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Barkultur

Ein guter Martini wird weder geschüttelt noch gerührt

Die Orte, an denen man noch authentische Barkultur erleben kann, sind rar gesät. In einer kleinen, traditionsreichen Hotelbar in London serviert Barchef Alessandro Palazzi den Gästen seine Interpretation des klassischen Vesper. Mit uns hat er über das...

Im Dukes in London kann man noch Cocktails der alten Schule trinken. Eine wahre Institution, wenn es um gute Drinks geht.

Inmitten der weißgetünchten Häuser im Londoner Luxus-Stadtteil Mayfair versteckt sich das traditionsreiche Hotel mit seiner vollständig erhaltenen Bar, die sich in den letzten hundert Jahren nur wenig verändert hat: grüne Samtvorhänge, alte Teppiche, Holzvertäfelung, große Ölgemälde altehrwürdiger Herren bei einer Landpartie. Und hier gibt es den besten Martini in ganz London—viele würden sogar sagen der ganzen Welt.

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Der Martini im Dukes ist wegen seiner aufwendigen und kunstvoll dargebotenen Zubereitung weltberühmt. Barchef Alessandro Palazzi und sein Team bereiten ihn direkt vor den Augen der Gäste zu. Wenn der Chef einen persönlich am Tisch beehrt, kann man vielleicht sogar die eine oder andere interessante Geschichte zu hören bekommen.

Im Dukes hat sich 007-Erfinder Ian Fleming inspirieren lassen—in flüssiger Form versteht sich. Er liebte die starken Cocktails, die Atmosphäre von Mayfair mit seinen Clubs und war ein Freund subtiler Klasse. Er liebte es zu trinken. Fleming trank, wie sein Biograf John Pearson es treffend beschrieben hat, ,auf die amerikanische Art': „Wenn der Tag schon vorangeschritten war, trank er Wodka Martini oder sehr dunkle Whisky Sodas und davon reichlich… Alkohol in rauen Massen, viel Gin und große Martinis, die quasi nur aus eisgekühltem Gin bestanden."

„Einen richtigen Vesper à la Fleming kann man aber heute nicht mehr machen. Der Wodka und der Gin waren damals einfach anders. Und seit 1939 wird auch kein Kina Lillet mehr hergestellt. Der Lillet von heute hat eine ganz andere Rezeptur."

Eine Bar ist jedoch nur so gut wie ihr Barchef. Palazzi gehört zu den Besten—zum Glück für das Dukes. Der gebürtige Italiener arbeitet mittlerweile seit 40 Jahren in der Branche. Seinen Lebenslauf schmücken so bekannte Namen wie das Berkley Hotel in London, das Ritz in Paris und das ehemalige Great Eastern Hotel in der Londoner Liverpool Street.

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Wir haben uns mit Palazzi in der Dukes Bar getroffen und mit ihm über Tradition und Innovation sowie seine berühmte „Zwei-Martini-Regel" gesprochen.

MUNCHIES: Hi Alessandro. Erzähl uns doch mal vom berühmten „Vesper"…
Alessandro Palazzi: Im ersten Bond-Roman, Casino Royale, gibt es diese Liebesgeschichte zwischen Bond und Vesper [Lynd]. Viele denken bei dem Cocktail eher an eine Vespa, aber Fleming hat den Drink tatsächlich nach der Frau benannt. Im Buch sagt Bond zum Barkeeper: „Mach mir einen Martini. Ein halbes Maß Kina Lillet, ein Maß Wodka und drei Maß Gordon's Gin. Gut schütteln und dann ein Stück Zitronenschale dazu." Damals hat man Wodka nicht mit Gin gemixt. Mit seinem Rezept hat Flemingalso absichtlich alle Regeln gebrochen.

In jungen Jahren war Fleming Journalist und musste auch nach Russland reisen, wo er Wodka getrunken hat, wahrscheinlich ungefilterten. Der Wodka damals war aromatischerals der, den wir heute trinken. Nur wohlhabende Russen konnten sich guten Wodka leisten. Dank Fleming ist Wodka populärer geworden: Die Filme waren ein riesiger Erfolg und dann wollte jeder Wodka trinken. Einen richtigen Vesper à la Fleming kann man aber heute nicht mehr machen. Der Wodka und der Gin waren damals einfach anders. Und seit 1939 wird auch kein Kina Lillet mehr hergestellt. Der Lillet von heute hat eine ganz andere Rezeptur.

