Menschen

Es schneit und ich bleibe zu Hause

Wenn es schneit, habe ich die Erlaubnis nichts zu tun.
Das Bild zeigt drei Fotos der Autorin, die im Schnee draußen ist, Schnee erlaubt, uns nicht zu tun
Foto: Maja Dworzynski

Als ich mein Rollo hochziehe und sehe, dass es geschneit hat, bin ich ganz froh, dass heute nichts mehr passieren muss. Es hat geschneit und das muss reichen. Es hat geschneit und weiterwissen muss ich heute erstmal nicht.

Die Heizung in meinem Zimmer hat schon vor Wochen aufgehört zu funktionieren. Handwerker kommen irgendwann, aber noch nicht bald. In meinem Zimmer ist es heute morgen greller als sonst und vielleicht hasse ich Berlin weniger als sonst. Aber wahrscheinlich nicht. Spätestens übermorgen ist das dann sowieso wieder vorbei, wenn sich der Schnee dem Grau der Stadt angleicht und bei jedem Schritt meine Schuhe matschig spritzt.

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Irgendwie ist es auch beruhigend, dass der Schnee uns immer noch überrascht. Als wäre es merkwürdig, dass sich der Schnee nach acht Monaten noch an uns erinnert, wenn wir doch schon längst vergessen haben, wie sehr man an die Zehen frieren kann. Und weil der Schnee auch eine Stunde nach dem aufwachen noch kommt und die Handwerker nicht, erlaube ich mir schon morgens vom Sofa aus zu arbeiten. Dort ist es wärmer.


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Wenn es schneit, dann ist es so kalt, dass es draußen nach gar nichts riecht. Heute geht die Sonne um 15:52 Uhr unter. Die Welt erholt sich, um sich auf den Sommer vorzubereiten. Dann muss sie plötzlich wieder 15 Stunden hell sein und dabei nach Fett und Abgasen riechen.

Als Kind stellte ich mir oft vor, dass es über Nacht so viel schneit, dass wir nicht mehr aus der Haustür raus können, weil uns die Schneemassen, den Weg versperren. Und statt dass wir uns dann den Weg freischaufeln, machen wir die Tür wieder zu und bleiben zu Hause. Geschneit hatte es im Winter oft, wir wohnten auf etwa 700 Metern. Die Haustür war dann doch nie zugeschneit. Während unserer Winterferien in einem kleinen Dorf in Liechtenstein während unserer Kindheit hofften meine Cousinen und ich immer auf so viel Schnee, dass Snowboarder, die durch den Tiefschnee kurvten, über das Dach unserer kleinen Hütte fahren und auf der anderen runterspringen konnten. Aus dem Küchenfenster konnten wir manchmal sehen wie sie wieder am Boden aufkamen.

Seit heute morgen meide ich mein Schlafzimmer. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dort eine Eiszeit eingesetzt hat. Nicht nur die Heizung funktioniert nicht mehr, sondern auch die Fenster sind undicht, wahrscheinlich tobt da jetzt ein Schneesturm. Vielleicht sollte ich mein Bett ins Wohnzimmer räumen, bevor es am Boden festfriert. Vielleicht ist aber auch schon alles zugeschneit und irgendwelche Investoren stampfen eine Seilbahn aus dem Boden und es herrscht Lawinengefahr in diesem Erdgeschosszimmer in Neukölln. Aber Touristen singen trotzdem Hansi Hinterseer und schütten Bier auf ihre Designer-Ski-Overalls. Das wäre jetzt alles etwas unpraktisch, vor allem weil die Handwerker vielleicht schon auf dem Weg sind.

In der Grundschule habe ich bei einer Naturkunde-Klausur eine Eins geschrieben. Es ging um Lawinen. Verschiedene Lawinenarten erkennt man unter anderem an ihrer Abrissstelle. Eine Schneebrettlawine beginnt mit einem linienförmigen Abriss, die sich horizontal über den ganzen Hang zieht. Eine Lockerschneelawine hat ihren Ursprung in einem Punkt und wird dann während sie den Berg runterrollt immer breiter. Gerade fühlt es sich wieder an, als würde alles auf einmal passieren und aus den Fugen geraten. Ich glaube, ich wünsche mir auch hier eine klare Abrissstelle, eine Art klar zu definieren, was jetzt so mit mir passiert. Wahrscheinlich passiert einfach nur der Winter.

Es schneit und es ist Dezember und meine Mitbewohnerin und ich sitzen in Schwarz-Weiß in der Küche. Schwarz-Weiß nicht wie in alten Filmen, sondern Schwarz-Weiß wie in den Filmen, die sich aus purer Überheblichkeit oder Hang zur Dramatik gegen Farben entschieden haben. Wir sitzen hier also in Schwarz-Weiß und gleich entscheide ich mich zwischen Kaffee, Tee und Trübsal. Wenn jetzt jemand reinkommt und fragen würde, warum wir hier so in Schwarz-Weiß sitzen, würden wir es nicht wissen. Vielleicht schneit es morgen auch noch.

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