In Küssnacht jagen sie Kläuse

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Diese Städte sind Paradiese

In Küssnacht jagen sie Kläuse

In Küssnacht am Rigi jagt man den Nikolaus im Vollrausch durch die Stadt. Nur die Männer nehmen an der Hatz teil, die Frauen warten derweil in verdunkelten Wohnungen.

Küssnacht am Rigi, ein typisch schweizerischer Vorstadtort, bekannt vor allem durch seine ruhige Lage am See vor den Toren der Stadt Luzern, der nebenanstehenden Rigi und früher auch durch das Zeus, den ehemals grössten Saunaclub der Schweiz.

Einmal im Jahr, jeweils am 5ten Dezember, wird diese Voralpen-Idylle durch das „Klausjagen“ aus dem Schlaf gerissen. Ein heidnischer Brauch, der seit Jahrhunderten In dem kleinen Ort für Ausnahmezustände sorgt. Eine Freinacht wie aus dem Bilderbuch, eine rurale Streetparade für Innerschweizer sozusagen.

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Nur dass all die hässlichen halbnackten Touristen durch hirtenhemden-tragende Einheimische ausgetauscht wurden, die monotonen Bässe durch den Kuhglocken & Hörner ersetzt und hauptsächlich eine Droge namens Kafi-Schnaps konsumiert wird. Aussenstehenden ist das Ganze schwer zu beschreiben, wenn man es den nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Obwohl die Veranstaltung auf den ersten Blick einem Aufmarsch des Ku Klux Klans ähnelt, hat sie abgesehen von den weissen Kapuzen und einem 72% SVP-Wähler Anteil wenig mit der NRA zu tun. So treffen sich die Kapuzenträger einmal im Jahr pünktlich um 20:15 Uhr. Frauen sind, wie sich das in der archaischen Innerschweiz gehört, nicht eingeladen durch das für wenige Stunden komplett abgedunkelte Dorf zu ziehen.

Wehe dem, der Licht in seiner Wohnung brennen lässt, da fliegen dann auch schon mal Steine oder Schneebälle in die Scheiben! Bewaffnet mit einer Kamera in der einen und einem Kafi Schnaps in der anderen Hand haben wir uns (natürlich mit Kapuzenhemd) unter die Schar der Jäger gemischt. Der Umzug folgt einem strengen Ritual: Zuvorderst läuft natürlich der Samichlaus, gefolgt von den sogenannten 'Iffelen'-Trägern, die überdimensionierte Lampions auf dem Kopf tragen, in absoluter Dunkelheit und Ruhe. Diese leuchtenden „Iffelen“ werden das ganze Jahr über von eingefleischten Klausjägern von Hand geschnitzt. Naja, wahrscheinlich besser als mit einer Modelleisenbahn zu spielen—„Iffelen“ kann man wenigstens einmal im Jahr zum Saufen mit raus nehmen.

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Dann folgen hunderte Glockenträger und Hornspieler. Um den Exorzismus abzurunden macht eine Bande „Geiselchlöpfer“, eine Art Sennen-SM-Indiana Jones Verschnitt, das Schlusslicht. Der Umzug durch die engen und dunklen Gassen des Dorfes verleiht der Geschichte eine ziemlich okkulte Aura. Natürlich waren wir immer bewaffnet mit Bier und Schnaps, aber man kann ja nie wissen.

Beispielsweise als während der offiziellen Umzugspause am Seeplatz ein paar hundert Mann in Kapuze, Schulter an Schulter, direkt in den schönen Vierwaldstättersee urinierten, machte das schon ein bisschen einen religiösen Eindruck. Jetzt ist auch klar, warum es an dieser lokalen Grossveranstaltung es kaum öffentliche Toiletten gibt—die braucht keiner!

Nach dem Umzug wird die Strassenbeleuchtung wieder angeknipst und tausende Leute verteilen sich auf die Dorfbeizen um Speis &Trank zu sich zu nehmen. Vor allem Trank. Dann beginnt ein Dorfkarneval in Kutten und endlich mischen sich auch Frauen unter die Jäger. Schliesslich ist ja Freinacht! Es wird gezecht was das Zeugs hält, eine Reihe Nachwuchs-Indianas versuchen sich vollkommen betrunken an der 'Chlöpferei' und gegen 6 Uhr sammeln sich die übrig gebliebenen Volksfestalkoholiker zum wiederholten Umzug, wobei die gleiche Route des Vorabends nochmal gemacht wird—etwas weniger gradlinig als auch schon.