Ein junger Mann hält einen Joint in die Kamera, im Hintergrund sieht man Stände
Fotos: Philipp Sipos
Drogen

Ich war als ehemaliger Dauerkiffer auf einer Cannabis-Messe

Wie fühlt es sich für Menschen wie mich an, wenn Cannabis überall verfügbar ist? Ein Selbstversuch.
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Alles zur Cannabis-Legalisierung

Von 17 bis 21 habe ich meine Jugend vergeudet. Na ja, etwas. Ich habe vier Jahre lang täglich gekifft: circa ein bis zwei Gramm Cannabis am Tag. Das belastete nicht nur meinen Geldbeutel, sondern auch meine Psyche. Ich habe in der Zeit zwar viel erlebt, konnte es aber nicht verarbeiten. Ich war vernebelt in meinem Kopf gefangen.

Acht Jahre nach meinem letzten Joint könnte Cannabis in Deutschland legal werden, der Gesetzentwurf soll noch bis August ins Kabinett. Ich finde diese Entwicklung gut. Wer kiffen möchte, sollte das sicher tun können – ohne Angst vor Streckmitteln. Die bis heute ungleiche Behandlung von Alkohol und Cannabis muss aufhören. 

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Aber ich habe auch Bedenken. Wird der Staat vernünftige Grenzen ziehen? Und wie werde ich als ehemals Abhängiger darauf reagieren, wenn Cannabis plötzlich überall frei verfügbar ist? Um Antworten darauf zu finden, besuche ich Ende Juni einen Ort, an dem man sich jetzt schon fühlt, als wäre Cannabis legal.

Am Eingang der Hanfmesse Mary Jane in Berlin-Kreuzberg drücken mir zwei junge Frauen Willkommensgeschenke in die Hand. Blättchen, Tips und Grinder. Die Besucher stehen sich gegenseitig im Weg, immer wieder fordert etwas Neues die Aufmerksamkeit. Über 300 Aussteller zeigen hier die verschiedensten Produkte rund um Cannabis. Von CBD-Gummibärchen bis zum wassergekühlten Pflanzenbeleuchtungssystem für die Heimgärtnerei.

Ein junger Mann hält ein Tütchen in die Kamera, auf der eine Friedenstaube ein Hanfblatt im Schnabel hält. Rechts sieht man diverse Cannabis-Produkte

Hanf ist prima für Frieden und Klima!

Ich finde schnell, wonach ich seit acht Jahren nicht mehr gesucht habe. Zwar kein Cannabis mit dem psychoaktiven Stoff THC, aber welches mit HHC. Hexahydrocannabinol. Ein Trend der letzten paar Monate, sagt man mir, der Stoff soll wirken wie THC. Ganz natürlich sei das, sagt ein Verkäufer. In der Hand erinnert mich das Gras – vermutlich sind es nicht high machende CBD-Blüten, die mit HHC behandelt wurden – an das Gras von damals.

Eine solche Menge habe ich jahrelang nicht gesehen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass mir ein Joint vielleicht nicht schaden würde. HHC habe "70 Prozent der Intensität von THC", sagt der Verkäufer, viel mehr Infos liefert er nicht. Er bietet HHC als Blüten und Haschisch zum Messepreis an. Ein Gramm für zwei Euro. Ein Kilogramm für 1.200 Euro. Hinter der Verkaufstheke füllen die Blüten in Säcken gepackt mehrere Reisekisten.

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Links hält eine Hand einen großen HHC-Bud in der Hand, rechts sieht man die Preisliste mit extrem reduzierten Preisen.

"Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass mir ein Joint vielleicht nicht schaden würde."

Die vergangenen Jahre habe ich andere Drogen konsumiert, aber nie Gras und auch nie täglich. Das war für mich immer eine rote Linie nach meiner Abhängigkeit als Jugendlicher. Doch bei diesem Anblick verklären sich meine Erinnerungen. Damals schien noch alles in Ordnung. Keine Arbeit, wenig Stress. Vielleicht hat mich der Graskonsum entspannter gemacht, denke ich jetzt. Wie wäre das mit HHC-Gras? 

