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Einzeller könnten erst die Ozeane und dann die gesamte Erde zurück erobern

Multizelluläre Organismen wie der Mensch könnten den Gipfel ihrer Überlebensfähigkeit schon überschritten haben.
Bild: James Mattil/Shutterstock

Ich gebe es zu: Ich bin ein Multizellen-Chauvinist. Zellen mit Organellen zu haben, die komplexe Systeme bilden, erlaubt mir zu atmen, Bewusstsein zu besitzen, Volleyball zu spielen und so weiter. Das ist schon ziemlich geil. Doch auch wenn wir Multizellulären diese Vorteile gerade so richtig auskosten, unsere Vettern, die Einzeller, warten nur auf ihre Zeit. Denn als viel anpassungsfähigere Wesen haben sie schon lange vor uns existiert und werden uns wahrscheinlich lange überleben.

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Ein Team deutscher Wissenschaftler hat gerade eine Studie im Journal Global Change Biology veröffentlicht, in der sie zeigen, dass schlichtere Organismen mit der Erwärmung der Meere viel besser klarkommen als komplexere. Während Forellen und Wale langsam aussterben werden einzellige Bakterien und Archaea (enge Verwandte von Bakterien) eine Blüte erleben.

Tiere können sich im Wasser nur bis zu einer Temperatur von 41 Grad Celsius vermehren. Darüber verklumpen die Proteine in ihren empfindlichen Zellen und ihr Kreislaufsystem kann nicht mehr genügend Sauerstoff in ihrem Körper verteilen. Auch wenn kleinere Tiere und solche mit hohem Anteil roter Blutzellen besser auf sauerstoffarme Gefilde eingestellt sind, die absolute Grenze von 42 Grad überlebt, bis auf wenige Ausnahmen, kein vielzelliges Wesen.

„Die Grenze der Anpassung hängt nicht nur von der absoluten Temperaturgrenze ab, sondern auch von der Fähigkeit mit geringen Mengen Sauerstoff klarzukommen", sagte Daniela Storch, Hauptautorin der Studie. „Während viele Bakterien und Archaea mit wenig oder gar keinem Sauerstoff zurecht kommen, brauchen die meisten Tiere und Pflanzen eine recht hohe Mindestkonzentration."

Das ist einer der Gründe, warum Einzeller an den krassesten Orten des Planeten überleben: von antarktischen Seen, die seit 100.000 Jahren unter dem Eis verborgen sind, über superheiße, hydrothermale Quellen auf dem Grund des Ozeans bis zu Säurebecken im Yellowstone Park und der Atacama-Wüste Chiles. Wenn wir uns im Sonnensystem umschauen, sehen wir fast ausschließlich Orte, an denen kein vielzelliges Leben möglich ist, die aber durchaus Einzeller beherbergen könnten, wie zum Beispiel die versteckten Ozeane des Eismondes Europa oder unter der Marsoberfläche.

Mit der Klimaveränderung erwärmen sich auch die Ozeane und werden dadurch saurer. Komplexität wird so langsam vom Überlebensvorteil zum Risiko und quittiert deshalb nach und nach seinen Dienst.

„Verschiedene Arten im Ozean verändern sich infolge der sich verschiebenden Lebensbedingungen. Zukünftig werden es Tiere und Pflanzen schwer haben, in den wärmsten Teilen der Meere zu überleben. Archaea, Bakterien und andere einfache Lebewesen dagegen werden sich ausbreiten." sagte Hans-Otto Pörtner, einer der Co-Autoren der Studie. „Es gibt bereits Studienergebnisse die zeigen, dass einzellige Algen in den wärmsten Regionen der Ozeane durch Einzeller verdrängt werden."

Die Geschichte des Lebens auf der Erde ist wahrscheinlich symmetrisch in der Zeit. Vor dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden die ersten Prokaryoten, Einzeller ohne Zellkern oder Zellorganellen. Komplexes, multizelluläres Leben entwickelte sich vor dem Hintergrund zunehmender Biomasse und sinkender Oberflächentemperaturen, vor etwa einer halben Milliarde Jahren. Eineinhalb Milliarden Jahre in der Zukunft werden die Vielzeller vielleicht wieder ausgestorben sein und den Planeten an sogenannte simple Lebensformen vererbt haben. Dann, in 7.6 Milliarden Jahren, wird unsere anschwellende, sterbende Sonne auch diese hartgesottenen Wesen verdampfen lassen.

Vielzelliges Leben wird dann nur eine Übergangsphase von zwei Milliarden Jahren gewesen sein. Aber zumindest werden einige Vielzeller in dieser Phase ein wenig Freude am eigenen Leben verspürt haben, was unseren einzelligen, dummen Verwandten verwehrt ist.