Tierärzte enthüllen: Das berühmteste Faultier-Heim der Welt ist ein Tieralbtraum
Alle Bilder: Camilla Dunner und Gabriel Pastor

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Tierärzte enthüllen: Das berühmteste Faultier-Heim der Welt ist ein Tieralbtraum

Des Internets liebste Tiere werden in der berühmtesten Auffangstation der Welt gequält, werfen Whistleblower der Sloth Sanctuary vor.

Wir sind uns wahrscheinlich alle einig: Faultiere sind süß. Noch süßer sind nur eine ganze Menge Faultiere auf einmal, die zen-entspannt kopfüber herumhängen, in Superzeitlupe Blätter kauen oder sonstige Faultiersachen machen und immer ein bisschen stoned zu lächeln scheinen.

So eine ganze Menge Faultiere auf einmal kann man zum Beispiel in Costa Rica bei Judy Avey-Arroyo und ihrer berühmten Sloth Sanctuary finden. Touristen besuchen gern die seit 1992 existierende Anlage mit rund 140 zum Teil verwaisten Bewohnern; und deshalb war auch die VICE Cute Show 2011 mit Kameras vor Ort, um ein bisschen freundlichen Dreifingercontent zu filmen.

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Leider gibt es daran, ihr ahnt schon die Fallhöhe, ein Problem. Wie ein sehr langer Artikel zweier ehemaliger Mitarbeiter auf der Tierschutzwebsite The Dodo illustriert, ist die niedliche Auffangstation offenbar eher ein Jahrzehnte andauernder Tieralbtraum für seine Insassen.

Die Vorwürfe gegen die privat geführte Einrichtung wiegen schwer: Der Betreiberin gehe es überhaupt nicht um Rehabilitierung verlassener Exemplare, sondern um den Profit und um ein unverhältnismäßiges Horten der Tiere—die Besitzerin wird mit unzähligen Beispielen als eine Art uneinsichtige Crazy Sloth Lady dargestellt, die die Tiere entführen, vernachlässigen und quälen würde.

Die chilenische Tierärztin Dr. Camilla Dunner, eine der beiden Whistleblower, ist sogar „fest davon überzeugt, dass die Tiere dort durch grobe Fahrlässigkeit getötet werden." Gemeinsam mit ihrem Mann Gabriel Pastor begann sie, im Mai 2015 in der Einrichtung zu arbeiten; verließ sie aber nach Dutzenden Disputen vor einigen Monaten und entschloss sich, mit vor Ort gesammeltem Material an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die Betreiber, so ihr Vorwurf, wären wie bessesen, so viele Tiere wie möglich in der Anlage zu halten—und würden ihnen durch ihre verquere Motivation, Geldgier, Vernachlässigung und medizinischen Dilettantismus enormes Leid zufügen. Babies seien häufig nicht verwaist, weil sie vom Baum gefallen sind; sondern weil das Team den Nachwuchs gewaltsam von der Mutter trenne. In die Wildnis freigelassen—eigentlich das erklärte Ziel der Einrichtung—wurden in 25 Jahren gerade einmal 44 Tiere. Diejenigen, die wiederholt versuchten, zu fliehen, wurden mehrere Male wieder im Wald eingefangen, behaupten Dunner und ihr Mann.

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Die Sloth Sanctuary hat bislang abgesehen von einem sehr allgemeinen Presse-Statement weder auf Anfrage von der The Dodo-Autorin oder Motherboard reagiert und hat sich auch auf Facebook noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Während ich diesen Artikel geschrieben habe, hat die Facebook-Seite der Sloth Sanctuary jedoch augenscheinlich mehrere kritische Kommentare gelöscht, die auf den Artikel auf The Dodo aufmerksam gemacht haben. Auf Twitter bezeichnet die Sloth Sanctuary die Anschuldigungen als „Schmutzkampagne" und den erschienenen Artikel als „Boulevardjournalismus". Dr. Camilla Dunner sagte gegenüber Motherboard heute, sie fühle sich „von Fanatikern bedroht" und fürchte „um meine Karriere". Sollten sich die Vorwürfe, die sich nicht schon allein durch die Bilder verifizieren lassen, jedoch bewahrheiten, würde eine Art Legende des Tierschutzes in sich zusammenbrechen.

In überfüllten Käfigreihen hängen die Tiere in den Gittern, und weil sich ihre Krallen nicht abnutzen, bohren sie sich zurück in die Handflächen.

Seit über 25 Jahren ist die Sloth Sanctaury in Costa Rica eine international bekannte Organisation, die gerne für Naturdokumentarfilme besucht wird und sich allein durch „edukative Touren" finanziert. Unzählige Medien berichteten über Judy Avey-Arroyos Tierheim—unter anderem, weil Faultiere nicht nur leicht zu filmen sind, sondern eben auch fotogen. Den karitativen Ansatz hat bislang niemand in Frage gestellt. Das dürfte der Bericht der beiden ehemaligen Mitarbeiter nun definitiv ändern. Bislang sieht es ganz danach aus, als würde sich in der Sloth Sanctuary statt des „¡Pura Vida!" („Das pure Leben!"), das dem Besucher auf der Website versprochen wird, eher das Gegenteil befinden.

