Waffen in der Schweiz: Junge Menschen teilen ihre ersten Erfahrungen

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Waffen in der Schweiz: Junge Menschen teilen ihre ersten Erfahrungen

"Mein Vater hatte ein Sturmgewehr vom Militär. Als Kinder sind wir beim Spielen immer darüber gestolpert."

Die langen Gesichter am Sonntagabend im Zug von Zürich nach Chur sagen eigentlich schon alles. Gegen die Tatsache, dass der WK nicht gerade eine gute Zeit verspricht, helfen auch Bier und der Song "147 Täg" von No Future nur bedingt. Hat man die Tage endlich hinter sich gebracht, bleibt in der Schweiz aber zumindest ein nettes Erinnerungsgeschenk: eine Waffe.

Obwohl in der EU das Waffenrecht nach den Terroranschlägen in Paris verschärft worden ist, sträubt man sich hierzulande noch dagegen, als Schengenmitglied auch wirklich mitzuziehen. Gegenüber dem Tagesanzeiger erklärt die FDP-Politikerin und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats Corina Eichenberger, dass der Umstand, dass Wehrmänner ihre Waffen nach Hause nehmen, zur "schweizerischen DNA" gehöre. Schützenvereine haben schon mit einem Referendum gedroht – sie müssten schliesslich üben dürfen. So konnte für das Armee-Sturmgewehr eine Sonderregelung ausgehandelt werden: Nach Ablauf der Dienstzeit darf die Waffe weiterhin behalten werden, wenn man sie als Sportschütze nützt. Tatsache ist: In der Schweiz sollen Sportschützen auch ohne Mitgliedschaft in einem Verein eine Waffe und Munition zuhause haben dürfen, solange sie regelmässig üben.

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Wenn man sich die Zahlen anschaut, müssten das sehr viele fleissig Übende sein: Die Schweiz belegt nach den USA, Jemen und Serbien den vierten Platz in der Rangliste des privaten Waffenbesitzes. Wieviele Schusswaffen in der Schweiz in Umlauf sind, ist dabei nirgends klar erfasst. Der Bund und der Blick schätzen die Zahl in diesem Jahr auf etwa 2 Millionen, die NGO Small Arms Survey im Jahr 2007 gar auf 3.4 Millionen. Je nach Schätzung kommt also auf fast jeden zweiten respektive jeden vierten Menschen in der Schweiz eine Schusswaffe – und es werden wohl noch mehr: Wie das SRF berichtete, wurden 2016 mehr Waffenerwerbsscheine ausgestellt als je zuvor.

Dass man als Kind schon mit Waffen in Berührung kommt, dürfte für Menschen in der Schweiz also keine Seltenheit. Das hat sich bestätigt, als ich mich – lediglich mit einer Kamera bewaffnet – auf den Weg gemacht habe, um junge Menschen nach ihren Erinnerungen mit Waffen in ihrer Kindheit zu befragen.

Myrtha, 24

Foto zur Verfügung gestellt von Sabrina Decasper, alle weiteren von der Autorin

VICE: In welchem Alter bist du zum ersten Mal mit einer Waffe in Kontakt gekommen?
Myrtha: Da war ich so fünf oder sechs Jahre alt.

So früh schon?
Ich bin in Graubünden aufgewachsen. Dort ist die Jagd als Hobby relativ verbreitet. Mein Onkel hat mich als kleines Mädchen dann mal mitgenommen. Selber geschossen habe ich natürlich nicht. War das nicht ein traumatisches Erlebnis: Deinen Onkel als Mörder zu erleben?
Er hat nie was erlegt, als ich dabei war – zum Glück! Damals war mir die Möglichkeit, Zeugin zu sein, wie mein Onkel ein lebendiges Wesen erschiesst, auch gar nicht bewusst gewesen. Ich glaube, damit hätte ich schon ziemlich Mühe gehabt. Was hat dein Onkel mit den Tieren gemacht, die er erlegt hatte?
Die verkaufst du an Restaurants oder isst sie selber. Das gibt es aber nur in der Zeit von September bis Ende November, wenn Jagdzeit ist. Überhaupt gibt es tausende Regeln, was du wann schiessen darfst. Du musst auch erst eine Jagdprüfung machen. Warst du seither wieder mal auf der Jagd?
Ein Freund von mir macht es auch. Er hat mich kürzlich gefragt, ob ich mal mitkommen will. Aber ich habe abgesagt. Das könnte ich nicht mit ansehen. Ich muss zugeben, ich habe noch nie ein totes Tier gesehen. Nur in der Migros, aber zählt nicht.
Oh doch, ich schon. Mein Grossvater war Bauer und hat selber Schafe geschlachtet. Da mussten wir als Kind jeweils helfen.

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Marlon, 20

VICE: Hast du als Kind einmal mit Waffen zu tun gehabt?
Marlon: Ja, dazu gibt es eine geile Story. Kugelpistolen gehören laut Waffengesetz ja auch dazu. Davon wusste ich als 13-jähriger Hosenscheisser aber noch nichts. Von meinem Kumpel habe ich eine KWC-Pistole geschenkt bekommen – Vollmetall mit ordentlich Speed: Die konnte dir aus 20 Metern Enrfernung ein Loch durch die Hand schiessen.