Mein Vesper ist also eine eigene Interpretation, eine Hommage an Fleming. Ich mache ihn so: Das Glas wird durchgefroren, denn ein Martini muss einfach eiskalt sein. Dann ein Tropfen Angostura Bitter. Der Wermut für unseren Drink kommt aus England, ich arbeite eng mit der Sacred-Destille in Highgate zusammen, die nutzen ausschließlich Zutaten aus Großbritannien. Ich verwende polnischen Wodka, „Potoski", weil Fleming während des Krieges Chief Commander beim britischen Marine-Nachrichtendienstwar und sich in eine schöne Polin verliebte. Sie ist später zum Feind übergelaufen und hat für die Engländer als Spionin gearbeitet.Deswegen habe ich mich bei meinen Vesper für polnischen Wodka entschieden.

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Aber jetzt hat England gut Lachen! Frankreich und Italien hinken, was die Cocktaikultur betrifft, einfach hinterher.

Der Gin kommt von Berry Bros. & Rudd und ist ein traditioneller Gin, wie auch Fleming ihn getrunken hätte. Dieser hier hat 46 Vol.-% und wird aus nur sechs Pflanzen gemacht. Ein einfacher, klassischer Gin. Berry Bros. & Rudd haben ihr Geschäft seit hunderten von Jahren ganz in der Nähe in St. James. Auch Fleming hat sich gern in St. James herumgetrieben. Die perfekte Zutat also, um dem Cocktail sozusagen den Geist von Fleming einzuhauchen.

Zum Schluss nehme ich dann keine Zitrone, sondern Orangenöl und eine Bio-Orange. Ein bisschen Öl auf den Drink geben, dann mit der Schale garnieren. Richtig magisch: Siehst du, wie sich das Öl oben auf dem Drink absetzt? Riechst du das? Das verändert den Geschmack vollkommen. Weil der Alkohol eisgekühlt wurde, kann das Orangenöl oben schwimmen. Sobald man zum Trinken ansetzt, riecht man die Orange. So kann man auch einen guten Martini von einem schlechten unterscheiden: Wenn du nur den starken Alkoholgeruch wahrnimmst, würde ich den Barkeeper freundlich bitten, dir einen neuen Martini zu machen.

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Photo courtesy of Dukes.

Warum arbeitest du gern in London?
London ist etwas ganz Besonderes. Wenn ich früher nach Italien oder Frankreich zurückfuhr und erzählte, dass ich in London arbeite, haben mich die Leute gern damit aufgezogen. Ich habe mich richtig darüber geärgert. Aber jetzt hat England gut Lachen! Frankreich und Italien hinken, was die Cocktaikultur betrifft, einfach hinterher.

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Die Cocktailkultur ist hier mittlerweile viel offener. Als ich in den 70ern hierher kam, konnte man nur in Fünf-Sterne-Hotels einen guten Cocktail bekommen, wo meistens Italiener hinter der Bar standen. Heute findest du überall eine gute Bar mit einem wunderbaren Barkeeper, egal ob in Brixton, Hackney oder Clapham. Die Engländer wollen gern etwas Neues und Unkonventionelles probieren.

Das mag ich auch an Fleming: Er bricht Regeln.

Wie sieht es mit der Cocktailkultur im Dukes aus? Immerhin ist es ja eine Art Urgestein mit langer Tradition.
Wir sind eine klassische Bar und das wollen wir auch bleiben, aber auch nicht vor Neuem zurückschrecken. Als ich Barchef wurde, habe ich die Kleiderordnung abgeschafft. Vorher mussten alle Sakko und Krawatte tragen, Jeans war verboten. Mich interessiert der Mensch aber mehr als seine Kleidung. Einige der älteren Kunden haben uns das übel genommen. Aber man muss einfach akzeptieren, dass sich Dinge verändern. Und heute kann ja auch eine Jeans so viel wie drei Anzüge kosten [lacht].

Aber nicht das Geld ist entscheidend, sondern unser Ambiente. Bei uns gibt es keine Musik, kein Essen, keinen Kaffee, keinen Tee. Wir sind eine richtige Bar, in der es nur Drinks gibt. Als Kunde bekommt man bei uns etwas für sein Geld. Der Drink, den ich dir gerade gemacht habe, enthält ziemlich viel hochwertigen Alkohol und kostet 18,50 Pfund Sterling [circa 25 Euro]. Das ist nicht billig. Aber wenn du in einem Pub dieselbe Menge Alkohol in gleicher Qualität bestellst, würdest du noch mehr bezahlen.

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Er hat mich scharf angesehen und gesagt: „Sagen Sie mir nicht, wie ich meinen Martini zu trinken habe!" Als er dann aufstand, ist er wie ein Sack Reis umgekippt.

