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diskriminierung

So unterschwellig rassistisch ist der deutsche Bundestag

Wem antworten die Abgeordneten wohl öfter: Paul Schmidt oder Murat Yilmaz? Ein Duisburger Student hat das herausgefunden.
Abgeordnete im deutschen Bundestag
Foto: imago | Metodi Popow

Alle Menschen sind vor dem deutschen Grundgesetz gleich. Bundestagsabgeordnete müssten das eigentlich wissen. Doch behandeln die Abgeordneten auch in der Praxis alle Menschen gleich, oder muss der Stammbaum einer Bürgerin möglichst viele Ludwigs und Friedriche aufweisen, damit sie von Politikern beachtet wird? Ein Student der Uni Duisburg wollte das genau wissen. Er erforschte, wie Abgeordnete auf Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund reagieren.

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Für viele mag es auf den ersten Blick nicht messbar sein, ob die AfD lieber blonde Teenager an ihrem Wahlstand begrüßt oder ob die Linke Anti-Rassismus auf allen Ebenen lebt. Auch Jakob Kemper schreibt in seiner Bachelorarbeit, er könne keine allgemeingültige Antwort darauf geben, wie konsequent Bundestagsabgeordnete das Grundgesetz im Alltag leben. Doch der Student der Politikwissenschaft hat einen Weg gefunden, um Diskriminierung im politischen System wissenschaftlich zu analysieren – und das anhand einer simplen Frage.

Jakob Kemper wollte herausfinden, ob Abgeordnete Deutschen ohne Migrationshintergrund eher helfen als Bürgern mit ausländisch klingenden Namen. Dafür schrieb der 23-Jährige eine fiktive Anfrage, in der er sich als 45-jähriger Auslandsdeutscher ausgab und wahlweise Paul Schmidt oder Murat Yilmaz nannte. Den Text schickte Kemper im Sommer vergangenen Jahres per Post oder Mail an alle 709 Abgeordneten. Nach einem randomisierten Verfahren erhielt eine Hälfte der Politiker und Politikerinnen die gleiche Anfrage von einem "Paul Schmidt", die andere von einem "Murat Yilmaz".


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"Ich wohne derzeit noch in Amsterdam und arbeite dort als Krankenpfleger", hieß es darin. Der Verfasser sei politisch interessiert und plane, nach Deutschland zurückzukehren. Nun wolle er wissen, ob er "automatisch als Wähler eingetragen wird", wenn er sich beim deutschen Meldeamt registriere. Kemper hatte im Vorfeld prüfen lassen, ob die Abgeordneten seine Anfrage theoretisch beantworten könnten. Am Ende bekam einer der beiden vermeintlichen Verfasser öfter eine Antwort.

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Das Fazit: Menschen mit Migrationshintergrund haben einen erschwerten politischen Zugang

Die Ergebnisse von Kempers Feldstudie veröffentliche seine Uni im November. Dort schrieb er, er habe bis zur Abgabe seiner Arbeit von 422 Abgeordneten eine Antwort erhalten. Ein Teil der Rückmeldungen sei erst später eingetroffen und habe nicht berücksichtigt werden können. Dennoch stand für den 23-Jährigen am Ende seiner Forschung fest, dass "Personen mit türkischem Namen seltener eine Antwort bekamen und diese Antwort dann auch noch kürzer war".

Das zog sich durch beinahe alle Parteien, wenn auch mit unterschiedlich großen Abständen: Bei der AfD beantwortete fast die Hälfte der Abgeordneten die Anfrage von Paul Schmidt, aber nur etwas mehr als ein Viertel die von Murat Yilmaz. Bei der SPD und der FDP waren die Abstände geringer. Lediglich die Grünen beantworteten die Anfrage von Yilmaz mit 58 Prozent häufiger als die von Schmidt – um fünf Prozentpunkte.

Die Studie zeige, dass türkischstämmige Deutsche von politischen Entscheidungstragenden benachteiligt werden, schreibt Jakob Kemper, der laut seiner Uni nun einen Master macht. Warum Murat Yilmaz diskriminiert wurde, könne er nur vermuten. Möglicherweise hänge es aber vom eigenen Migrationshintergrund der Abgeordneten oder der "Immigrationsoffenheit" der Partei ab, wie oft diese auf die Anfrage reagieren.

Das wäre aber ohnehin egal: Denn wenn Abgeordnete blonde Briefeschreibende gegenüber anderen bevorzugen, zeigt das nicht nur ihren unterschwelligen Rassismus – sondern auch, dass sie das Grundgesetz nicht immer ernst nehmen.

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