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Bambule Schl8hof!—30 Jahre Alter Schlachthof in Wels

Laut einer Urban Legend ist Wels der durchschnittlichste Ort Österreichs. Ohne den Alten Schlachthof wäre er sicher noch ein ganzes Stück durchschnittlicher.

Alle Fotos: Alter Schlachthof Wels

Der Alte Schlachthof ist der schlimmste Ort der Welt. Seinen Langzeit-Ruf als Jugendschreck verdankt das Bollwerk jugendkultureller Sozialisation seinem Standort: Wels ist die durchschnittlichste Stadt Österreichs. Das sagen die Meinungsforscher, schenkt man wiederrum einer Urban Legend Glauben. Urban ist in der oberösterreichischen Durchschnittstadt kaum etwas. Kein guter und gerade deshalb der beste Standort für eine Konzert-Enklave, die mir immer wieder die Illusion gönnte, doch in einer richtigen Stadt aufzuwachsen. Umgekehrt genügte in einem solchen Setting lange Zeit die Zusammenkunft von Kapuzenpullis, langen Haaren, exzessiven Partys und dissidenten Musiken, um auch in den Nullerjahren noch den guten Ton der Kleinstadtidylle zu verfehlen. Und das, obwohl sich die Geschichte der Konzerthalle, die auf ihrem Gelände noch vielen weiteren Initiativen, Vereinen und Bands Raum bietet, so gar nicht mit jener der soziokulturellen Zentren in den großen Städten parallelisieren lässt. Keine Besetzung, kein Häuserkampf, mitunter mühsam, mitunter hart erkämpft, nicht unumstritten, aber tendenziell stets im Commitment mit der Stadt verbrachte der Alte Schlachthof die letzten 30 Jahre und schrieb sich vielen Coming-Of-Ages in Wels ein.

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Anekdotisch eher weniger lässig, aber prägend war mein erster Besuch anlässlich einer Schultheater-Aufführung: Ein Nudelsieb am Kopf sollte mich als römischen Legionär ausweisen und meinen Eltern glaubhaft vermitteln, dass dieser Ort doch nicht ganz so wild sein kann. Legitimiert für alle Zeit wurde der Schlachthof so einer der wichtigsten Orte: Das erste super-nervige Krach-Konzert, viele weitere weitaus bessere Krach-Konzerte, Freitagnächte, die im Samstagmorgen am Welser Hendlmarkt (ein Ort, an dem es nur frittierte Hühnerteile gibt. Auch einer dieser guten Orte der Stadt) mündeten, DJs-Sets, Gespräche über Platten, die mit soviel Enthusiasmus geführt wurden, als ginge es ums Überleben, Zwischenmenschlichkeiten usw. Der Schl8hof bot alles, was das junge Herz begehrte: Musik, von der man aus „Szenegründen" behauptete, das sie gut sei; Musik, die wirklich gut war; Musik, zu der man tanzte; exzessive Partys, Gleichgesinnte und Verbündete, ein Parkour an Szene-Codes, bei denen es ein Sport wurde, mit ihnen zu hantieren, eine eigene Sprache, die manchmal tatsächlich witzig, oft aber auch klamaukig-albern wirkte, ein stückweit das Lebensgefühl von „Verschwende deine Jugend". Während man gleichzeitig und in Wahrheit alles andere tat, als der sinnbefreiten Verschwendung zu frönen. Das Gegenteil war der Fall: Kaum ein Ort schrieb sich mir geschmacksprägender, politisch sensibilisierend und manchmal auch nur emotional ein, kaum wo konnte ich mehr lernen. Mehrmals etwa, und damit bin ich nicht allein, vom legendären Tontechniker Franz Prummer wie man ein Tonkabel richtig zusammenlegt.

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Wie jeder gute Club gab sich der Schl8hof auch stets politisch und enttarnte die Rede davon „unpolitisch" zu sein als Ideologie. Manchmal klug, dann wieder stumpfsinnig, war der Schl8hof kein Ort für Dogmen, sondern mitunter notwendig mühsamer politischer Auseinandersetzung. Ein wenig so wie im Klischee linker 80iger Jahre Gruppen, nur Jahre später und auch glücklicherweise ein Stück weit klüger und weniger selbstverliebt. Natürlich gehörte es aber auch hier zum Szene-Jargon und Selbstverständnis, den Schlachthof zur Kathedrale, zum besten Ort der Welt zu erheben.

Ein „modernes Pfarrzentrum" nennt der Neuhauser Peter—die Funktion von Vornamen hat sich im Oberösterreichischen noch nicht soweit herum gesprochen – augenzwinkernd den Schlachthof. Und tatsächlich lässt sich der religiösen Metapher einer der Chefs einiges abgewinnen: Die Jazz-Freund/innen haben hier ihren Gebetskreis, und wenn das alljährlich stattfindende Music Unlimited Festival MusikerInnen aus aller Welt in die Stadt spült, ist das mehr als ein Hochamt. Der 23. Dezember eines jeden Jahres darf als so etwas wie der Weltjugendtag begriffen werden. Aus allen Ecken und Enden zieht es die Schäfchen ritualhaft retour nach Wels und in den Schl8hof. Dann wird klar, wie viele Leute zumindest Teile ihrer Sozialisation diesem Ort verdanken.

