Das sei echt kein lockerer Arbeitsplatz, auch wenn hier Gras angebaut werden soll, sagt Christoph Roßner. Der Atombunker, vor dem er steht, liegt eingeklemmt zwischen Parkplätzen und Feldern in der Allgäuer Landschaft wie ein gestrandeter Öltanker. Hier, vom ehemaligen Fliegerhorst Memmingerberg hätte die NATO den nuklearen Gegenschlag geführt, wäre der Kalte Krieg eskaliert. Heute will der Unternehmer hier Cannabis im Bunker züchten. Grüner Dunst statt schwarzem Regen – in Sichtweite einer Bundespolizei-Station und mit dem Segen der bayerischen Staatsregierung. Seit Anfang des Jahres ist Cannabis auf Rezept in Deutschland legal und Roßners Gefühlslage ist die eines Brauereibesitzers nach dem Ende der Prohibition: "Wir haben hier die Chance, einer der größten Player auf dem internationalen Cannabis-Markt zu werden."
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Alleine für 2015 zählt die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) fast fünf Millionen Deutsche, die während der letzten zwölf Monate mindestens einmal Cannabis konsumiert haben. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein. Aktivisten wie Geschäftsleute haben diesen ersten Schritt zur Legalisierung herbeigesehnt. Christoph Roßner ist beides. Und sieht auch so aus: schwarzes Jackett über schwarzem Pullover, die grauen Haare zum Pferdeschwanz gebändigt. Business in the front, party in the back.
Von der Kriegsmaschine zur Grasfabrik
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Elektrisch ächzt das Panzertor zur Seite. 175 Tonnen gehärteter Stahl, acht Meter breit, fast einen Meter dick. Eine Sirene heult wie bei einem U-Boot auf Tauchgang. Durch die Öffnung gelangt man in den eigentlichen Bunker, den die Außenmauer umschließt wie der Reaktorsarkophag von Tschernobyl. Danach eine weitere Schleusentür, noch mal 30 Zentimeter Stahl. Später sollen hier 15 Mitarbeiter von Roßners Firma Bunker PPD, die er noch einstellen will, die Straßenkleidung gegen Overalls ohne Taschen tauschen und ihre Fingerabdrücke scannen. Die wenigen, die reinkommen, werden nichts mit rausnehmen können. Roßner führt vorbei an ehemaligen Mannschaftsräumen und der Funkzentrale, über uns eine fünf Meter dicke Decke aus Stahlbeton. Man geht geduckt, obwohl man nicht müsste. Bald sollen hier Laboratorien einziehen und auf 950 Quadratmetern Hanf aus Hydrokulturen sprießen – wenn alles nach Plan läuft.
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Aber egal wie viele Nächte Roßner an seinen Businessplänen feilt, am Ende entscheiden andere: das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und die ihm unterstellte Bundesopiumstelle. Wer in Deutschland Betäubungsmittel herstellen oder damit handeln will, muss entweder mit ihnen reden oder sich irgendwann einen guten Anwalt suchen. Doch mal ist das TÜV-Siegel der Panzertür abgelaufen, mal entdecken die Beamten einen winzigen Fehler in einem Antrag: Die Bürokraten bearbeiten Roßner, den wandelnden Würgreiz für CSU-Politiker, so akribisch, als würden sie Franz Josef Strauß' letzten Willen erfüllen.
