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Was Crédit Suisse damit zu tun hat, dass sich 28 Indonesier die Lippen zunähten

Die Insel Pulau Padang wird von der Papierindustrie so sehr bedroht, dass sich einige aus Protest gar die Lippen zunähten. Auch die Crédit Suisse ist mit im Geschäft.
Foto von Yann Patrick Martins

Man kann kaum weiter reisen als von Indonesien in die Schweiz. Und es reisen wohl deutlich mehr Leute aus der Schweiz nach Indonesien als umgekehrt. Woro Supartinam Jikalahari und Isnadi Esman haben aber den beschwerlicheren Weg gewählt und sind von Indonesien in die Schweiz gereist. Nicht aus Vergnügen, sondern aus Not.

Woro und Isnadi sind in die Schweiz gekommen, um die erste Grossbank, die von einem US-Gericht verurteilt wurde, zu konfrontieren: Die Crédit Suisse. Die CS vergibt einen 50 Millionen-Kredit an den Papier-Riesen APRIL. Banken wie die Banco Santander und ABN Amro haben sich von dieser Firma distanziert. Morgen werden Woro und Isnadi gemeinsam mit Vertretern von Greenpeace und anderen NGOs eine Petition an die Crédit Suisse übergeben; am Freitag ist dann die Crédit Suisse-Generalversammlung, an der sie auch teilnehmen.

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Woro ist als NGO-Vertreterin hier, auch Isnadi ist Aktivist und kommt selbst von Pulau Padang, einer kleinen Insel vor Sumatra. 35.000 Menschen leben auf Pulau Padang auf zwölf Dörfer verteilt. Etwa 700 von ihnen gehören zum indigenen Akit-Stamm. Pulau Padang ist bedroht—die Menschen auf Pulau Padang, die Natur auf Pulau Padang, die Insel als Ganzes und zwar von einer Industrie, deren Produkt so harmlos und allgegenwärtig ist, wie es nur sein kann: Papier. Die Papierzellstoffindustrie hat Dörfer gespalten, 80 Leute zum Hungerstreik gebracht und fast 30 dazu, sich selbst den Mund zuzunähen.

Foto von Yann Patrick Martins

Woro und Isnadi machen sich keine Illusionen darüber, wie ihre Hoffnungen bei der Crédit Suisse stehen. Immer wieder bekommen sie Lachanfälle, wenn ich sie nach ihren Erwartungen an die Schweiz frage. „Smiling at the tragedy" ist ihre Methode, um mit der Situation umzugehen. Umso beeindruckender, dass sie ihr Engagement fortsetzen. Wir haben uns mit ihnen unterhalten.

VICE: Was genau passiert in Pulau Padang?
Woro: Fast ganz Pulau Padang besteht aus feuchtem Torfland. Da die Torfschicht über drei Meter dick ist, wäre das Gebiet nach indonesischem Gesetz geschützt. In Pulau Padang ist die Torfschicht sogar bis zu zwölf Meter dick, aber das interessiert niemanden …
Isnadi: Die Papier-Firma baut Kanäle, wo bisher Flüsse waren. Das trocknet den Torf aus und ist der Torf erst einmal trocken, reicht eine Zigarette, damit ganze Waldgebiete brennen.
Woro: Brände wie es sie in Sumatra jedes Jahr gibt. Alleine letztes Jahr mussten 50.000 Menschen ihre Häuser für immer verlassen. Einige sind gestorben und der Rauch wird vom Wind bis nach Singapur getragen.

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Und die Papier-Firma unternimmt nichts gegen die Feuer?
Isnadi: Nein, aber sie müssten eigentlich. Aber wir haben sogar Informationen, die darauf hinweisen, dass sie auch Feuer legen. Wir haben nur keine Beweise dafür.
Woro: Die Firma verklagte uns, weil wir auf dem Konzessionsland Bodenuntersuchungen machten. Vielleicht haben wir auch darum keine Beweise. Aber es ist absurd: Auf dem Land, das der Firma zugesprochen wurde, leben Menschen und haben dort ihre Farmen. Neun der zwölf Dörfer auf Pulau Padang liegen innerhalb vom Areal.

