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Popkultur

Was uns an Deutschlands erstem YouTuber-Kinofilm wirklich wütend gemacht hat

Kartoffelsalat ist humoristischer Abfall mit Pointen am Rand des spontanen Hirntods. Das ist allerdings nicht das größte Problem.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der erste YouTube-Star mit einem richtigen Kinofilm um die Ecke kommen würde. Torge Oelrich ist es nun also geworden, ein 26-Jähriger Erzieher aus Wesselburen, der unter dem Namen Freshtorge seit rund 6 Jahren Comedy-Videos auf YouTube veröffentlicht—und mittlerweile 1,4 Millionen Abonnenten zählt. Kartoffelsalat heißt sein erstes filmisches Großprojekt, das man mit viel gutem Willen als einen Hybriden aus eingedeutschtem Highschool-Teenie-Streifen und Zombie-Komödie a la Shaun of the Dead bezeichnen würde, und—natürlich—gibt sich bei dem Streifen die halbe deutsche Webvideoprominenz die Klinke in die Hand. Seit dem 23. Juli flimmert das Ganze über deutsche Kinoleinwände und in einem unfassbaren Akt der Nächstenliebe habe ich mich vergangene Woche ins Lichtspielhaus meines Vertrauens geschleppt, um mir das Ganze anzugucken. Für euch.

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Ich freue mich wirklich für jeden, der es schafft, sein Hobby zum Beruf zu machen, und der Schritt von selbstgedrehten Sketchen zu einem 90-minütigen Spielfilm ist sicherlich nicht der leichteste. Trotzdem oder gerade deshalb fällt es mir schwer, in Worte zu fassen, wie scheiße ich diesen Film finde. Ich habe genau zweimal gelacht (und damit mehr als die ebenfalls im Kinosaal befindliche Hauptzielgruppe, die nur für einen einzigen Peniswitz die durchweg herrschende Totenstille unterbrochen hat) und bin mir ziemlich sicher, dass ich dabei wie eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs geklungen habe.

Solltet ihr diesen Film gucken? Nein. Nicht mal betrunken. Warum nicht? Weil die wirklich schmerzhaft dämlichen Witze nicht das Schlimmste an Kartoffelsalat sind.

Die Charaktere sind noch nicht einmal eindimensional

Wie zeichnet man Charaktere, die einerseits bewusst stereotyp, gleichzeitig aber trotzdem noch irgendwie glaubwürdig sein sollen? Kartoffelsalat ist nicht die einzige Trash-Komödie, die an dieser Frage spektakulär scheitert. Wie unauthentisch und hohl der Großteil der Figuren aber tatsächlich ist, überrascht dann doch. Mädchen sind dazu da, um zu kreischen und Selfies von sich zu machen, die vermeintlich schüchterne Streberin ist nach der Zombie-Attacke plötzlich und absolut unerklärt zum strahlend schönen Schwan mutiert, der auch nichts anderes möchte, als mit dem Klassenproll ins Bett zu gehen, und ebenjener erfährt den Höhepunkt seiner Charakterentwicklung dahingehend, dass er plötzlich feststellt, schwul zu sein. Samt weicher Samtstimme, klimpernden Wimpern und tuntigen Gesten—denn so sind homosexuelle Männer. Haha! Willkommen im Jahr 2015.

Mobbing und soziale Isolation in einem Bild. Screenshot: YouTube

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Wenn der gemäß seiner Rolle am logischsten und nachvollziehbarsten agierende Charakter ein überzeichneter Loser ist, dessen Allergie-Schwell-Penis dafür sorgt, dass er die halbe Schule flachlegt, dann ist das ziemlich bezeichnend. Am deutlichsten zeigt sich diese lieblose Ausarbeitung der einzelnen Figuren am Protagonisten selbst, der abwechselnd zwischen vermeintlichem Mobbingopfer und dem Abziehbild des Awkward-Funny-Guy, der mit seiner Trotteligkeit ab und an mal für einen Lacher sorgt, changiert. Je nachdem, wie es die Geschichte gerade verlangt.

Immerhin nimmt man Freshtorge ab, dass er das Ganze nicht nur wegen dem Geld macht—im Gegensatz zu seinem rappenden YouTube-Kollegen Liont.

„Leo wurde in seiner früheren Schule geärgert", heißt es, als er an seine neue Bildungsstätte kommt. Aber entweder mein Gehirn hat bereits in den ersten zehn Minuten Film vollkommen ausgesetzt, oder diese Information stimmt einfach nicht. Wer wirklich so gemobbt und am Ende ist, dass er zu dramatischen Mitteln greift, um endlich beliebt zu werden, der bindet sich die Schuhe nicht mit Panzertape zu (zu peinlich) oder lässt den Lippenstiftkussmund der Mutter für den kompletten Schultag an der Backe (und reagiert absolut teilnahmslos, wenn er darauf angesprochen wird). Vor allem aber wird er auf dem Weg zur Schule nicht von strahlenden Nachbarn mit Blumen beworfen. Vielleicht wurde in letzter Sekunde das Skript noch mal umfangreich umgeschrieben und das Character-Development stand dabei eher hinten an. Ich weiß es nicht. Fakt ist aber: Wenn die Handlung elementar darauf aufbaut, dass die Hauptfigur ein sozial isolierter Typ ist, der verzweifelt Anerkennung sucht, dann sollte die Figur vielleicht auch agieren wie ein sozial isolierter Typ, der verzweifelt Anerkennung sucht. Sich für eine Szene verdrehte Knetgummi-Nippel anzukleben, reicht nicht. Was uns auch direkt zum nächsten Punkt bringt.