Nach einem kurzen Gespräch wähle ich aus drei verschiedenen Blüten, übergebe feierlich die zwei Euro und besitze nun ein Gramm HHC mit dem Namen Remedy, auf Deutsch: Abhilfe. Ich werde heute kiffen, denke ich. Auch wenn mir diese Entscheidung rückblickend absurd vorkommt, in diesem Moment erschien sie mir ganz logisch.

Diverse Einmachgläser voller saftiger HHC-Buds auf einem Tisch.

Sieht aus wie "echtes" Gras, ist aber legales HHC.

Dennoch spüre ich, dass ich mich noch genauer informieren sollte, bevor ich das Zeug wirklich konsumiere. Ein paar Stände weiter sitzen der ehemalige Polizeipräsident von Münster, Hubert Wimber, und der Cannabis-Patient und Hanf-Unternehmer Maximilian Plenert, beide von Law Enforcement Against Prohibition Deutschland (LEAP). Die Organisation aus Juristen, Vertreterinnen von Ermittlungsbehörden und anderen Expertinnen und Experten setzt sich für progressive Drogengesetze und das Ende des sogenannten Krieges gegen die Drogen ein. Was halten die beiden Aktivisten davon, dass hier eine psychoaktive Substanz frei und unreguliert verkauft wird. Soll so die Legalisierung aussehen?

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Mein Einkauf, das HHC, sei quasi synthetisch, sagen die beiden. Zwar kein synthetisches Cannabinoid, wie es etwa in der vor zehn Jahren weit verbreiteten Droge Spice steckte, aber "ein Chemiecocktail". Es wird im Labor nach der Umwandlung von CBD zu THC mittels Hydrierung gewonnen. Dass es diese Substanz gibt, sei eine Begleiterscheinung des THC-Verbots, sagt Maximilian Plenert. Doch HHC sei kaum erforscht, die Langzeitauswirkungen ungewiss. Drogen legalisieren? Ja, höre ich da raus. Aber bitte reguliert und gut erforscht. Ich bin den beiden für ihre Ehrlichkeit dankbar. Sie lässt mich zweifeln: Sollte ich das wirklich rauchen?

Ein Regal voller Bongs.

Willst du mal an meiner Pistole nuckeln?

Ich schlendere weiter und sehe ein Gewinnspiel für eine Thailand-Reise. Das südostasiatische Land hat vor einem Jahr Cannabis legalisiert. Wer die Reise gewinnt, bekommt jeden Tag fünf Gramm Gras gereicht, wirbt der Veranstalter. Man bekäme in Thailand dann "einen Joint, der richtig ballert", sagt mir ein Mann am Stand. Diese Attitüde stört mich. Die Legalisierung ist für mich ein Schritt hin zu einer mündigeren Gesellschaft, in der man sich aber nicht wie am Ballermann wegschießt.

Am Stand des Deutschen Hanfverbands spreche ich mit dessen Geschäftsführer Georg Wurth. Er spult routiniert sein Programm ab. Die Legalisierung generell sei gut, nur die aktuellen Pläne der Regierung seien mangelhaft. Und das mit dem HHC? Das sei für ihn das "übliche Katz-und-Maus-Spiel": Solange THC-haltiges Cannabis illegal sei, würden immer wieder andere Substanzen auf dem Markt auftauchen, die der Gesetzgeber noch nicht verboten hat. Nach einem Verbot tauche dann wieder etwas Neues auf und immer so weiter. 

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Ein Regal voller abgepackter Gummibärchen.

"Sie sind für dich da wenn du sie brauchst, das sind die Gummibären!"

Wenn es nach dem Lobbyisten Wurth geht, könnte jeder THC-haltiges Weed in Cannabis-Fachgeschäften kaufen. Allerdings nicht ohne Beratung wie bei Zigaretten in Tabakläden. Erfahrene "Bud Tender" sollen stattdessen Käuferinnen und Käufer darüber aufklären, was sie da mit nach Hause nehmen. Auch "ob's knallt", sagt Wurth.