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Laut den Tierärzten sei das vermeintliche Refugium nichts weiter als das Gefängnis eines Haufens kranker und verletzter Tiere—und die medizinische Versorgung sei völlig unzureichend. Die Auswahl der Tiere, die man der Öffentlichkeit präsentierte, sei nur die Schokoladenseite der Station—hier würden nur wenige handverlesene Waisen mit ausreichend Kletter- und Ruhemöglichkeiten präsentiert. Hinter verschlossenen Türen dagegen, so behaupten Dunner und Pastor, siechen aber pausenlos bis zu 200 kranke Faultiere vor sich hin.

In dem Artikel finden sich unzählige Fotos von blutenden Tieren mit Wunden und Entzündungen im Fell. Camilla Dunner hat Motherboard Zugriff zu einem Bilder-Ordner gestattet, in dem sich noch Dutzende weitere Dokumente und Bilder aus der Sanctuary befinden und die die Vorwürfe untermauern. In überfüllten Käfigreihen hängen die Tiere in den Gittern, weil sich ihre Krallen nicht abnutzen, bohren sie sich zurück in die Handflächen. Da das immer gleiche Futter aus rohem oder gekochtem Gemüse völlig ungeeignet (weil viel zu weich) für die Blattfresser sei, scheint man auf einem Bild auch zu erkennen, wie einem an Verstopfung leidenden Faultier der Urin aus der Blase mit einem Katheter abgeführt werden musste.

So einseitig wie die Ernährung sei der Tagesablauf für die Tiere auch. Obwohl die Tiere Einzelgänger sind, sieht man auf den Bildern, wie sich mehrere Tiere statt Bäumen einen Käfig teilen müssen und schon Babies in Kisten oder auf Decken zusammenleben müssen. Das führt zu Aggressionen und Stress: Einem Weibchen fehlte die Kopfhaut; andere haben Schaum vor dem Mund, versuchen, sich in ihren Käfigen unter Taschentüchern zu verstecken oder liegen erschöpft in ihren eigenen Urinpfützen.

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In einer E-Mail an Motherboard schrieb Camilla Dunner: „Wir haben keine Rache oder Verleumdungskampagne geplant. Wir haben die Betreiber intern gewarnt, doch sie wollten nicht zuhören. Außerdem haben wir eine formal-technische Beschwerde an MINAE [das für die Beaufsichtigung zustädnige Ministerium in Costa Rica] eingeleitet, aber weil wir keine Ergebnisse sahen, haben wir uns an die Presse gewandt."

Der schlimmste Fall, den die beiden im vergangenen Jahr dokumentierten, hieß Ubu: Voller entzündeter Druckstellen, die sich durch seinen Bewegungsmangel ausgebildet hatten, saß er nur noch apathisch in seinem Käfig, umklammerte ein Plüschtier, um die Schmerzen am Bauch zu lindern und kaute sogar seine Gliedmaßen ab, weil er sie nicht mehr spürte.

Dass die Tiere gezielt rehabilitiert und freigelassen werden, war für Dunner und Pastor sogar eine der Voraussetzungen für den Antritt des Jobs. Doch kaum ein Faultier, das in Facebook-Posts der Einrichtungen angeblich ausgewildert wurden, verließ das Gelände in Wirklichkeit, gab das Paar an. „Es es eine dreiste Lüge.", so Dunner. „Keins der Tiere wird jemals in die Freiheit entlassen werden, solange die Regierung Costa Ricas nicht einschreitet."

Die Beschreibungen der Tierärzte decken sich zum größten Teil mit denen einer früheren Volontärin, die ihre Erfahrungen in einem ebenfalls sehr langen Blogpost aus dem Jahr 2012 zusammengefasst hat—sogar Ubu ist auf ihren Bildern bereits zu sehen. Heute finanziert sich die Sloth Sanctuary abgesehen von den Touren durch ein Bed & Breakfast vor Ort, 2012 durften Freiwillige noch gegen einen relativ hohen Eigenbetrag für eine Weile in der Einrichtung mitarbeiten.

Diese Schilderungen stehen natürlich in eindeutigem Gegensatz zu der Darstellung der Sloth Sanctuary als wichtiges Bindeglied in der Tierschutzarbeit, dass die geschwächten Tiere auf ein Leben in Freiheit vorbereite: „Unsere Forschungsbemühen überdenken ständig Wege, durch die verlassene oder verwaiste Faultiere in ihren Lebensraum zurückkehren können, ohne ihre Gesundheit oder ihr Leben aufs Spiel zu setzen", heißt es zum Beispiel auf der Website. Neben den Touren und dem Hostel sollen Besucher laut der Website auch ein symbolisches Faultier durch eine Spende „adoptieren" können, um diese Auswilderungsbestreben und den Betrieb der Anlage zu unterstützen. „Eine komplette Lüge", so Dunner gegenüber The Dodo. „Das ganze gesammelte Geld ist niemals den Faultieren zugute gekommen."

Auf change.org gibt es eine Petition, die sich für die Schließung der Sloth Sanctuary und die Überführung der Tiere in eine angemessene Einrichtung bzw. ihre Auswilderung einsetzt.