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Prof. Dr. Jannis Androutsopoulos: In der Linguistik unterscheidet man zwischen dem Sprachgebrauch und dem Sprachsystem. Wenn man „Sprache" sagt, meint man auf der einen Seite die Struktur und Grammatik der Sprache und auf der anderen Seite steht der Sprachgebrauch—also das tatsächlich Gesprochene oder Geschriebene.Ok. Ich frage mal ganz plakativ: Wie wandelt sich Sprache?
Der Wortschatz eines Menschen wandelt sich sehr schnell, vor allem bei jungen Menschen. Jedes Jahr entstehen Hunderte neue Wörter. Viele davon sind Anglizismen, was naheliegend ist, denn die Wörter kommen zum großen Teil aus dem Technologie- oder Unterhaltungsbereich, der uns umgibt. Wörter aus anderen Sprachen werden da eher seltener etabliert. Oft sind das dann Begriffe aus der Gastronomie, wie zum Beispiel das türkische Halal, oder aus der Jugendkultur—also Synonyme für Geld, Jungs, Mädchen und Drogen.Der Wortschatz gilt aber jeweils nur kurzfristig, oder?
Gradmesser für lexikalischen Sprachwandel ist die Aufnahme eines neuen Wortes ins Wörterbuch. Für viele neue Wörter aus der Jugendkultur gilt das erstmal nicht, denn sie verweilen in den lokalen, kleinräumigen Registern des Sprechens. Das ist auch beim Code-Switching so—also wenn man in einem Gespräch zwischen mehreren Sprachen wie Deutsch oder Türkisch wechselt.
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Das mag am sozialen Übergang liegen. Man lernt dafür ja andere, professionelle Sprachregister kennen—die von seinem Beruf oder Umfeld. Bei Menschen, die den Kontakt zur Jugendkultur bewahren, passiert das natürlich langsamer. Soziale Prädikate sollte man generell nicht mit Sprachstrukturen verwechseln.Je nach Umfeld wechselt man ja auch die Sprache.
Sie finden bei einem Individuum mehrere Register des Sprechens. Ich überwache mich jetzt zum Beispiel gerade, wie ich rede. Woanders, vielleicht abends in einer Bar, bin ich gelassener.Wie steht es um die aktuelle Lage des Deutschen? Oft ist ja vom Aussterben der deutschen Sprache die Rede.
In Deutschland haben wir seit dem Ende der 1980er Jahre eine zunehmende Mehrsprachigkeit. Durch die Geflüchteten erweitert sich das nochmal.Beeinflusst die Mehrsprachigkeit auch die deutsche Sprache an sich?
Kaum, da die Standardsprache „Deutsch" auf so viele Wege auf die Sprecher einwirkt. Es ist ein Trugschluss, dass Phänomene der Rede und Praktiken des Sprechens eine direkte Wirkung auf Sprachen hätten. Neue Wörter müssen sich erst einmal breitflächig etablieren und werden von Sprecher zu Sprecher weitergegeben. So ein Prozess kann Jahre und bei grammatischen Veränderungen Jahrzehnte dauern.Und was ist mit den Menschen, die gerade deutsch lernen?
Die Sprache von Lernenden ist anders als die von Muttersprachlern. Und vor allem Erwachsene haben es im Gegensatz zu Kindern schwerer, eine Sprache zu erlernen. Es geht immer um Reibungsmöglichkeiten. Also die Zeit, die man selber zum Lernen aufbringen kann und die Möglichkeit, mit deutschen Muttersprachlern zu interagieren. Natürlich spielt auch die eigene Bildung eine Rolle. Diese Interaktion findet im momentanen Klima nicht oder zu wenig statt, weil Geflüchtete eher weggepfercht werden.Was sagen sie zu der These von Prof. Hinrichs, dass sich das Deutsch durch die Migration immer weiter vereinfacht?
Prof. Dr. Hinrichs behauptet, dass Einwanderer den Sprachwandel beschleunigen, weil sie Präpositionen durcheinanderbringen und Wortendungen raus- und Kasusmarkierungen weglassen. Seine These beruht aber auch darauf, dass sich die deutschen Muttersprachler daran anpassen. Wenn jemand eine Sprache lernt, macht er häufiger Fehler. Dass die sprachlichen Unzulänglichkeiten von Lernenden das Deutsche aber insgesamt verändern, halte ich für eine verallgemeinernde Spekulation. Sprecher gleichen sich in der Interaktion oft einander an, aber wieso soll das immer in eine Richtung funktionieren? Migranten haben ja selbst ein starkes Interesse daran, ihr Deutsch durch die Interaktion mit Muttersprachlern zu verbessern. Und was wir von Migranten an neuen Wörter und Ausdrücken mitnehmen, sollte man ebenso beachten.Wie reden wir also in Zukunft?
Das kommt auf uns an. Wenn Menschen eine andere Sprache lernen, kommt es oft zu kreativen Zwischenfällen, sowohl bei der Form des Lernens als auch in der dann eigentlichen Sprache. Dolmetscher und Hilfslehrer müssen aus der Not der momentanen Lage heraus erfinderisch werden, wie sie eine gelungene Verständigung etablieren können und andersherum müssen Geflüchtete Gebrauchsformen des Deutschen entwicklen, um in dieser Gesellschaft weiter zu kommen. Am Ende können beide Seiten voneinander profitieren.