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Lehnen redet darüber wie es ist, 10 Jahre in einer Band zu spielen

Wieso Groupies keine Bärte haben sollten, womit man mehr Klicks auf Youtube als das Video zum Gangnam-Style bekommt und man illegal in Amerika tourt, lest ihr hier.

Lehnen machen, ihrer eigenen Einschätzung nach „laute“ Rockmusik. Gut, dass sie sich also für ihr zehnjähriges Bandjubiläum die Wiener Arena zum Feiern am 8. April ausgesucht haben. Da werden sie unter anderem ihr viertes Studiualbum Reaching Over Ice And Waves vorstellen. Die Ambient-/Postrockband, bestehend aus zwei Österreichern und zwei Amerikanern, hat nicht nur schon einige große Tourneen quer durch Europa und Amerika hinter sich, sondern natürlich auch zahlreiche Releases. Ich habe die Band getroffen und sie mal danach gefragt, was ihnen in zehn Jahren Bandgeschichte am besten gefallen hat—und was ihnen am meisten auf den Arsch gegangen ist. Wieso Groupies keine Bärte haben sollten, womit man mehr Klicks auf Youtube als das Video zum „Gangnam Style“ bekommt und man wie illegal in Amerika tourt, lest ihr hier.

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Noisey: Hi ihr Lieben, wie geht es euch, excited wegen der Show am 8. April?
Joel: Sehr, sehr, sehr excited! Wir haben die letzten zwei Monate an nichts anderem gearbeitet.

Was wird on stage angezündet? Welches Getränk wird geext? Auf was darf man gespannt sein?
Joel: Wir bringen eine Mischung aus Alt und Neu auf die Bühne, begonnen mit dem allerersten Lehnen Song bis zum aktuellsten, noch nicht mal ganz fertigen Song.

Ihr seid ja schon mit einigen Bands durch die Gegend getourt. Caspian, Doomina, InAeona, For a Minor Reflection zum Beispiel. Was war die beste Tour, an die ihr euch erinnern könnt—in zehn Jahren Bandgeschichte?
Joel: Als wir beim SXSW Festival in Austin spielten, haben wir im Haus von unserem Freund Joe von der Band Junius geschlafen. Dort waren auch Mitglieder von He Whose Ox is Gored, Caspian und Constants und alle tranken sehr viel Malt Liqour und Four Loko. Wir haben spontan ein verschwitztes Konzert in der Garage gespielt, nur vor unseren Freunden. Zur Krönung hat Matthew im Garten einen halbnackten Interpretationstanz hingelegt—mit Live-Cellobegleitung; zum Finale wurde er mit Alkohol übergossen, bis seine Augen brannten. Das war auf jeden Fall eine unserer Lieblingstourneen.

Was war—gleich danach—die schlimmste Tour und wieso?
Joel: Auf der allerersten Tour wurden wir mehrere Stunden an der kanadischen Grenze festgehalten. Wie viele andere europäische Bands hatten unsere „nichtamerikanischen“ Bandmitglieder kein gültiges Arbeitsvisum. Wenn man mal beim Flughafen mit dem Touristenvisum durch die Kontrolle kommt, ist das kein Problem, aber wenn man beschließt, kurz ein Konzert in Toronto zu spielen und dann wieder versucht, mit dem vollgeladenen Bus über die amerikanische Grenze zu fahren, finden die Beamten das nicht so toll. Ich wurde stundenlang von sechs Polizisten verhört. Sie wollten wissen, warum zwei Österreicher in der Band sind und warum es nicht zwei Amerikaner sein könnten. Ich sagte ihnen, das es sich so ergeben hat und das es keine bewusste Entscheidung war, eine Band mit zwei Amerikanern und zwei Österreichern zu gründen. Letztendlich haben sie uns mit einer Verwarnung wieder in die USA einreisen lassen, mit der Anmerkung, dass wir ein zehnjähriges Einreiseverbot bekommen, sollten sie uns nochmal beim „unerlaubten“ Touren erwischen.
Es hätte schlimmer sein können—ich kenne Geschichten von Bands in der gleichen Situation, die auf der Stelle auf eigenen Kosten wieder zurückfliegen und die restliche Tour streichen mussten. Wir hatten das Glück, dass einer dieser Grenzbeamten ein alter Hippie war und auch mal in Bands gespielt hat. Auf jeder Tour passiert mindestens einmal etwas Beschissenes—Verstärker gehen kaputt, dann springt der Bus um 4:00 Uhr in der Früh in Brooklyn nicht an, jemand wird krank etc… Es ist schon fast eine Erleichterung, wenn das erste Mal auf einer Tour etwas schief geht, dann muss man nicht mehr darauf warten.