Mit 18 fand ich es cool, in Amsterdam legal zu Kiffen. Auch da gab es Bud Tender, aber selten Beratung. Die Verkäufer waren meistens selbst stoned. Ich fände es gut, wenn man sich vor dem Kauf umfassend informieren könnte. Zu Schadensminderung und Safer Use. Aber nach dem, was ich in Amsterdam dazu gesehen habe, bin ich skeptisch, ob es in Deutschland besser laufen würde.

Eine Aufnahme der Messehalle, ein paar Leute stehen herum.

So sieht ein HHC-Stand aus.

Und dann kickt es mich komplett zurück in meine Jugend: Am Stand eines großen Herstellers für Rauchzubehör sitzen vier junge Männer, die Joints bauen. Ob das ein Wettbewerb sei, fragt der Fotograf. "Nein", sagt einer und lacht. Draußen sei es wegen des Regens nur zu nass. Auch ich hätte jetzt alles, was ich brauche, um einen Joint zu rauchen. Gras, Blättchen, Filtertip und sogar einen Grinder, der man mir am Eingang gegeben hat.

In all den Jahren seit der Abhängigkeit bin ich immer mal wieder in Versuchung gekommen, aber selten so direkt. Ich habe nie die Tage der Abstinenz gezählt und kann den ersten Tag nach vier Jahren durchkiffen nicht einmal benennen. Ich bin zwar stolz auf die acht Jahre ohne Gras, aber angesichts der Möglichkeit, es nochmal so leicht probieren zu können, versucht das Verlangen meinen Verstand zu überlisten. Immer, wenn ich damals etwas zu Hause hatte, habe ich es auch aufgebraucht – und zwar schnell. Wie wäre es wohl zu kiffen? Würde ich es genießen können? Könnte ich es kontrollieren?

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©Philipp-Sipos_Grasmesse-32.jpg

Ich setze mich an einen freien Tisch an einem Stand für Pflanzendünger. "Joints bauen ist wie Fahrrad fahren, das verlernt man nicht", sage ich zum Fotografen und lege los.

Während ich circa ein Drittel des HHC-Baggies kleinmale, kommen in mir wieder Zweifel. Ich weiß fast nichts über diese Substanz. Einerseits warnen Experten, andererseits kann man sie hier in Kilosäcken kaufen.

Der Joint ist fertig, aber möchte ich wirklich in die Muster von damals zurückfallen? Sinnlos kiffen, lachen, essen, pennen und wieder von vorne? Ich weiß nicht, ob ich das im Griff hätte.

Eine Nahaufnahme der Hände des Autoren, wie er einen Joint rollt.

"Joints bauen ist wie Fahrrad fahren"

Ich werfe alles in einen Mülleimer. Es fällt mir leichter als der Kauf. Einerseits wäre es cool, überall in Deutschland so leicht an Cannabis zu kommen wie hier an HHC. Dann müsste man sich weder strafbar machen, noch auf die Beratung von Dealern vertrauen. Man hätte die freie Wahl. Nur sollte es dann klare Qualitätsstandards für Cannabis und transparente Infos geben – nicht wie bei HHC. 

Derzeit bereiten sich viele Unternehmen auf die Legalisierung vor. Über einen Punkt im Gesetzentwurf dürften sie sich jedoch nicht freuen: Ein allgemeines Werbeverbot für Cannabis. Ich finde das sinnvoll. Auf der Mary Jane wurde ich mit Werbung für Cannabis überrollt. Natürlich ist das eine Messe. Aber ich würde nicht wollen, dass andere Menschen, die vielleicht in misslicheren Lagen sind als ich, ihre Abstinenz beenden, nur weil Unternehmen Profite machen wollen.

Diese Messe ist so, wie Deutschland ohne Werbeverbot nach der Legalisierung hätte werden können: ständige Versuchung zu Kiffen und damit verbunden auch die Gefahr, Suchterkrankungen zu fördern. Cannabis zu legalisieren finde ich weiterhin gut. Aber denkt bitte dabei auch an Menschen wie mich.

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