Vom Aktivisten zum Cannabis-Unternehmer
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Roßner wird verurteilt: Zwei Jahre und ein Monat. Davon verbringt er fünf Monate im Gefängnis und vier in Therapie. 17 Jahre ist das jetzt her. Als er rauskommt, klopft es wieder an seiner Haustür. Immer noch kommen Menschen, die Schmerzen haben. Roßner macht keine illegalen Geschäfte, an den medizinischen Nutzen von Cannabis glaubt er weiter. Zusammen mit dem Lehrstuhl für Chemie an der TU München und der University of British Columbia bereitet er gerade eine Studie vor, um die Wirkung der wichtigsten Medizinalhanf-Sorten zu erforschen und Qualitätsstandards dafür zu entwickeln. 150 Patienten will er dafür mit Cannabis aus seinem Bunker versorgen. Werden die Studie und der dafür nötige Hanf-Anbau genehmigt, wäre das sein erster entscheidender Schritt, um in den Markt für medizinisches Cannabis einzusteigen. Die Studie soll beweisen, dass er, der Ex-Häftling, seriös ist.Durch die Zusammenarbeit mit den Unis erhofft sich Roßner, dass die neu gegründete staatliche Cannabis-Agentur ihn wählt, um staatlich zertifiziertes Gras zu produzieren. Die Agentur soll Patienten künftig mit Marihuana aus Deutschland versorgen und sucht dafür europaweit nach Produzenten. Neben Roßner bewerben sich noch andere deutsche Unternehmer, zum Beispiel SensHemp aus Berlin und die Hanf AG aus Hamburg. 2.000 Kilogramm pro Jahr, schätzt die Agentur, müssten schon 2021 und 2022 auf deutschen Plantagen wachsen, um alle Patienten zu versorgen. Roßner glaubt, die deutschen Patienten brauchen pro Jahr das Sechsfache: über 12 Tonnen Gras. Wenn sich keiner mehr mühsam um eine Ausnahmegenehmigung bewerben muss, sondern nur noch ein Rezept benötigt, werden auch mehr Patienten diesen Schritt gehen, ist er sich sicher. Außerdem lohne es sich darunter nicht, eine mehrere Millionen Euro teure Anlage zu bauen. Doch ohne Genehmigung für die Studie könnte er seinen Bunker höchstens zu einem sehr ungemütlichen Landhaus einrichten.
Politiker, Investoren und Wirtschaftsbosse hören ihm zu
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Ausgerechnet ein strammer CSU-Konservativer hilft ihm bei seinem Plan. Franz Josef Pschierer, Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium bringt ihn 2016 mit Unternehmern und Politikern aus Bayern zusammen. Roßner erzählt ihnen von dem ungenutzten wirtschaftlichen Potential, möglichen Steuereinnahmen und Einsparungen bei Polizei und Gerichten. "Ohne die Hilfe der bayerischen Staatsregierung würde mir keiner zuhören", sagt er. Inzwischen plant er mit ThyssenKrupp seine Cannabis-Zuchtanlage – und führt Gespräche mit international tätigen Hedgefonds. Wenn sie bei ihm investieren, könnte der Freistaat Bayern sein Geschäft mit circa einer viertel Million Euro bezuschussen. Aus Steuergeldern. Marihuana sponsored by Horst Seehofer.
Während Roßner seinen Schlachtplan für die nächsten Monate skizziert, steigen wir tiefer in die luftdichte Gruft hinab. Hier gibt es weder Handyempfang noch Spinnweben. Comic-Malereien an den Wänden zeugen davon, womit sich die Soldaten hier beschäftigt haben, als sie gelangweilt warten mussten, ob der Dritte Weltkrieg beginnt. In einem Raum stehen noch Tresorkammern, groß wie Überseecontainer. Hier könnten die Mutterpflanzen wachsen. "Lampen rein, Belüftung anschließen, los geht's", sagt Roßner, "perfektere Bedingungen als hier findest du nirgends." Im ehemaligen Staffelgefechtsstand soll ein Hochsicherheitslabor einziehen. Chemiker könnten hier potente Cannabis-Sorten klonen. Nebenan steht noch ein Industrieofen, in dem früher Giftstoffe bei 900 Grad vernichtet wurden. In Zukunft sollen darin Erntereste verbrennen. Ein paar Sicherheitstüren weiter: der Raum für die Stecklinge. "Wir fangen mit 80 verschiedenen Sorten an", sagt Roßner selbstsicher, als hätte er die Genehmigung schon.
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Wettlauf mit internationalen Konkurrenten
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Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Artikels stand, die Firma Sensi Seeds kaufe in den USA Cannabisplantagen auf und dränge auch auf den Deutschen Markt. Das ist falsch. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.