Wussten deine Eltern davon?
Ja, aber sie haben mir gesagt, ich darf die Waffe nur drinnen brauchen.

Und natürlich hast du sie mit nach draussen genommen?
Klar. Das war ein Riesending, ich konnte sie nicht mal richtig mit einer Hand halten. Jedenfalls bin ich damit auf den Spielplatz gerannt. Ich hatte keine Ahnung vom Waffengesetz und dann kommt einfach ein Polizist und nimmt mir die Waffe weg. Gerichtsverhandlung, dies und das, 50 Franken Busse. Gerade bei meinen Eltern hat das ein richtiges Drama gegeben.

Was hältst du denn jetzt von Waffen?
Ich finde sie scheisse.

Nina, 28

VICE: Hattest du in der Kindheit einmal eine Erfahrung mit Waffen gemacht?
Nina: Mein Vater hatte eine Militärwaffe zuhause. Die war vermutlich schon immer da, meine Eltern haben mir aber erst davon erzählt, als ich vier Jahre alt war. Sie haben mir verboten, sie anzufassen. Dadurch wurde die Waffe für mich erst interessant. Aber Angst hatte ich keine.

Hat er sie immer noch?
Als wir nach Schaffhausen gezogen sind, haben wir die Waffe sogar mitgenommen. Vor vielleicht sieben Jahre musste er sie aber abgeben.

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Andrea*, 25

VICE: Kannst du dich an eine Situation in deiner Kindheit erinnern, die mit einer Waffe zu tun hatte?
Andrea: Meine Mutter hatte eine Pistole zuhause, mit der sie früher Vögel geschossen hatte. Als dann einmal bei uns eingebrochen wurde, kam die Waffe zum Zug. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich sie gar noch nie zu sehen bekommen. Meine Mutter hatte mir nie gesagt, wo sie die Pistole hat. Bis die Polizei gekommen ist, hat sie sie in der Hand gehalten. Das war Notwehr, weil die Einbrecher mit Messern bewaffnet waren.

Wie alt warst du?
Ich war circa acht Jahre alt, als es passiert ist. Das war schon recht schlimm. Der Polizist musste sogar auf den einen Einbrecher schiessen, weil er derart aggressiv wurde. Danach war er gelähmt. Aus dieser Wohnung sind wir nach dem Einbruch ausgezogen.

Hat sich dein Verhältnis zu Waffen verändert?
Ich finde es eigentlich gut, wenn man sowas zuhause hat. Denn was willst du als Frau tun? Wenn du weisst, dass du noch irgendwo eine Waffe griffbereit hast, bist du eher auf der sicheren Seite. Im eigenen Haus darfst du in der Schweiz ja ohnehin niemanden erschiessen. Aber es gibt dir zumindest eine gewisse Sicherheit. In den USA sind die Gesetze da lockerer.
Trump sagt "Böse Leute dürfen mit Waffen kommen, aber die guten Leuten sollen dann auch eine haben dürfen, um sich zu wehren". Dieses "Wie du mir, so ich dir" finde ich auch nicht der Sinn der Sache. Die Waffen müssen dort sicherer gelagert werden und die Menschen härter bestraft. Dort kann ja jeder im Haushalt auf die Waffe zugreifen. So, wie es in der Schweiz ist, finde ich es eigentlich gut.

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Patrick, 25

VICE: Kannst du dich an ein Erlebnis aus deiner Kindheit erinnern, das mit Waffen zu tun hat?
Patrick: Mit 14 bin ich zum Schützenclub gegangen, in dem man lernte zu schiessen.

Warum wolltest du lernen, wie man schiesst?
Mein Vater ist Jäger. Ich denke, dass mein Interesse daher rührte. Ich war auch manchmal dabei, wie er auf Tiere geschossen hatte. Das hat mir nichts ausgemacht.

Stimmen dich Ereignisse wie der Amoklauf in Las Vegas nicht kritisch gegenüber dem Waffenbesitz in Privathaushalten?
Mein Vater hat die Waffe auch noch zuhause. Munition zu lagern ist in der Schweiz aber mittlerweile verboten. Aber solange du weisst, wie du mit einer Waffe umzugehen hast, denke ich nicht, dass es kein Problem ist, eine zuhause zu haben. Ich selbst habe den Militärdienst gemacht und weiss Bescheid. So wie es in den USA geregelt ist, finde ich es aber schon kritisch.

Selina, 23

VICE: Wann bist du in deiner Kindheit mit Waffen in Kontakt gekommen?
Selina: Mein Vater hatte ein Sturmgewehr vom Militär. Als Kinder sind wir im Estrich beim Spielen immer darüber gestolpert. Hattest du keine Angst davor?
Es war uns durchaus bewusst, dass es sich um eine tödliche Waffe handelt. Dementsprechend hatte man schon Respekt. Habt ihr das Sturmgewehr auch mal mit ins Spiel integriert?
Nein, Waffen haben uns nicht interessiert. Warum lag es dort, wo ihr gespielt habt?
Der Dachboden war in erster Linie Abstellraum und ist später erst zum Spielplatz geworden. Musste dein Vater das Gewehr irgendwann zurückgeben?
Er musste – oder durfte, besser gesagt – die Waffe nach seinem letzten WK zurückgeben, nehme ich an. Auf jeden Fall war die Waffe eines Tages verschwunden.

* Name von der Redaktion geändert.

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