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Ich hätte jetzt bitte gern ein paar Pros und auch gleichviele Cons, was es so an sich hat, zehn Jahre lang gemeinsam in einer Band zu spielen.
Joel: Mir fallen keine Nachteile ein. Wir kennen einander einfach so gut, privat als auch musikalisch. Die Rollen sind in der Band gut verteilt und wir haben einen Rhythmus gefunden, der für uns funktioniert. Über die Jahre haben Martin und ich zum Beispiel Gitarrensounds entdeckt, die einander ergänzen und unterstützen—aber doch nicht dieselben Sounds sind. Das ist ein laufender Prozess, der sich ständig weiterentwickelt und mit der Zeit besser wird.

Jetzt sag nicht, ihr geht euch nie gegenseitig auf die Nerven.
Joel: Klar! Uns zu nerven ist sogar ein beliebtes Hobby von Matthew. Für jede Tour überlegt er sich irgendeinen unsinnigen Satz und wiederholt ihn vom ersten bis zum letzten Tag on the road. Letztes Mal hat er zum Beispiel ständig „Sürper Dürper“ gesagt. Dann wird es irgendwann zum Running Gag und jeder fängt damit an. Wenn es im Bus still ist, und jeder mit Lesen oder seinem Laptop beschäftigt ist, kommt unerwartet die Ankündigung „Sürper Dürper“. Frag mich nicht, warum sowas entsteht, oder was es heißen soll… ich glaube Matthew weiß es auch nicht so genau. Man ist extrem genervt nach einer Zeit, aber man muss trotzdem lachen, weil es einfach so bescheuert ist. Ach ja, und als musikalische Begleitung hatten wir auch Matthew’s Liebeslied an John Connor aus der Sicht vom Terminator, geschrieben zur Melodie von „Pretty Woman“. Gesungen wurde natürlich auf Englisch mit der Stimme von Arnold Schwarzenegger. Eines Tages machen wir daraus ein Youtube-Video. Wir rechnen mit mindestens so vielen Plays wie „Gangnam Style“.

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Bitte zählt mir mal die schlimmste Macke, den nervigsten Tick von jeweils jedem Bandmitglied auf.
Joel: Ich fange mal bei mir an: Ich bin ein Kontrollfreak und nehme tendenziell alles zu ernst. Ich bin deswegen manchmal schnell sauer, wenn meine Effektgeräte streiken, oder wenn ich mich verspiele. Matthew hat keinen Führerschein und kann deshalb nicht mit dem Fahren helfen. Martin wiederum hat uns schon ein paar Mal mit seinem Fahrstil fast umgebracht und Stefan neigt dazu, auf Tour einfach zu verschwinden, ohne uns zu sagen wohin. Dafür sind wir beim Changeover und Soundcheck einer der effizientesten und schnellsten Bands, die ich kenne.

Rückwirkend, wärt ihr keine Musiker geworden, was hättet ihr in den letzten zehn Jahren gemacht?
Joel: Diese Frage kann ich ernsthaft nicht beantworten. Stefan hat glaube ich mit sechs Jahren begonnen, Ziehharmonika zu spielen, Matthew und ich haben unsere erste Band gegründet als wir beide zwölf Jahre alt waren. Mein Vater hat eine Blues-Band, meine Oma hatte bis vor ein paar Jahren eine Bluegrass-Band, mein Urgroßvater hat Gitarre im Radio in den 1920ern gespielt. Musik war einfach schon immer da und ist einfach nicht wegzudenken.

Was kann man innerhalb von zehn Jahren (er)schaffen?
Joel: Das kommt ganz darauf an, wie motiviert man ist. In unserem Fall gab es drei USA- und zwei Europatourneen, vier Alben, drei EPs und einige Videos. Man muss bereit sein, sich am Anfang einzugestehen, dass jede Band zuerst mal scheiße ist und mit der Zeit erst richtig gut wird.

