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Bier

Montreals Bierfestival steckt in einer Identitätskrise

Ich war auf Montreals legendärem Festival Mondial de la Biere, eine Art Messe für internationale Biere, bei der es geschäftiger zu geht als bei einem UN-Gipfel.

Letztes Wochenende ging ich auf Montreals legendäres Festival Mondial de la Biere, eine Art Messe für internationale Biere, bei der es geschäftiger zu geht als bei einem UN-Gipfel. Das Ganze gibt es jetzt schon seit 21 Jahren. Eine unglaubliche Veranstaltung, bei der du aber eines sofort bemerkst: Die Zielgruppe ist nicht wirklich klar ersichtlich. Das schäumende Gebräu aus einer riesigen Studentenparty und der Chance für Biersnobs, ihre Fachwissen unter Beweis zu stellen, ergibt hier eine bizarre Mischung aus verrückten und wundervollen Menschen, sowohl aus Montreal als auch aus der internationalen Biergemeinschaft. Sie waren alle da: örtliche Hinterwäldler, kanadische Bürger, tagsüber saufende Bros, ahnungslose Geschäftsmänner mit zu viel Geld in der Tasche und eingefleischte Bierliebhaber. Aber ich beschwere mich ja gar nicht.

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Beim Festival stehen vor allem neue Biere aus eher ungewöhnlichen Ländern im Vordergrund. Natürlich waren die Schwergewichte doch eher Teil der Vielzahl an amerikanischen und kanadischen Bieren und auch den Produkten der Mikrobrauereien von Quebec wurde viel Beachtung geschenkt, die Provinz ist bekannt für hochqualitative Mikrobraukunst. All die großen Name im Biergeschäft machten entsprechend ihrer Größe auch mit riesigen Ständen und immensen Werbebannern auf sich aufmerksam.

Tief im Herzen haben sich die Quebecer dem Trinken von Labatt Blue und Molson Dry verschrieben. Die Provinz ist quasi mit diesen zwei Brauereien und endlosen Vorräten an Käsebruch aufgewachsen (zusammengefasst: das Paradies). Die östliche Küste Kanadas hat aber auch etwas für Olands Export-Ale und Alexander Keiths India Pale Ale übrig. Ich mag sie alle.

Die ansteigende Besucherzahl ist der Grund, warum das Festival den Spieß umdrehen konnte und es sich jetzt zum Ziel setzt, der Welt kanadisches Bier—vor allem aus Quebec—zu präsentieren. Der nordamerikanische Teil des Festivals findet in der Innenstadt Montreals in einem Showroom statt, der wie eine Extrapolation von diesem Freund aus der Schulzeit daher kommt. Du weißt schon, der, der dich unter der Woche im Keller-Partyraum der Eltern abgefüllt hat. Eine Tischtennisplatte und ein braunes Sofa würde zwischen all dem Beton und Linoleum gar nicht so befremdlich wirken, wenn aus den Lautsprechern die harmlosesten, basslastigen Tanznummern schallen, für die man ganz tief in der Fahrstuhlmusik-Kiste kramen musste.

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Die Außenterrasse des Festivals.

Zum Glück war die Außenterrasse um Längen schöner als der weitläufige, graue Showroom. Dort fand man eine Vielzahl von üppigen, grünen Bäumen, eine Kolonne an Essenstrucks und einen ganzen Schwarm Bierverkäufer. Die Leute wurden besonders vom Ausschank von Quebecs Mikrobier Trou de Diable's Succubus—ein ländliches Ale mit ziemlich vielen Umdrehungen—angezogen. Auch ein erst kürzlich auf den Markt gebrachtes Lager von Boreale—eine weitere Mikrobrauerei aus Quebec und Institution des Festivals—fand viel Zuspruch.

Der Besitz eine VIP-Passes brachte einen ganzen Tag Zugang zu einer Lounge für Aussteller, Vertreter der Medien und VIPs mit sich. Dort floss eine Auswahl der besten Biere des Festivals in Strömen und handgemachte Käsesorten und Häppchen wurden im Minutentakt gereicht. In diesem Bereich fühlte ich mich wie Gott in Frankreich.

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Flöten und Bier passen super zusammen.

Aber kurz nach meiner Ankunft in der VIP-Lounge erblickte ich zwei Typen mit glasigen Augen und knallbunten Poloshirts, die beim tollpatschigen Durchblättern der Bierkarte schon heftig schwankten. Dabei beäugten und belästigten sie eine neben ihnen stehende Frau mit dieser „Ist mir scheißegal, ob ich wie ein Perverser rüber komme"-Unbekümmertheit, die zum nachmittags besoffen sein einfach dazu gehört. Einer der beiden fingerte an einer Flasche herum und ich war mir sicher, dass diese gleich zu Bruch geht. Einer der Barkeeper nahm sie ihm aus der Hand und fragte, was er bestellen wolle. Er verstand die Frage nicht und griff (erneut) nach der Flasche.

