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Laktosefreies LSD, Lines-to-go und "zweite Kassa bitte": Das war der Wiener "Drogen-Supermarkt"

Die Wiener Polizei präsentierte einen Schlag gegen einen beispiellosen Drogenring. Wir haben uns mit einem Stammkunden unterhalten.
Foto: LPD Wien

Am Mittwoch präsentierte die Wiener Polizei auf einer Pressekonferenz einen ganz besonderen Erfolg. So sei es ihr gelungen, einen Drogenring von nie da gewesenem Ausmaß hochzunehmen. In einer als Ledermanufaktur getarnten Werkstatt seien über ein Jahr hinweg Drogen sämtlicher Art—so ziemlich alles abgesehen von Heroin—im Wert vom knapp einer Million Euro erwirtschaftet worden.

Die Werkstatt lagerte außerdem Rauschmittel im Wert von einer weiteren halben Million Euro. Die Polizei brauchte ganze zwei Tage, um die riesige Menge an Suchtmittel abzutransportieren. Tatverdächtig sind ein 40- und ein 42-Jähriger aus Wien sowie ein 52-jähriger Graslieferant. Noch wochenlang, nachdem die Ermittler säckeweise die Cannabis-Plantage in der Obersteiermark hochgenommen hatten, wäre der Geruch noch nicht aus den Polizeiautos gewesen, hieß es.

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Von den Ermittlern war der Fall der getarnten Ledermanufaktur den Medienvertretern als wahrer "Drogen-Supermarkt" geschildert worden. Es habe offizielle Öffnungszeiten sowie ein weitreichendes Sortiment gegeben: das reichte von 10 bis 15 Sorten Gras über Kokain, Amphetaminen, Ecstasy, Liquid Ecstasy, bis hin zu Magic Mushrooms, LSD-Trips und -Würfeln (auch mit braunem Zucker) und Kokablättern.

Der Zeitpunkt, diese Geschichte als saftigen Erfolg zu präsentieren, war vermutlich taktisch bewusst gewählt: Tatsächlich war die Erfolgsstory nämlich nicht neu und der Wiener Drogenshop schon vor einigen Monaten hochgenommen worden. Uns hat ein früherer Stammkunde nun erzählt, was sich im Ganja-Greißler so alles abgespielt hat.

VICE: Erzähl doch mal von deinem ersten Besuch im sogenannten "Drogen-Supermarkt".
Eigentlich fing alles mit dem Nachbarn im Haus meiner damaligen Wohnung an. Ich hab ständig bei ihm Weed geschnorrt oder ihn gebeten, dass er mir von seinem Connect was mitnimmt. Irgendwann war er dann wohl schon ziemlich genervt und meinte: "Geh doch einfach selber hin, ich werd dich dort empfehlen." Dann bin ich zur beschriebenen Adresse—Grohgasse, Innenhof, die Werkstatt mit den Backsteinen—und drinnen hingen drei Typen rum, die mich nicht grüßten und mich auch sonst minutenlang ignorierten. Natürlich hatte mich mein Nachbar nicht empfohlen, aber irgendwann stand einer von ihnen auf und schüttelte mir die Hand. Damit war ich wohl akzeptiert.

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Kam man da so einfach ohne Hindernisse rein?
Ja. Also die Türe raus zur Straße war immer offen. Dann stand man erst in diesem Innenhof und dann brauchte man auch nur mehr die Holztüre zur Werkstatt öffnen und man war drinnen. Als ich anfing, dort hinzugehen—das war Ende 2014—, sah das Geschäftsmodell aber auch noch anders aus. Es gab hauptsächlich Gras, aber dafür ziemlich gutes. Das lag nicht offen rum, sondern war in einem Safe hinter einem Bild versteckt. Das Ganze kam dann erst in Fahrt, als der zweite Betreiber einstieg, der sowohl einen ziemlich erweiterten Kundenstock mitbrachte, als auch das Keta, das Koks und ziemlich alles andere chemische Zeug.

Screenshot einer installierten Kamera im Hof vor der Werkstatt. Foto: LPD Wien

Was sagst du zur Bezeichnung "Drogen-Supermarkt", war das zutreffend?
Naja, wenn, dann schon eher Bio- oder vielleicht Fairtrade-Markt (lacht). Nein ehrlich, der Kundenumgang war halt einfach wirklich bestens. Und so wie der Laden geführt wurde, würde ich ihn eher noch als Cocktail-Bar bezeichnen. Man kam rein, dann den kurzen Gang entlang und dann waren da rechts die zwei Theken, davor ein Couch-Bereich und für die kalten Tage ein Ofen. Zuerst war die Theke für das Lederhandwerk, wo einer der zwei Betreiber, ich würde ihn den "Apachen" nennen, auch wirklich ständig auf das Leder einhämmerte und zum Teil so Sadomaso-Zeug verkaufte. Gleich daneben dann die "Tiki-Bar", das stand auch auf einem Schild. Dort saß der "Wikinger", also Betreiber Nummer 2, und vertickte das ganze Zeug. Da stand auch eine Papststatue wo ein Foto des Wikingers auf das Gesicht geklebt war.