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Nennt mir mal zehn Wörter, die eure Band beschreiben.
Joel: Ad hoc würde ich sagen: Laut, melodisch, experimentell, hartnäckig, stur, Freundschaft, Spaß, Leidenschaft, Bier, DIY.

Was war das schlimmste/beste Erlebnis in 10-jähriger Bandgeschichte concerning… Groupies
Joel: Was sind Groupies? Haha—ich kann mich nicht erinnern, dass jemand von uns mal was mit einem Groupie hatte. Für sowas sind wir alle zu brav —wir sind alle eher die Langzeit-Beziehungstypen. Außerdem sind auf Postrockkonzerten zu 80 Prozent nur bärtige Männer anwesend.

…Aftershowparties
Joel: Diese werden immer seltener mit der Zeit, aber wir waren nie richtig verrückt. Nach einem Konzert wollten wir mal so tun, als ob wir Rockstars wären, und haben den Backstagebereich verwüstet, Sachen umgehauen, mit Ketchup auf dem Spiegel gemalt und so weiter. Es hat wirklich schlimm ausgesehen. Dann bekamen wir ein schlechtes Gewissen und haben alles wieder aufgeräumt, bis der Backstageraum noch sauberer war als zuvor. Wir trinken Bier und Whisky vor und nach Konzerten, dabei genießen wir unsere Drinks wie Männer beim Stammtisch im Pub und nicht wie kreischende College-Mädchen auf Springbreak in Miami.

…Tourbus
Joel: Im Tourbus unterwegs zu sein, ist wie mit den besten Freunden eine fahrende WG zu haben. Man hört sich gute Musik an, schaut Filme, lacht und schläft teilweise in dem Wagen. Spätestens nach einer Woche riecht jeder Bus nach Furz und dreckiger Wäsche, aber es fällt nicht so auf bei einer Achtstundenfahrt. Uns ist mal der Sprit ausgegangen im tiefsten Hinterwald von Louisiana. Wir hatten keinen Handyempfang und die nächste Tankstelle war mindestens 30 Meilen entfernt. Ich habe meinen Daumen beim Straßenrand hochgehalten und ein schwarzer Pickup blieb stehen. Ich erklärte dem älteren Fahrer was passiert ist, er lachte und sagte „Yeah, that happens sometimes, hee hee hee… get in!” Er hieß James. Wegen seines dicken Südstaatenakzents konnte ich ihn nur schwer verstehen, obwohl Englisch meine Muttersprache ist. Er erzählte mir jedenfalls, dass er im Vietnamkrieg gekämpft hat, aber rausgeschmissen wurde, weil er auf LSD war und im Rausch mit einem Laster in den Sumpf gefahren ist. Am Beifahrersitz hört man nicht unbedingt gerne solche Geschichten, aber dank James hatten wir wieder Benzin und die Tour konnte weitergehen. Er sagte seine Frau würde es ihm verzeihen, dass er zu spät zum Essen kommt wegen uns, sie weiß dass es wichtiger ist, Menschen in Not zu helfen.

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…Studioaufnahme
Joel: Die Aufnahmen zu unserem dritten Album I See Your Shadow waren fantastisch. Wir waren zehn Tage im S.T.R.E.S.S. Studio in Graz mit unserem Freund Ronny Dangl. Ronny ist ein unglaublich guter Studioengineer, der es schafft, immer den besten Sound aus jedem Instrument zu holen. Dadurch, dass wir nicht in Wien aufgenommen haben, gab es keine Ablenkung, wir konnten uns durchgehend auf die Musik konzentrieren und experimentieren. Der Recording Prozess von Reaching Over Ice And Waves hingegen war eine reine Stresspartie. Wir haben uns eingebildet, dass wir schnell ein neues Album brauchen, bevor wir nochmal in Europa auf Tour fahren, haben Studiozeit gebucht und hatten nur ein paar Monate Zeit, um die Hälfte der Songs fertig zu schreiben, Artwork zu entwerfen und alles zu promoten. Der Song „Estes“ wurde zum Beispiel in der Nacht vor unserem letzten Studiotermin gerade noch rechtzeitig fertig geschrieben. Meiner Meinung nach ist Reaching Over Ice And Waves mit Abstand unser bestes Album und die Songs fließen richtig mit dichten, flächigen Sounds schön ineinander—ich weiß aber bei Gott nicht, wie wir das in so kurzer Zeit geschafft haben.