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Direkt hinter mir waren zwei Biernerds in eine Diskussion darüber verwickelt, welche Auswirkungen der neue Trend von „Session IPAs" (hopfige und ziemlich intensive Indian Pale Ales mit einem niedrigeren Alkoholgehalt von vier bis fünf Prozent) bei den kanadischen Mikrobrauereien mit sich bringt. Wie sich schon vermuten lässt, sind das die Biere, die du eher genüsslich trinkst und die es angeblich möglich machen, starke, bittere und sehr gehopfte Indian Pale Ales zu konsumieren, ohne am nächsten Tag irgendwo in einem Straßengraben aufzuwachen.

Was mich aber am meisten überraschte, war die Tatsache, dass sich die Leute sogar in der VIP-Lounge nur wenig darum scherten, wann Bierproben und Informationsveranstaltungen begannen. Die Menge bestand vornehmlich aus Leute, die sich während Präsentationen mehr ihrem Handy widmeten und sich lautstark und ziemlich betrunken unterhielten. Ein Redner wurde mehrmals unterbrochen, weil irgend ein Musiker die Aufmerksamkeit mit zwischenzeitlichen Flötensolos auf sich ziehen wollte (was ihm nicht gelang).

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Als es dunkel wurde und der Rausch der Leute immer weitere ausuferte, verschwammen auch die Grenzen zwischen den scheinbar grundverschiedenen Gruppen. Die ganze Veranstaltung wandelte sich zu einer feuchtfröhlichen Zelebration alles Berauschenden. Die einst kilometerweit erscheinende Lücke zwischen dem Rickards-Stand und dem Stand, der kleine Mengen an brasilianischem Bier verkaufte, verschwand vollkommen. Ein Hoch auf den Alkohol!

Das schockierende Bild von einem Molson Canadian 67 Tangerine Twist (ein schmackhaftes, leichtes Bier) und einem Palo Santo Marron (ein starkes, dunkles Ale mit 12% Alkoholgehalt) von Dogfish Head, die Seite an Seite getrunken werden, machte so langsam Sinn. Auch die loyalsten Liebhaber von besonders hochwertigen Bieren erfreuten sich am Stand von Alexander Keith's am Ausschank des neuen Galaxy Hop Indian Pale Ales. Ironische Kommentare wie ‚Wow, sie haben wohl diesmal wirklich Hopfen beigemengt!' blieben trotzdem nicht aus. Das Festival schien diesen Trunkenheitszustand erreicht zu haben, bei dem du nur noch darauf bedacht bist, eine gute Zeit zu haben, Witze über den Alkoholgehalt in deinem Blut machst und den Rausch mit allen Mitteln aufrecht erhalten willst—zur Hölle mit Hopfensorten. Das war genau mein Ding.

Am Ende musste ich mir einfach die Frage stellen: Suchen wir nicht alle nur nach einem Ort, wo wir uns betrinken können, egal wer wir sind oder welches Bier wir bevorzugen? Mit all den Besuchern, die scheinbar nicht zusammenpassen, und der breiten Auswahl an Ausstellern schafft es das Festival Mondial de la Biere erfolgreich, eine Brücke zwischen gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen zu schlagen. Dabei werden alle unter einem tief stehenden Dunst aus Trunkenheit und sehr klebrigen Böden vereint. Und die Bierauswahl ist unglaublich.

Denkt man an die ehrwürdigen Craft-Beer-Schwergwichte wie Stone und Dogfish Head, sowie an die aufstrebenden Mikrobrauereien wie Brasserie Dunham aus Quebec und das hochgelobte Beau's aus Ontario, dann liefert das Festival wirklich die versprochene Vielfalt an leckeren, malzigen Getränken, trotz der betrunkenen Bros und der durchgepeitschten Flötenintermezzos zwischen Vorführungen.

Das Einzige, was am Ende des Abends—als sich jeder noch total betrunken auf die Suche nach dem letzten, perfekten Festivalbier machte—den besoffenen Typ mit Bierhelm von dem fertigen Hedgefond-Manager mit einer Vorliebe für gealterte Starkbiere unterschied, war die Anzahl der übrig geblieben Getränkebons. Auf eine komische Art und Weise war das Alles sehr poetisch. Nächstes Jahr bin ich wieder am Start.