Eine Österreicherin berichtet vom Raven in der jordanischen Wüste
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Eine Österreicherin berichtet vom Raven in der jordanischen Wüste

Ein Rave hat in Österreich schon auch mal mit der Polizei zu tun, aber in Jordanien ist so ein Projekt ein politisches Unterfangen auf einem ganz anderen Niveau.

"Scheiße, wir hätten doch keine Genehmigung anfragen sollen", sagt Shadi Khries, während er schnell Schalter auf dem DJ-Pult umlegt, um den Sound abzudrehen. Von der gerade noch tanzenden Menge vor ihm erntet er dafür verwirrte Blicke. Doch er selbst hat seinen Blick in die Ferne gerichtet, dorthin, wo gerade rot-blau blinkende Lichter in der Dunkelheit auftauchen.

Shadi Khries ist ein jordanischer DJ, der heuer ein einzigartiges elektronisches Musikfestival in Jordaniens Wüstenenklave Wadi Rum organisiert hat. Am mehrtägigen Programm des Wadi Rum Electro Festivals standen das Pariser Duo Acid Arab, die einen großen Erfolg mit ihren Remixes aus Acid House und orientalischer Musik feiern, das deutsche Techno-Kollektiv Station Endlos und Tushen Rai & Cornelius Doctor aus Lyon.

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Insgesamt sind 200 Festivalgänger aus aller Welt seiner Einladung an diesen untypischen Festivalort gefolgt, um inmitten dieser magisch-mystischen Landschaft aus rostroten Sandsteinbergen und Sanddünen die Zelte aufzuschlagen. Vier Stunden mit dem Bus braucht man von der Hauptstadt Amman nach Wadi Rum, dann folgt ein abenteuerlicher Sprint am Heck oder am Dach eines Jeeps zum Festival. Wenn man eine halbe Stunde zu weit fährt, landet man in Saudi Arabien. Insofern, eine bemerkenswerte Besucherzahl für ein Elektro-Festival in der Region.

Langsam nähert sich das Polizeiauto dem Festivalgelände, einem Beduinen Camp, das meist als Basislager für Ausflüge mit Touristen dient. Shadi springt von dem Felsen hinunter, auf dem das DJ-Pult steht und will zu dem Auto eilen, aus dem inzwischen auch die Polizeisirene dröhnt. Doch 50 Männer, die man sofort als Beduinen an ihrem traditionellen langen Kittel und der rot-weiß-karierten Kopfbedeckung erkennt, kommen ihm zuvor. Sie fassen einander an den Händen und stimmen gemeinsam die "Dahiye" an. Das ist ihr traditioneller Tanz, zu dem sie alle lautstark dazu singen, sodass es ihnen beinahe gelingt, die Polizeisirene zu übertönen.

Nach einer kurzen Diskussion mit dem Besitzer des Beduinen-Camps zieht die Polizei wieder ab. Die Turntables werden wieder aufgedreht und es wird bis zum Sonnenaufgang zu dem Set von dem in Berlin lebenden Produzent Casimir von Oettingen, von der Station Endlos Crew, getanzt.

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Ein Rave hat in Österreich oder Deutschland schon auch mal mit der Exekutive zu tun. Aber in Jordanien ist so ein Projekt ein politisches Unterfangen auf einem ganz anderen Niveau. Die Toleranzgrenze für Partys, wo zu elektronischer Musik getanzt und getrunken wird, liegt deutlich niedriger. Einflussreiche Menschen mit konservativen Werten können einem je nach Laune eine bereits erteilte Genehmigung entziehen. Und dann droht man den Verantwortlichen schnell mal mit Gefängnis.

Obwohl Jordanien in vieler Hinsicht ein konservatives Land ist, ist Alkohol in Jordanien erlaubt und wird auch dort produziert. Das lokale Petra Beer, das je nach Ausführung stolze acht, zehn oder dreizehn Prozent hat, wurde auch am Festival ausgeschenkt. Doch obwohl die Temperatur im Frühling in Wadi Rum noch erträglich ist, wurde trotzdem mehr Wasser als Alkohol auf dem Festival konsumiert. Denn die trockenen Bedingungen und in etwa 13 Sonnenstunden pro Tag machen dem Körper schon zu schaffen.

Für junge Jordanier ist das Festival eine willkommene Abwechslung vom Nachtleben in der Hauptstadt, für allem für junge Frauen: "Wir haben zwar ein paar Clubs, aber als Mädchen fühlt man sich auf der Tanzfläche oft auch dort unwohl", sagt Ghalia aus Amman lachend in die Runde und erzählt, dass sich jeden Donnerstag in ihrem Lieblingsclub ein paar Frauen, die einander nur deshalb kennen, um den Lautsprecher sammeln, um dort in Ruhe zu tanzen. Frauen, die einen liberalen Lebensstil wählen, werden von der Gesellschaft manchmal hart verurteilt, fügt ihre Freundin etwas ernster hinzu.

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Eigentlich sind auch die Beduinen in Wadi Rum in ihrer Lebensart konservativ. Einerseits sind sie ihren Traditionen und ihrem Lebensraum sehr treu. Andererseits ist ein starker Patriarchalismus zu spüren, denn die Frauen der Beduinen bekommt man in Wadi Rum selten zu sehen. Dass weibliche und männliche Besucher in Wadi Rum gemeinsam trinken und feiern und sich so anziehen wie sie wollen, stört die Beduinen aber nicht.

Ganz im Gegenteil: Obwohl den meisten elektronische Musik fremd ist, waren die Beduinen dann doch immer unter den Letzten auf der Tanzfläche. "Dieses Festival bringt für uns einen erfreulich frischen Wind nach Wadi Rum”, sagt Fayez al Hwety, ein Beduine Anfang Zwanzig. Das Festival war seine erste Begegnung mit Techno-Musik. Auf die Frage, ob ihm der Tanzstil der europäischen Besucher gefällt, antwortet er lächelnd, dass er es vorgezogen hat, "Bedouin-Style" zu tanzen.

"Es ist ein unglaubliches Erlebnis, wenn die Beduinen zu einem Remix von einem arabischen Song, den wir vor ein paar Jahren hier in Jordanien ausgegraben haben, abgehen", sagen Guido Minisky and Hervé Carvalho von Acid Arab. "Dabei schließt sich irgendwie ein Kreis," fügen sie hinzu.

Auch für Shadi ist das Festival eine Gelegenheit, seinen Freunden in Wadi Rum etwas zurückzugeben. Denn sein Erfolg als DJ im Pariser Nachtleben ist zum Teil auch ihnen zu verdanken. Seit etwa 15 Jahren, fährt Shadi regelmäßig nach Wadi Rum, um die lokalen Musiktraditionen zu erkunden und aufzunehmen, um sie dann mit Hilfe von elektronischen Beats clubtauglich zu machen. In Paris, London und Istanbul ist die Nachfrage an DJs, die die orientalische Tonskala in ihre Musik einbauen, gerade sehr groß.

Den dabei entstandenen Sound wollte er schon lange mit den Beduinen teilen. Im Gegenzug stellten einige Beduinen ihre musikalischen Künste auf der Oud, Rebaba und Derbakke zur Schau.

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