…Support-act
Joel: In Denver kam es mal zwischen unserer Bookerin und der Location zu einem Missverständnis. Wir sind angekommen und es waren drei Oldschool-Punkbands im Lineup. Die Veranstalter wussten zwar nicht, dass wir auch gebucht wurden, waren aber sehr nett und haben uns trotzdem als erste Band spielen lassen. Das Konzert war ziemlich cool und den Leuten hat es großteils gefallen. Jemand aus dem Publikum kam nachher zu uns und sagte, er habe sich gefreut nicht nur “shitty punk bands” zu hören. Leider stand ein Mitglied aus einer der Punkbands in der Nähe und dachte, dass sich jemand von uns über die beschissenen Punkbands aufregt. Er ist während seines Konzertes völlig ausgerastet und und hat „Fuck the first band, we should kill those motherfuckers“ ins Publikum geschrien. In so einem Moment schaut man nur auf seine Füße und versucht, so unschuldig wie möglich auszusehen. Niemand hat uns was getan, weil Punks auch friedliebende Menschen sind. Jemand aus dem Publikum hat sich sogar bei uns entschuldigt für das Benehmen dieser Band. Wir waren aber an diesem Abend etwas schneller beim Load-out als üblich.

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Jetzt, da eure Band zehn Jahre alt ist: fühlt ihr euch alt? Steht jetzt Pension an?
Joel: Manche von uns bekommen schon die ersten Kinder, drei von uns sind verheiratet und wir haben Vollzeitjobs—in der Hinsicht sind wir wahrscheinlich verantwortungsvoller geworden. Wir machen nicht so viel Party bei Konzerten wie in der Vergangenheit. Mit Anfang 30 erholt man sich davon nicht mehr so schnell und versucht einen Kater im Tourbus zu vermeiden. Man wird aber fokussierter. Dadurch, dass wir alle nicht mehr so viel Zeit haben wie vor 10 Jahren, geht’s gleich an die Arbeit, wenn wir zur Probe auftauchen. Jemand der sich mit Leib und Seele der Kunst hingibt, sei es ein Musiker, Maler, Schauspieler oder sonst was, kann glaube ich nicht einfach aufhören. Die Musik ist für uns ein unersetzliches Kommunikationsorgan, mit dem man, auch manchmal ohne Worte, seine Ideen vermittelt und barrierefreie zwischenmenschliche Verbindungen aufbauen kann. Haha, jetzt werde ich wieder zu ernst… em… Sürper Dürper!

Wird es noch zehn Jahre so weitergehen?
Joel: Hoffentlich machen wir für immer Musik miteinander. Wenn man mit 20 Jahren eine Band gründet, denkt man am Anfang, dass man wahrscheinlich bald den großen Erfolg haben wird und man vielleicht irgendwann davon leben kann. Die Realität sagt uns aber bei der hohen Anzahl an Bands, dass nur ein Bruchteil von einem Bruchteil diesen Sprung schafft. Wenn man akzeptiert, dass man mit der Musik weder reich noch berühmt werden wird, kann man sich jedoch auf das Wesentlichste konzentrieren: die Songs zu machen, die man immer schon hören wollte und etwas Neues zu schaffen, ohne sich zu fragen, ob man gerade Hits schreibt. Wir waren immer schon eine Nischenband und haben nie in ein bestimmtes Genre gepasst—somit gab es keine „Fan-Base“ oder Szene, in der wir uns gleich untermischen konnten. In gewisser Hinsicht ging es für uns immer mit sehr viel Mühe den Berg hinauf, aber wir sind Sstur und lieben das, was wir tun und geben nicht auf. Dank einer handvoll Menschen, die unsere Musik unterstützen und an uns glauben, ist der Name Lehnen ein Begriff in Wien und in der Postrock/Ambient Szene. Wir sind unglaublich dankbar dafür, dass wir nach zehn Jahren unsere Bestimmung folgen dürfen und unsere Musik mit der Welt teilen können.

Happy tenth anniversary! Mehr als zehn Bier gibt es sicher am 8. April in der Arena Wien, wo Lehnen ihren Geburtstag so richtig Rock’n’Roll alike feiern werden.

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