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Geiz ist nicht geil, sondern zerstört Freundschaften

Wenn in einer Freundschaft irgendwann jeder Cent penibel abgerechnet wird, kann sie schnell zerbrechen.
Foto: reynermedia via flickr

Von klein an wird den meisten von uns eingebläut, dass man nicht über Geld spricht. Es gehört sich angeblich nicht, jemanden zu fragen, wie viel er verdient und auch generell lässt man es lieber, geldbezogene Themen zu besprechen, wenn es nicht zwingend notwendig ist.

Erst vergangenes Jahr berichtete die FAZ, dass laut einer repräsentativen Postbank-Studie Geld für 64 Prozent der Deutschen nach wie vor ein Tabuthema sei. In Österreich gibt es aktuell keine Erhebung dazu—aber allein der Umstand, dass man sich bei uns immer noch mit der Frage beschäftigt, ob man das Thema Geld überhaupt bei Bewerbungsgesprächen erwähnen darf, wie Der Standard berichtete, lässt einen ahnen, wie es bei uns damit aussieht. In meinem Freundeskreis ist es den meisten extrem unangenehm, über Geld zu sprechen und endet meistens im Streit.

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Aber spätestens, wenn man sich das erste Mal mit einer Freundin eine WG teilt, miteinander auf Urlaub fährt oder aus irgendeinem anderen Grund gemeinsame Kosten anfallen, ist es an der Zeit, trotzdem darüber zu reden.

Wenn es um Geld und Freundschaften geht, gibt es meiner Erfahrung nach zwei Typen von Menschen: Die geizigen Sparefrohs, die jeden Cent drei Mal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben—vor allem, wenn es sich um gemeinsame Investitionen oder Ausgaben für jemand anderes handelt—und die, die das Ganze nicht so genau nehmen und denken, es gleicht sich irgendwann ohnehin wieder aus. Auch Sigmund Freud unterschied zwischen diesen beiden Extremen, die für ihn beide krankhaft waren; Geiz sah er als Ausdruck eines pedantischen Analcharakters.

Ich selbst würde mich (nicht nur deswegen) zur zweiten Gruppe zählen. Für mich gehört es zu einer Freundschaft, dem anderen ab und zu eine Kleinigkeit zu schenken oder ihm sein neu erschienenes Lieblingsmagazin mitzubringen. Einfach nur, weil ich weiß, dass sich der andere darüber freut—und weil ich eben weiß, dass es sich irgendwann wieder ausgleicht und meine Freundin das nächste Mal dafür vielleicht die Spritzer-Rechnung übernimmt. Mittlerweile bin ich jedoch so weit, dass ich diese Einstellung nur noch Menschen gegenüber habe, die genau so denken. Und zwar, weil mich der Geiz der anderen Freunde mittlerweile wirklich verbittert hat. Und ich bin überzeugt: Nicht umsonst ist er eine der sieben Todsünden.

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Natürlich bedeutet Geiz nicht, dass jemand wenig ausgibt, weil er wenig Geld hat. Geiz bedeutet, dass jemand wenig ausgeben oder keine Rechnungen übernehmen will, obwohl er genug Geld hätte. Das sind genau die Menschen, die sich in der Hoffnung, ihre Mitbewohnerin würde es nicht merken, an deren Sachen im Kühlschrank bedienen, aber gleichzeitig Geld für jeden einzelnen Kaffee-Pad eintreiben. Irgendwann führt dieses penible und knausrige Verhalten dazu, dass man sich gegenseitig nichts mehr gönnt und die Freundschaft leidet unweigerlich darunter.

Diejenigen in meinem Freundeskreis, die nicht so denken, fühlen sich furchtbar gönnerhaft, wenn sie bei einer penibel genau aufgeteilten Rechnung von 15,75 Euro 16 geben und dann „Passt schon" sagen und hauen dann beim nächsten Treffen Dinge wie „Weißt du eh, dass du mir noch 1,20 Euro vom letzten Fortgehen schuldest?" raus. Dass solche Eigenheiten mit der Zeit zwischenmenschliche Beziehungen zerstören, weil sie sich dadurch anfühlen wie bürokratische, zu Tode rationalisierte Angelegenheiten, merken diese Menschen nicht.

Auch Anton Bucher, Autor des Buches Geiz, Neid, Trägheit & Co. in Therapie und Seelsorge sieht in Geiz eine Eigenschaft, die Menschen auseinander bringen kann. „Menschen sind soziale Wesen, und das effizienteste zwischenmenschliche Prinzip war und ist der reziproke Altruismus: Gibst Du mir, dann gebe ich Dir", sagt Bucher. „In unserer Befragung von gut 500 Personen zeigte sich, dass Geiz als die schlimmste aller sieben Todsünden empfunden wird. Geiz macht nicht nur unsympathisch, er lässt Menschen vereinsamen, stimmt sie unglücklich und kann dazu führen, noch weniger von sich zu geben, noch mehr an sich raffen zu wollen. Der französische Dichter Molière schilderte den Geizigen als spindeldürr, mit traurigen Augen—und allein."