Bei dir gibt es die berühmte Zwei-Martini-Regel, richtig?
Die Kundschaft damals— das alte Geld—war einfach mehr an Alkohol gewöhnt. Sie haben schon morgens angefangen. Sie haben mehr getrunken, aber auf eine subtilere Art. Journalisten zum Beispiel, die haben damals zum Mittagessen getrunken, aber sie wussten wie. Vielleicht sind sie mal etwas herumgestolpert, aber sie konnten ihr Gesicht immer wahren. Als sich mehr Leute leisten konnten zu uns zu kommen, wussten viele der neuen Kunden einfach nicht, wie stark so ein Martini sein kann.

Manche hatten ihren Drink in fünf Minuten ausgetrunken—die hatten keine Ahnung. Wir möchten, dass sich die Leute Zeit nehmen. Der Martini bleibt trotzdem kühl und verändert sogar seinen Geschmack. Dafür braucht man Zeit. Eisgekühlter Alkohol kann einen regelrecht betäuben, sodass man schneller trinkt und dann die Auswirkungen verzögert zu spüren bekommt. Für einige der wenigen alten Stammkunden mache ich gerne auch einen dritten Martini, weil ich weiß, dass sie das vertragen können.

Einmal kam ein deutscher Banker zu uns–so ein protziger Finanztyp. Er hat einen Martini in gut fünf Minuten getrunken, einen zweiten bestellt, woraufhin ich freundlich zum meinte: „Sir, verstehen sie mich bitte nicht falsch. Aber bitte nehmen Sie sich ausreichend Zeit. Ihr Tisch ist schon gebucht und bis dahin haben sie noch viel Zeit." Er hat mich scharf angesehen und gesagt: „Sagen Sie mir nicht, wie ich meinen Martini zu trinken habe!", und bestellte noch einen, den er noch schneller trank. Als er dann aufstand, ist er wie ein Sack Reis umgekippt. Er hatte nichts gegessen und war überhaupt ein schmaler Typ und hat einfach zu schnell getrunken.

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Wie bereitet man deiner Meinung nach einen Cocktail am besten zu? Ich muss dich das einfach fragen, weil du deinen Martini ja weder schüttelst noch rührst.
Man muss einen Martini auch nicht rühren oder schütteln. Das allein ist ein ziemlich starkes Statement. Damals gab es eine richtige Trinketikette und dann taucht Bond auf und bestellt seinen Martini „geschüttelt, nicht gerührt", nur um alle Regeln zu brechen, wie er es auch beim Essen, bei Frauen und bei anderen Dingen macht. Das zeigt, wie aus einem so kleinen Satz etwas richtig Bedeutungsvolles werden kann. Aus bartechnischer Sicht sollte ein Martini nicht geschüttelt werden, weil ansonsten das Eis bricht und der Drink wässrig und trübe wird. Das will man weder beim Martini noch beim Manhattan. Niemand hat bei mir jemals einen geschüttelten Manhattan bestellt.

Ich bin großer Fan von KRS One, The Pharcyde und Roots Manuva. Das überrascht viele.

Aber ich glaube, auch hier muss man einfach offen sein. Wenn ein Gast seinen Martini geschüttelt will wie Bond, dann mache ich das für ihn. Ich selbst mag auch keinen Dirty Martini, aber wenn du einen möchtest, dann mache ich ihn dir. Mein berühmtester Cocktail ist ein Martini mit weißen Trüffeln.Wenn ich den vor 30 Jahren gebracht hätte, hätte man mich standrechtlich vor dem Buckingham Palace erschossen. Damals ein absoluter Tabubruch.

Was trinkst du an einem Freitagabend nach der Arbeit?
Einen Manhattan: Bourbon, Angostura Bitter, roter Wermut, ohne Eiswürfel, schön kalt serviert. Außerdem trinke ich gern einen Negroni.

London hat sich in den letzten zehn Jahren unglaublich verändert. Wie hat sich das auf das Dukes ausgewirkt?
Wir haben jüngere Gäste, die wirklich wissen, was sie da trinken. Wenn man hier ausgeht, stehen einem alle Optionen offen.

Für einige ist das komisch, wenn auf einmal jüngere Kunden kommen, die zum Beispiel wirklich etwas von Gin verstehen. Das ist aber so wie bei mir mit der Musik. Ich mag Hip-Hop. Einige finden das eigenartig, aber es gibt hier auch Leute, die das akzeptieren. Ich bin großer Fan von KRS One, The Pharcyde und Roots Manuva. Das überrascht viele. Roots Manuva liebe ich, das ist wie Poesie. Genauso wie KRS One. Es sollte keine Grenzen geben, auch nicht bei Drinks. Wir teilen hier alle die gleiche Leidenschaft. Ich bin für mein Leben gern Barkeeperund werde nicht plötzlich Botschafter oder so.Ich bin und bleibe Barkeeper.

Vielen Dank für das Gespräch.