Alle Fotos von Pulau Pagang von Woro zur Verfügung gestellt

Was macht die Bevölkerung von Pulau Padang, um die Papier-Firma zu stoppen?
Woro: Nachdem die Firma 2009 die Zulassung bekommen hatte, reisten 80 Leute für einen Hungerstreik nach Jakarta.
Isnadi: Ich habe diesen Widerstand koordiniert. 2011 haben sich dann 28 von uns den Mund zugenäht, um gegen das Vorgehen zu protestieren.

Du auch?
Isnadi: Ich selbst? Nein. Ich musste das ja organisieren.
Woro: Alle haben sich den Mund selbst zugenäht, da kein Arzt bereit war, das zu machen.

Und was ist seither passiert?
Woro: 2012 gab es eine Art Bruch. Vorher waren alle Bewohner geschlossen gegen die Firma.
Isnadi: Heute steht es etwa bei 50:50. Die Papier-Firma sucht gezielt Verbündete, so geht sie auf Dorfvorsteher zu und macht ihnen Versprechungen, etwa eine Arbeitsstelle oder natürlich Geld.

Aber etwa die Hälfte der Einwohner kämpft immer noch gegen die Papier-Industrie?
Isnadi: Ja, man muss auch wissen, dass der Grund und Boden der Leute bedroht ist. Aber auch, dass die Leute ihre Boote, Möbel und fast alles Gebrauchsgut aus Rinde und Holz des Rattan-Baums fertigen.
Woro: Ein Jahr später begann die Regierung im Konflikt zu vermitteln. Da wurden—entschuldigt, dass ich lachen muss—die drei Dörfer, in denen der Widerstand am grössten war, aus dem Konzessionsgebiet ausgeschlossen.
Isnadi: Mein Dorf, Bagan Melibur, war eines der drei. Aber die Firma setzt ihre Aktivitäten auch dort fort.

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Hinter diesem Grenzstein endet das Gebiet, in dem APRIL wirken darf; Foto vom Mai 2014

Dasselbe Gebiet im Oktober 2014; Foto von Woro

Und die Regierung lässt das einfach geschehen?
Woro: Der Regierung fehlen die Mittel, das zu überwachen. Ausserdem sind Extra-Verdienste, Korruption und Geldwäscherei Dauerthemen.

Was fordert ihr morgen beim Treffen mit der Delegation der Crédit Suisse?
Woro: Wir wollen, dass die Bank aufhört, APRIL zu finanzieren, solange diese nicht nachhaltig wirtschaften und ihre Forstrichtlinien einhalten. Andere Banken haben auch aufgehört. Wir verstehen, dass Banken auf Profit aus sind, aber in Zukunft macht nur noch Profit, wer nachhaltig handelt.

Und wie hoch schätzt ihr eure Chancen ein, dass die Crédit Suisse und die Schweizer Bevölkerung das nach eurem Besuch in der Schweiz tatsächlich tun?
Woro lacht nur.

Ich sehe, du machst dir keine Illusionen.
Woro: Diese Frage habe ich wirklich nicht erwartet. Naja, wir wollen natürlich die Geschichte von Pulau Padang erzählen. Wir wollen, dass die Leute verstehen, dass ihr Handeln in der Schweiz Folgen am anderen Ende der Welt hat.
Isnadi: Pulau Padang soll wieder Pulau Padang werden. Wir sind bereit unsere ganze Lebenszeit dafür zu opfern, dass sie unsere Dörfer nicht zerstören.

Foto von Yann Patrick Martins

An dieser Stelle bringen sich die beiden Greenpeace-Vertreterinnen, die bisher still vom Tischende zugehört haben, ins Gespräch ein.

Katya: Eine Veränderung ist möglich. Der erste Schritt ist gemacht, wenn die Bevölkerung über die Machenschaften der Banken informiert ist. Den Schweizern ist Nachhaltigkeit wichtig und die Banken können nicht nur so tun, als ob, und solche Geschäfte einfach zulassen.
Lilla: Unsere Petition zum Thema ist auf viel Widerhall gestossen. Fast 25.000 haben unterschrieben. Sehr viele Leute haben kommentiert und gesagt, wie wichtig das Thema ist. Regenwaldzerstörung geht uns auch hier etwas an.

Die zwei wirken deutlich optimistischer als Woro und Isnadi. Nachdem Woro mir auf ihrem Laptop noch mehr Bilder von zerstörten Wäldern und zugenähten Lippen zeigt, bitte ich sie drum, mir diese doch zu schicken. Ich habe keine Ahnung, woher das Papier kommt, auf dem ich ihr meine Kontaktdaten gebe.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland