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Schärfe

Schrei nach Schmerz: Pick Ups "Mutprobe"

Pick Up macht einen seiner Riegel scharf. Edgy.
Aller Bilder: Rebecca Rütten

In der Regel ist das Leben im Norden ein sehr geregeltes, andere finden es langweilig, kann ja sein. Morgens weiß man, wie der Tag abends zu Ende gehen wird, erst Netflix, dann vielleicht noch etwas YouPorn. Muss nicht, das Leben kann auch aufregend sein, man muss nur Mut haben, findet zumindest die Marketing-Abteilung von Bahlsen, das sind die mit den Keksen.

Etwas Abenteuer in den Alltag, das also soll es sein. Also bringt der Konzern eine zeitlich limitierte Auflage heraus, den "Pick Up Mutprobe". "Ab 16!" steht darauf, laut Konzern eine "Empfehlung". Es ist eine limitierte Aktion und wird nur im Mai und Juli verkauft, dann verschwindet es wieder. Der Riegel ist mit einer kirschmarmeladenroten Füllung versetzt, das signalisiert Gefahr.

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Und alles, was Gefahr bedeutet, muss das auch deutlich kennzeichnen, so will es der Gesetzgeber. "Schockbilder" auf Zigaretten, mit Kindern, die durch den Schnuller rauchen. Und auch Schärfe ist nicht ohne Gefahr. Das "Bundesinstitut für Risikobewertung" sieht das so und hat einen 26-Seiten-Bericht getippt: "Vorsicht, wo Schmerz ist, könnte auch Gefahr sein", lässt sich das zusammenfassen. Aber Gefahr, genau das will man ja, wenn man eine Mutprobe macht, denn sonst ginge es ja ohne diesen Mut.


Auch bei MUNCHIES: Chili-Tintenfisch


Fangen wir aber kurz bei den Basics an, bevor wir uns diesem Riegel in der Praxis widmen: Essen ist nicht nur Geschmack und Geruch, es lässt sich auch auch nach physischer Wahrnehmung beurteilen: Ist es heiß oder kalt, schmerzt es oder nicht. Chilis brennen, aber auch Wein und die Minze in den Kaugummis, die du nimmst, wenn es gestern etwas später war, erzeugen ein bestimmtes Mundgefühl. 1997 hat man einen Rezeptor für Capsaicin entdeckt, er ist über die ganze Haut verteilt und soll vor Verbrennungen schützen. Dennoch: Die Menschen streben nach Schmerz, ganz offensichtlich. Ein Viertel der Weltbevölkerung – das sind etwa 1,9 Milliarden Menschen – essen jeden Tag scharfe Paprika. In England geben die Menschen jedes Jahr 20 Millionen Pfund für scharfe Saucen aus. Der Mensch ist das einzige Säugetier, das gern Chilis isst. Gut für Bahlsen, denn der Mensch ist zufällig auch das einzige Säugetier, das Pick Ups kaufen kann.

Der Riegel riecht scharf und wie etwas, in das man nicht gerne beißen würde. An manchen Riegeln läuft die Füllung an den Seiten raus, wie Warnfarbe. Die Schärfe ist sehr flach und sehr lokal hinten im Rachen, aber zwingt niemanden in die Knie. Eine Kollegin sagt, der Geschmack erinnert sie an den Geruch von Finalgon, eine Wärmesalbe. Die "Mutprobe" wird bald wieder verschwinden, bis dahin genießen einige den Schmerz.

Eine Erklärung dafür, warum wir so gerne scharfes Essen essen: weil es ein "guter Masochismus" ist. "Guter Masochismus" bedeutet, dass wir uns in Maßen quälen, ohne uns in Gefahr zu bringen. Es ist ein ähnliches Gefühl wie jenes, das uns in die Achterbahnen und Horrorfilme treibt. Und der Körper warnt vor der Schärfe, er verwechselt sie mit Hitze – nur dass bei Hitze die Haut sterben kann, bei Schärfe aber nicht. Wir können uns mit scharfem Essen in eine Gefahr begeben, in der wir nicht umkommen (zumindest bei der Dosis, die Pick Up hat).

Schmerz ohne Gefahr? Story of my life.