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EgyptAir-Entführung beweist die mediale Liebe für Schnellschüsse

Wie ein entführter Passagier plötzlich zum Entführer wurde.
Bild: Screenshot Youm7.com

Am Dienstagmorgen verbreitete sich die Meldung einer dramatsichen Flugzeugentführung. Ein Airbus 320 von EgyptAir mit der Flugnummer MS181 verließ seine Route von Alexandria nach Kairo, und landete schließlich um kurz nach 9 Uhr Ortszeit im zypriotischen Larnaca. Nach der vorläufigen Freilassung fast aller Passagiere und einer verwirrenden, unblutigen Geiselnahme hat sich der der Entführer heute Mittag schließlich ergeben.

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Und das war es dann auch schon mit gesicherten Informationen, auch wenn sich Berichte den ganzen Morgen lang überschlugen: Der Geiselnehmer habe die Maschine nämlich aus Liebe entführt, er wolle mit seiner Ex-Frau in Zypern reden und habe ihr einen Brief geschrieben. Ibrahim Samaha heiße er, er sei Tiermedizin-Professor an der Uni Alexandria.

Sofort kursierten im ägyptischen und zypriotischen Staatsfernsehen und dann auch bei Twitter und in der westlichen Presse Fotos, sowohl von „Ibrahim Samaha" als auch von einer Hand, die einen mysteriösen Zettel aus der Flugzeugtür hielt.

Tolle Geschichte—bei einer Pressekonferenz der ägyptischen Luftfahrtsbehörde nur wenige Stunden später wurde dann jedoch so ziemlich jede „gesicherte" Information erst einmal für unhaltbar erklärt:

Der Entführer habe doch noch gar keine Forderung gestellt, insofern sei nicht klar, ob die Entführung tatsächlich aus romantischen Motiven erfolgte oder nicht, so der Sprecher des Luftfahrtministeriums. Weiterhin habe er gar nicht unbedingt nach Zypern, sondern genauso gern in die Türkei gewollt. Sollte sich dieses Detail bewahrheiten, wäre das immerhin ein weiteres Indiz dafür, dass es dem Entführer eigentlich ziemlich wurscht war, wo das Flugzeug landete—und dass er nicht schnurstracks die Heimat einer verflossenen Liebe ansteuerte. Und der „vierseitige arabische Brief", den Zeugen angeblich den Entführer auf das Rollfeld haben werfen sehen und der an seine „zypriotische Ex-Frau" gerichtet war? Den kann bislang niemand bestätigen.

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„Der Entführer ist kein Terrorist, sondern ein Idiot."

In Zypern war die Frage eines Reporters bei einer offiziellen Pressekonferenz, ob der Entführer denn nun das Flugzeug tatsächlich aus Liebe zu einer Frau entführt habe, Zyperns Präsident Nikos Anastasiades immerhin einen kleinen Chauvi-Witz wert: „Eine Frau ist doch immer irgendwie involviert, haha." Schön, wenn man sich seinen Humor bewahrt, auch wenn noch sieben Geiseln auf dem Rollfeld schmoren.

Auch die ägyptischen Behörden hatten zunächst ähnliches Zitatgold zu bieten und lieferten nach reiflicher Überlegung ein messerscharf analysiertes Psychogramm des Täters ab: „Der Entführer ist kein Terrorist, sondern ein Idiot. Terroristen sind verrückt, aber nicht dumm. Dieser Typ ist es.", stellte die Luftfahrtbehörde im Staatsfernsehen fest.

Tatsächlich hat sich ein Mann namens Ibrahim Samaha an Bord des Flugzeugs befunden, aber nicht als Entführer, sondern als bereits evakuierter Passagier. Wie er BBC Arabic nach seiner Freilassung in einem ersten Interview berichtete, habe die Crew an Bord des Airbus 320 die Pässe der Passagiere eingesammelt. „Nach einer Weile gewann das Flugzeug an Höhe und wir wussten, dass wir nach Zypern fliegen." (Wie genau der Passagier diese Info erlangen konnte, ist nicht klar.)

Ibrahim Samaha hat kein Flugzeug entführt, sondern einfach nur einen Scheißtag.

„Zuerst sagte uns die Crew, es gäbe ein Problem mit dem Flugzeug, erst später erfuhren wir, dass es entführt worden war", wird Samaha zitiert. In einem Interview mit einem ägyptischen Nachrichtensender erzählte Samahas Ehefrau Nahla, dass ihr Mann von Alexandria nach Kairo fliegen wollte, um von dort ein weiteres Flugzeug in die USA zu nehmen, wo er eine Konferenz besuchen wollte. Das weit zirkulierende Foto eines Mannes im Flugzeug würde ihn nicht abbilden.

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Bild: imago

Die ägyptische Luftfahrtbehörde sowie das zypriotische Außenministerium korrigierte den Namen des Entführers bald:

The #hijacker of #MS181 is Seif Eldin Mustafa. The situation is still ongoing.
— Cyprus MFA (@CyprusMFA) March 29, 2016

Ein Mann namens Seif Eldin Mustafa sei also der Täter gewesen—und nicht der arme Ibrahim Samaha, kein Veterinärmediziner, kein Leiter der „Abteilung für Nahrungsmittelsicherheit", wie Reuters herausgefunden haben wollte, auch kein Libyer, der politisches Asyl in Zypern beantragen wollte. Sorry, liebe Kremlmedien, auch wenn ihr das gerne hättet, für die Entführung ist schon gar kein „US-Professor" verantwortlich—zu früh gefreut, Sputnik.

Bild: Screenshot Reuters

Bild: Screenshot Bild.de

Über die Motive des Entführers herrscht weiterhin Unklarheit: Letzten Berichten zufolge habe der Entführer die Freilassung politischer Gefangener in Ägypten gefordert. Selbst, ob der Entführer überhaupt bewaffnet war oder nur behauptet hatte, dass er einen Sprengstoffgürtel dabeihabe, ist noch nicht klar. Doch selbst, wenn er nur eine Attrappe dabeigehabt haben sollte, wäre es ein peinlicher Sicherheits-Fauxpas für ägyptische Luftsicherheitsbehörden, ihn damit in die Maschine zu lassen.

Ibrahim Samaha hatte jedenfalls, so viel können wir auch mit Sicherheit festhalten, einen echten Scheißtag: Nicht nur kann er die Konferenz knicken, die er eigentlich besuchen wollte, und wurde entführt, sondern er ging auch noch als vermeintlicher Entführer durch die Weltpresse.

Neben der ganzen Verwirrung um Identität, Aussehen und Motiv des Entführers kursierten auf Twitter zu guter Letzt auch noch komplett gefälschte Nachrichten wie diese hier:

Bild: Screenshot Twitter

Das Logo mag ja professionell kopiert sein, auch das nette Wortspiel im Accountnamen („Breaking BBC") fällt nicht weiter auf—doch dass die todernste BBC wirklich ihre 140 Zeichen nutzen sollte, um einen Kalauer über 72 Jungfrauen zu machen, sollte einen dann doch etwas stutzig werden lassen.