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"Wenn, dann war das ein Bio- oder Fairtrade-Markt. Am ehesten entsprach der Laden aber einer Cocktail-Bar."

Warum "Apache", warum "Wikinger" ?
Also der Apache war dort schon länger, der Wikinger stieß mit seinen Kunden und dem ganzen härteren Zeug eben erst später dazu. Der Apache hatte so eine Irokesen-Frisur, wie sie eben Apachen hatten, glaube ich. Außerdem hatte er lauter so Indianer-Tattoos. Und der Wikinger, naja, wer ihn kennt weiß, was ich meine. Riesen-Typ und wenn er über seine Witze lachte, dann war das ein ziemliches Gebrüll. Ich vermute ja, dass das Gebrüll vielleicht einen Teil dazu beitrug, dass der Laden am Ende hochging. Das letzte Mal, als ich den Wikinger sah, saß er im Liegestuhl draußen im Hof, hatte unendlich laut Techno aufgedreht und rauchte eine 30 Zentimeter lange Cohiba. Dass die beiden Typen all ihr Zeug erst selbst testeten, bevor sie es an ihre Kunden verkauften, muss ich nicht extra erwähnen, oder? Ich hab mich immer gefragt, was zur Hölle sich die Nachbarn im angrenzenden Wohnhaus denken, ob es da ein Arrangement gab. Hab nie jemanden von dort gesehen oder was mitbekommen.

Jedenfalls sah man dort von allen Fenstern erstens auf den Hof, zweitens praktisch in die Lederwerkstatt hinein, wo sich für sich für eine herkömmliche Werkstatt doch ständig ziemlich viele, verschiedenste Menschen befanden. Muss jedenfalls mehr als seltsam ausgesehen haben.

Ja, erinnert mich ein bisschen an die Simpsons-Folge mit der Prohibition, wo sich nachts alle in Moes Tierhandlung rumtreiben. Wie würdest du die Kundschaft bezeichnen? Einer der Haupttäter soll ja zum Chef-Ermittler gesagt haben, nachdem er gefragt wurde, ob er auch in "anderen Szenen verkaufe": "Ich brauch keine anderen Szenen, ich hab meine eigene".
Also um Abnehmer brauchte man sich sicher nicht zu sorgen. Und Freitagabends war sowieso immer Höchstbetrieb. Da standen dann schon mal fünfzehn Leute in der Schlange. Da waren vom abgetanzten Goa-Typen bis zum Business Dude im Designer Anzug und mit Aktentasche für sein Koks wirklich alles dabei. Einmal war so viel los, dass der Wikinger auch wirklich "zweite Kassa bitte" rief, und dann sein Kollege übernahm. Zum Abkassieren trugen beide richtige "Kellnerfleck".

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"Einmal war dort so viel los, dass jemand 'zweite Kassa bitte' gerufen hat—und der Ruf wurde auch erhört."

Dass der Umgang mit den Kunden freundschaftlich war, haben sogar die Ermittler erwähnt.
Auf jeden Fall, um auch noch einmal den Bar-Charakter zu bedienen. Der Wikinger war zwar nicht mit allen Kunden besonders eng, aber kannte trotzdem jeden, nahm sich erst Zeit für ein Gespräch, bevor es die Ware gab. Eben wie ein guter Barkeeper. Deshalb konnte es mitunter in der Schlange auch länger dauern. Außerdem hatte er so einen Barkeeper-Move, wenn er das verpackte Gras mit einer Zange sich von unten über die Schulter warf, so als wären es Eiswürfel. Die Drogen, etwa das Koks, wurden auf Wunsch vor den eigenen Augen gestreckt, von den laktosefreien LSD-Würfeln muss ich erst gar nicht anfangen, das hat auch schon die Polizei erwähnt. Koks hab ich mir selbst sehr selten geleistet, aber gerne mal die "Line to go" in Anspruch genommen, eine dicke Line für 5 Euro.

Warum wurde eigentlich alles außer Heroin verkauft?
Opiate lehnten sie völlig ab. Erstens nahm das der Wikinger selbst nicht, zweitens gab es wohl persönliche, schlechte Erfahrungen. Das Wichtigste war aber wohl, dass dir Heroin-Abhängige wirklich viel Ärger bereiten können. Da geht dann die Abhängigkeit soweit, dass man falsch, intrigant und betrügerisch wird.

Wie hast du erfahren, dass der Laden hochgenommen wurde?
Ich bekam eine SMS wo nur drinnen stand "nicht hingehen". Später hab ich erfahren, dass ein Bekannter gerade um die Ecke gebogen ist und hin wollte, da hat er schon die Polizisten gesehen, wie sie den Wikinger in Handschellen abführten.

Bist du traurig, dass das Business zu ist?
Ich sag mal so, die Drogen finden ihren Weg sowieso nach Österreich. Bei den beiden Typen waren sie jedenfalls meiner Meinung nach in den besten Händen.