Religion ist ja immer auch Opium, dementsprechend verklärt wird die eigene Geschichte ab und an wahrgenommen, denn natürlich ist der Schl8hof nicht nur gegenkultureller Ort, blühende Nische oder Insel. Mitunter ging er einem auch ganz schon auf den Keks. Etwa dann, wenn es darum ging, Szene-Prüfungen zu bestehen, um Teil der Familie zu werden. Je mehr Alkohol floss, desto mehr Distinktionswissen wurde abgefeuert. Soweit so albern. Wer nicht Teil eines Zitatekartells von Metall bis Free Jazz, von Drum'n'Bass bis HipHop war, erntete die obligatorischen schiefen Blicke der Älteren. Das ging soweit, dass Musikvorlieben, die gänzlich zu weit gingen, seitens des zweiten Chefs des Hauses, Wolfgang Wasserbauer, mit einer abschätzigen Handbewegung kommentiert wurden. Ein Move, der es als „Wasserbauer" zumindest unter jenen, die öfters im Schl8hof verkehrten, zum geflügelten Begriff schaffte. Wer also keinen „Wasserbauer" ernten wollte, war gut beraten, zumindest musikalisches Halbwissen parat zu haben. Der „Wasserbauer" war aber nur die erste Hälfte einer Bewegung, die zweite war eine liebevolle Umarmung, eine einladende und wertschätzende Geste. Unverständnis zu ernten war im Schl8hof zumeist nämlich nur die Kehrseite davon, ernst genommen zu werden und dafür gilt es diesen Ort und all seine Akteure nach wie vor zu lieben.

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Zudem waren in jenen Tagen, in denen ich erstmals die heiligen Hallen besuchte, die Szene-Codes bereits verwaschener. Auf jede bierernste Ansage folgte zumindest ein Augenzwinkern und über die Jahre waren Leute gekommen, die den Kanon der Alten erweiterten. Etwa um die der elektronischen Tanzmusik gewidmeten Reihe Clubforum, die lange Jahre für die besten Partys in der Stadt sorgte und Acts wie Acid Pauli und Labels wie Hyper Dub u.a. aufs jugendkulturelle Radar brachte. Auch wenn der Fokus der Abende zugegeben weit öfter party- und schmuse- als musik-orientiert war. So ruppig wie von den 90er Jahren berichtet wurde, ging es in meiner Schulzeit auch gar nicht mehr zu. Höflichkeit war das neue Hardcore, sehr angenehm. Quasi der „Tausend-Tränen-Tief"-Move des Alten Schlachthofs.

Der Schlachthof war ein Garant für traumschöne und vor allem respektvolle Abende. Sein Ruf erwies sich spätestens als verfehlt, als man bemerkte, dass im Schl8hof selbst große Partys, Clubabende und Open Air-Konzerte ohne strenge Tür und Armada an Securitys über die Bühne gehen können. An kaum einem Ort sind die Grenzen zwischen Publikum, KünstlerInnen und VeranstalterInnen angenehm verwaschener. Dass sich die Veranstalter hier im noblen Understatement übend nicht als Booker verstanden wissen wollen, kann zwar dazu führen, dass es leichter scheint, in der Wiener Staatsoper aufzutreten als eine Bookinganfrage an den Schl8hof zu schicken, war aber auch Prämisse dafür, dass so manch aufgewühlter Konzertabend in intimer Runde mit der Band endete. Hier traf man Gleichgesinnte, hier florierte eine Szene im besten Wortsinn. Breit gefächert ist das Programmspektrum des Hauses und wenn die Idee nicht gänzlich blöde war, konnte man sie hier schnell realisieren: Clubreihen, Skatecontest, Mini-Festivals, Theater-Aufführungen, rauschende Feste und protzige Partys. Seinem Verständnis als offenes Kulturzentrum nach, hat der Schl8hof auch so manchen seiner NutzerInnen einiges voraus und so gab es im Laufe der Jahre auch Wochenenden, an denen auf ein Metall-Konzert ein Prosecco-affines Clubbing folgte. Nur der Putztrupp trennte Kute und Kohle, Gitarre und Glamour, Trash und Theater. Vieles ist möglich an jenem Ort, der vor 30 Jahren mit dem Slogan „Sau raus, Kultur rein" warb—beliebig wurde es dennoch nie.

An manchen Ecken und Enden gibt der Alte Schlachthof seinen historischen Index preis und legt offen, dass er ein Kind seiner Zeit ist. Mitunter braucht es nämlich etwas länger, bis selbst zeitgemäße Entwicklungen in Wels ankommen. Betritt man die Bar durch das Foyer, so fühlt man sich wahlweise an einen Waldorf-Kindergarten oder einen Hippie-Schuppen erinnert. Knallbunt strahlen die Wände Patchouli-Flair aus. Den Traumfänger sucht man am Ende zum Glück aber doch vergebens. Und dass man im Schl8hof noch stundenlang darüber diskutieren kann, ob man Hippies nicht doch etwas Gutes abgewinnen kann, macht den Ort furchtbar sympathisch. Nicht aus einer überheblich, abgeklärten Perspektive, sondern, weil das Team—von der Köchin Sonja, eine Legende, Frau Elke und ihrem Bar-Team bis hin zu Harald und den Jungs, die an allen Ecken und Enden dafür sorgen, dass die Mühle läuft sowie die Kulturvereine, die hier Programm machen—das hier den Laden schupft, die Dinge ernst nimmt und für die Inhalte brennt. „Peace & Fire" war dem entsprechend auch eine Buchpublikation anlässlich des 25 jährigen Bestehens überschrieben. „Peace & Fire" bleibt diesem Ort auch hinkünftig zu wünschen. Auf den Durchschnitt hat man im Schl8hof stets gepfiffen und so die letzten 30 Jahre überstanden. Mögen noch viele weitere folgen. Bambule!

Peter Schernhuber leitet seit Jahren gemeinsam mit Sebastian Höglinger das Youki-Filmfestival. Ab 2016 übernimmt das Team die Intendanz der Diagonale.