind nun mal auch menschlich.

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Dann wiederum müssen wir auch die Frage stellen, in welchem Kontext eine Beleidigung eine Beleidigung ist. Wer das N-Wort gegenüber einem fremden, Schwarzen Menschen nutzt, tut das zwangsweise in der Absicht oder wenigstens mit der Konsequenz, diesen zu verletzen. Aber tut er das auch, wenn er beim Karaoke unter Freunden das N-Wort mitrappt? 

Auch hier soll der private nicht zum straffreien Raum erklärt werden. Wenn ein paar Bros untereinander sexistische und rassistische Witze reißen, die sie sich in der Öffentlichkeit verkneifen würden, weil sie wissen, dass ihnen sonst der Shitstorm, die Kündigung und ein Streit zu Hause drohen, dann muss man das verurteilen. Aber meistens, das behaupte ich einfach mal, kann man als reflektierter Mensch sein Publikum ganz gut lesen.

Dann weiß man, welcher Gag wie aufgenommen wird. Denn das Zitieren chauvinistischer Klischees bedeutet ja nicht, dass man sie sich zu eigen macht. Im Gegenteil: Nur wer die Klischees kennt, kann sie benennen und bekämpfen. Auch bei sich selbst.

Wer will wirklich mit Menschen rumhängen, die sich selbst in den intimsten Situationen jedes Wort zurechtlegen, bevor sie es aussprechen? Mir sind ja schon Leute suspekt, die aus Angst vor dem Kontrollverlust auf Alkohol verzichten. Wovor haben sie Angst? Wenn jemand diskriminierende Sprache in dem Bewusstsein nutzt, dass sie diskriminierend ist, um sie zu entlarven oder zu zitieren oder um eine Intention klar zu machen, dann muss das erlaubt sein. Genauso wie Fehler. 

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Es geht doch nicht um eiserne Disziplin, sondern darum, warum man etwas tut. Es geht um das Gefühl dabei. Solange man damit niemandem weh tut. Und wenn jemand einen Freund darauf hinweist, dass dieser gerade diskriminierende Sprache genutzt hat, ohne es gemerkt zu haben, dann stößt er damit hoffentlich einen Reflexionsprozess an.

Denn Wokeness-Kultur ist eine gute Sache. Sie ist es, die eine Gesellschaft für alle lebenswert macht. Aber woke zu sein, bedeutet nicht, Menschen pauschal zu verurteilen, wenn sie einen Fehler machen. Es geht dabei darum, Menschen dazu zu bewegen, ihr Verhalten, ihre Ansichten und ihr Menschenbild zu reflektieren. Lieber sagt einer das N-Wort, kriegt dafür aufs Maul, und überlegt dann, wo die Faust denn nun herkam und wieso sie gerade ihn getroffen hat, als dass jemand seine rassistischen Vorurteile hinter einer politisch korrekten Sprache versteckt.

Aus dem Grund wirkt auch die eingespielte Dramaturgie öffentlicher Fehltritte mittlerweile deplatziert und überflüssig. Das Muster ist immer das gleiche. Immer dieselben drei Akte: ein Fehltritt, ein Shitstorm, eine Synthese in Form der Bitte um Entschuldigung. Der letzte Punkt ist wichtig, denn wenn man sich nur entschuldigt, kann es sei, dass ein vierter Akt folgt: der Vorwurf, man könne sich nicht selbst entschuldigen, man könne nur um Entschuldigung bitten, und sich zu entschuldigen sei an sich bereits übergriffig. Deutschlehrer applaudieren, ihre Schüler haben etwas bei ihnen gelernt, aber dem Diskurs hilft das nicht weiter. 

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Eine Entschuldigung ist entweder aufrichtig und geht mit Reflexion einher, oder sie ist nicht aufrichtig und damit nur Steigbügelhalter für den nächsten Tabubruch. So klingt es etwa bei der AfD. Oder schlimmer, jemand entschuldigt sich, vermeidet daraufhin den verletzenden Begriff, für den er sich entschuldigen musste, diskriminiert die zugehörigen Personen aber weiterhin im Schwimmbad, bei der Arbeit oder auf öffentlichen Toiletten. Es kommt nicht auf eine genaue Formulierung an, wenn jedem klar ist, was eine Person meint. 

Denn: Wer sollte das Recht haben, eine Person zu entschuldigen? Wenn Billie Eilish um Entschuldigung bittet, welche Person mit asiatischem Migrationshintergrund sollte berechtigt sein, sie zu entschuldigen? Eine Entschuldigung ist doch ohnehin gar nicht möglich. 

Auch ich habe schon Menschen für ihre Äußerungen vor Busse geworfen. Zum Beispiel einen prominenten EU-Politiker, der in etwa das gemacht hatte, was Billie Eilish nun vorgeworfen wird. Er hatte sich über den asiatischen Akzent lustig gemacht. Ich meinte damals, der alte Boomer habe den Bezug zum Zeitgeist verloren und gehöre abgesetzt. Oder so ähnlich, das ist nun schon ein paar Monate her. 

Dazu stehe ich immer noch, denn der Fall war ein anderer als bei Billie Eilish. Erstens ist der Politiker ein erwachsener Mann jenseits der 50. Er müsste es besser wissen. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass er mit solchen Aussagen aufgefallen ist. Es war noch nicht mal das erste Mal, dass er mit antiasiatischen Aussagen aufgefallen ist. Seine Entschuldigung verpackte er als Witz. Martin Sonneborn hatte weder sein Verhalten reflektiert, noch wirkte seine Entschuldigung aufrichtig. Ich bleibe dabei, dass er den Zeitgeist verpasst hat und seiner Partei schadet, die ja im Großen eher progressiv sein möchte.

Natürlich ist es also sinnvoll, dass Billie Eilish ihre Verfehlung anerkennt. Schon um zu signalisieren, dass sie weiß, was ein solches Verhalten für Menschen bedeutet, die asiatisch gelesen werden – gerade in Zeiten, in denen antiasiatischer Rassismus so akut und bedrohlich wirkt. Aber ist es fair, sie als Rassistin abzustempeln, weil sie als Kind rassistische Stereotype reproduziert und ein Wort benutzt hat, das sie heute nicht mehr nutzen würde? Heute weiß sie offensichtlich, was es bedeutet, wie Menschen es verstehen müssen. 

Sie schreibt, sie wolle kotzen, wenn sie sich in dem Video von damals sieht. Das kann man ihr glauben, weil sie seitdem für Toleranz und Nächstenliebe einsteht wie wenige Künstler sonst. 

Alle Menschen habe dunkle Seiten, eine schmutzige Vergangenheit und Widerlichkeiten im Keller, die sie verstecken, vergraben, bekämpfen. Wir müssen es ihnen nachsehen, weil wir es uns nachsehen müssen.

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