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Generell gehen Geiz und Einsamkeit auch in der (Pop-)Kultur oft Hand in Hand. Denkt man zum Beispiel an Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte und deren Protagonisten Ebenezer Scrooge, der ein geiziger, eiskalter und vor allem einsamer Eigenbrötler ist, oder an Onkel Dagobert, der zwar ganz glücklich mit seinem Geldspeicher, aber dennoch nicht für seine Großzügigkeit bekannt ist, wird dieses Muster schnell erkennbar. Generell haben geizige Romanfiguren nur selten etwas Herzliches. Im Gegenteil: Sie sind abgebrüht, gefühlskalt und berechnend, ihr Reichtum ist ihr einziger Zufluchtsort und die Sicherheit, die sie sich selbst im Leben schaffen.

Darüber, wo geiziges Verhalten in der Persönlichkeit eines Menschen herrührt, ist man sich uneinig. Freuds frühe Thesen können laut Bucher aus wissenschaftlicher Sicht heute nicht mehr bestätigt werden. Mittlerweile stellt sich ohnehin eher die Frage, ob Geiz anerzogen ist. Mit der Sozialisation hat er für Bucher auf jeden Fall zu tun: „Dass Geiz speziell von den Eltern erlernt wird, ist weit wahrscheinlicher als die Annahme von Freud. Indizien gibt es auch dafür, dass Geiz eine Kompensation für emotionale Entbehrungen ist. Wem Liebe und Zuneigung fehlen, versucht oft, sich mit Materiellem zu entschädigen. Jedenfalls gibt es signifikante Korrelationen zwischen vermindertem Selbstwertgefühl und geizigem Verhalten."

Für mich bedeutet Geiz einem Menschen gegenüber, den man (eigentlich) liebt, zwei Dinge: Man nimmt einer Freundschaft durch das ständige Abrechnen von Kleinigkeiten die Leichtigkeit und die Emotion. Man wickelt das Ganze wie ein Geschäft ab und das führt dazu, dass keiner der beiden dem anderen noch einen Gefallen tun will, weil man weiß, dass der andere es auch nicht tun würde. Und die Tabuisierung des Themas Geld auf zwischenmenschlicher Ebene führt dazu, dass sich in vielen Situationen, die eigentlich mit einem kurzen, unangenehmen aber klärenden Gespräch, erledigt gewesen wären, Ärger aufstaut und sich alles hochschaukelt.

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Freundschaft lebt eben von Austausch und Freigiebigkeit. „Geiz ist Gift für soziale Nahbeziehungen", sagt Bucher. Ehen, in denen ein Partner als geizig erlebt wird, sind weniger stabil. Geizige tun sich auch schwerer damit, Danke sagen zu können. Dankbarkeit ist eine der effizientesten Glückssteigerungsstrategien und der beste Kit für Freundschaft."

Vielleicht ist der einzige Weg, mit geizigen Menschen im eigenen Leben umzugehen, sich von ihnen zu lösen—zumindest emotional. Eine Freundschaft mit jemandem zu führen, dem jeder Cent zu schade für einen ist und der beim gemeinsamen Essen sogar die Pommes abzählt, bedeutet für mich jedenfalls sehr viel Ärger und Frust.

Vielleicht ist das Problem aber auch schon bald keines mehr. So weit verbreitet Geiz immer noch ist, so schnell nimmt auch die Akzeptanz ihm gegenüber in der Gesellschaft ab. Vom „Geiz ist geil"-Slogan ist heute wenig geblieben: Schon 2012 schrieb Die Zeit ein Anti-Geiz-Plädoyer für Luxuskonsum; 2013 erklärte ihn Der Standard neben Gier zu einem der „größten Übel der Menschheit". Die sogenannte „Geizhalsbewegung", die in den 1990ern in den USA entstanden und kurzzeitig in den Niederlanden aufgeflammt ist, hat heute weniger Medienecho als das Team Stronach; und die österreichische Geizhals-Zeitung war auch ein eher erfolgloses Unterfangen.

Vielleicht ist meine Hoffnung nicht ganz unbegründet, dass nicht ich ein Auslaufmodell bin, sondern eher meine Freundinnen, die jeden Cent umdrehen und polieren. Bis es soweit ist, man muss vielleicht einsehen, dass es sich bei Leuten, denen man offenbar nichts (in diesem Fall: Materielles) wert ist, eher um eine gute Bekanntschaft als um echte Freundschaft handelt. Und bevor ihr jetzt sagt, dass man seine Freunde so nehmen muss, wie sie sind: Ja. Aber wenn sie einem dabei ein beschissenes Gefühl geben, sollte man die Freundschaft vielleicht noch einmal überdenken—auch wenn man den Menschen nicht ändern kann.

Verena auf Twitter: @verenabgnr


Titelbild: reynermedia | flickr | CC BY 2.0