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Was die Limmatputzete über das Leben der Stadtzürcher verrät

Die grösste unsichtbare Müllkippe der Schweiz wurde wieder geleert.
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Dieses Wochenende war Limmatputzete. Man könnte auch sagen, die grösste Müllkippe der Schweiz wurde wieder geleert: 180 Taucher, Polizisten, Fischer, Müllabfuhrmitarbeiter und Kantischüler hievten mehrere Tonnen Abfall aus dem Stadtfluss in Schuttmulden an Land.

Der Müllberg unter Wasser wird seit 1971 alle drei Jahre mit Freiwilligenarbeit abgetragen. Er ist ein ökologischer Schandfleck, der aber zugleich das Bild der hiesigen Wegwerfgesellschaft zementiert. Denn laut einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung produziert ausser den USA und Dänemark kein OECD-Staat pro Kopf so viel Abfall wie die Schweiz.

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Immerhin lässt sich ganz in der Tradition archäologischer Müllforschung an den Dingen, die den Limmatfluten geopfert wurden, die Lebensrealitäten des gemeinen Stadtzürchers rekonstruieren:

Das Flussufer ist eine Bar

Sobald die Temperaturen steigen, spriesst am Saum der Limmat ein dunkles Riff aus hunderten von Bierdosen, Wodkaflaschen und sonstigen Alkoholverpackungen. Sie machen mengenmässig jedes Jahr den grössten Teil des Abfalls der Limmatputzete aus. Die Mülltaucher sammeln die Hinterlassenschaften der beduselten Naturenthusiasten jeweils von Hand ein.

Velos schweben in ständiger Gefahr

Wer einmal in der Innenstadt vergessen hat, sein Velo abzuschliessen oder es mit einem billigen Schlauchschloss (im Fachjargon Geschenkband) stehen gelassen hat, kann darauf wetten, dass es wenige Stunden später für immer verloren ist. Die Limmatputzete zeigt, wo manche der vermissten Drahtesel ihr Ende fanden: Dieses Jahr wurden 24 Velos aus dem Fluss gezogen. Im Jahr 2013, als die Reinigung näher beim Hauptbahnhof stattfand, waren es 51 Exemplare.

Zürich ist ein Dorf

Es ist keine gute Idee, die hässliche Perlenkette deiner Mutter, die Stierstatue des Ex-Lovers oder die Pump-Action des letzten Raubüberfalls heimlich in der Limmat zu versenken. Denn in Zürich nehmen sich Gesetzeshüter noch die Zeit, im Flussabfall zu grübeln: Die aus der Limmat gezogenen Waffe von 2013 konnte gemäss Wasserpolizei einem Kriminalfall zugeordnet werden. Und auch der Wegwerfer der Stierstatue dürfte den Glauben an die Anonymität der Stadt verloren haben, sie schaffte es auf das Titelbild eines NZZ-Artikels.

Smartphones und Portemonnaies kann man ersetzen

Waghalsige Brücken-Selfies, betrunkene iPhone-Schnappschüsse, Wutanfälle über den letzten Bankauszug: Es gibt viele Möglichkeiten, wie sechs Smartphones und diverse Portemonnaies ihren Weg in die Limmat fanden. Fest steht, es kümmerte niemanden so sehr, als dass er oder sie viel unternommen hätte, den Besitz vor dem Wasser zu retten.

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