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Der Twist ist so schwachsinnig, dass er nicht mal in einem Paralleluniversum Sinn ergibt

Ich möchte auch dieses filmische Machwerk ungern verderben, deswegen nur so viel: Nichts ist, wie es scheint! Das vermeintlich Böse wollte eigentlich nur spielen und ganz am Schluss passieren erstaunliche Dinge, die selbst heftig.co-Leser aus den Socken hauen würden. Endlich wird aufgedeckt, wer die Random-Zombieapokalypse wirklich ausgelöst hat und wenn es einen Punkt gibt, an dem sich der David Fincher in uns lachend in den Kopf schießen würde, dann ist es genau dieser.

Storytelling funktioniert nicht so, dass man irgendwann einfach aus dem Nichts sagt „Haha, er war es die ganze Zeit! Damit habt ihr wohl nicht gerechnet, oder?" und sich auf seinen total unvorhersehbaren Twist feiert. Natürlich hat niemand damit gerechnet, wenn er absolut keinen Sinn ergibt! Selbst bei Fight Club zeichnete sich der große Schockmoment bereits vergleichsweise früh ab—auch wenn einem die kleinen, subtilen Hinweise erst beim zweiten Mal wirklich auffallen. Wenn du, Freshtorge, aber von einer unvorhergesehenen Wendung zur nächsten taumelst, ohne irgendeine Art von logischer Verknüpfung zu schaffen, dann bist du nicht der nächste Chuck Palahniuk, der Leser/Zuschauer dazu bringt, sich fassungslos an den Kopf zu greifen und zu sagen: „Mensch, das hätte ich ja NIE gedacht!" Dann bist du einfach ein beschissener Geschichtenerzähler.

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Gab es irgendjemanden, der dieses Script gelesen hat und dann meinte „Das wird das Die üblichen Verdächtigen der Generation YouTube"? Irgendjemand? Wenn ja, bringt mir bitte seinen Kopf. Ich möchte ihn Freshtorge ans Fußende seines Bettes legen.

Der Film ist gespickt mit ‚Breaking Bad'-Anspielungen—ja, wirklich.

Irgendwann während der Vorproduktion des Films muss es zu einem Moment gekommen sein, an dem irgendjemand sagte: „Hey, ist euch mal aufgefallen, dass dieser Dr. Allwissend, der zufällig den Vater des Protagonisten spielt, ein bisschen aussieht wie Walter White? Weil er keine Haare hat und einen roten Bart. Und eine Brille trägt. Haha!" Daraufhin haben alle sehr lange gelacht, und als es wieder etwas ruhiger wurde, fiel plötzlich dieser eine verhängnisvolle Satz. „Wenn er Chemielehrer ist und aussieht wie Walter White … Leute, ich hab's! Lasst uns einfach in jede zweite Szene eine Referenz an Breaking Bad einbauen!" „Cool, Freshtorge!", riefen dann alle (ich stelle mir vor, dass sich YouTuber untereinander niemals mit ihren bürgerlichen Namen ansprechen) und stießen mit Robbie Bubble aus Plastik-Schampusgläsern an. Und so geschah es.

Foto: imago/Future Image

Pizza auf dem Dach? Eine komplette, in der Handlung größtenteils absurd deplaziert wirkende Figur (Salamander statt Salamanca. Clever!)? „Los Pollos Hermanos"-Tags an irgendeiner Außenkulisse? Es würde mich nicht wundern, wenn die Premium-DVD-Box enthüllt, dass es in der ungeschnittenen Version des Films einen zusätzlichen Charakter namens Jens Stinkman („der Kiffer", der gerne Sido hört und alle anderen als „Homies" bezeichnet) gab. Eine offensichtliche Breaking Bad-Anspielung mehr und ich hätte irre lachend die Leinwand angezündet.

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Die Sache mit popkulturellen Anspielungen ist die: Sie bleiben nur solange Anspielungen, bis sie allzu offensichtlich sind. Lasst es mich euch verbildlichen. Wenn euch jemand wiederholt seinen Penis ins Gesicht schlägt, handelt es sich um keine sexuelle Anspielung mit Augenzwinkern mehr, die im Rahmen eines frechen Flirts (oder wie auch immer man das heutzutage unter Jugendlichen nennt) fällt. Dann ist das sexuelle Nötigung und ein verdammtes Verbrechen. Exakt dasselbe macht Freshtorge im übertragenen Sinne in seinem Film.

Die Kameraverantwortlichen waren anscheinend betrunken

Es gibt mehrere, vom Plot und den Darstellern vollkommen losgelöste Dinge, die in Kartoffelsalat so unterirdisch sind, dass es schon beinahe frech ist. Die schon fast dummdreiste Produktplazierung—allen voran von der Dating-App Lovoo—beispielsweise. Darüber könnte man allerdings hinwegsehen, wenn zumindest die ganz grundsätzlichen, handwerklichen Voraussetzungen für das Drehen eines Films, für den der geneigte Kinobesucher zwischen 8 und 10 Euro hinblättert, erfüllt werden würden.

Motherboard: Diese anonyme YouTuberin verdient 4,2 Mio € mit dem Auspacken von Spielzeug.

Wenn beispielsweise ein Dialog zwischen dem Hauptprotagonisten und seinem Sekundär-Love-Interest abgefilmt wird, dann erwarte ich, dass zumindest eine der beiden sprechenden Personen, die großformatig das Bild ausfüllen, scharf gestellt ist. Jeder Kamerastudent lernt, wie man Dinge fokussiert, wie kann es also bitte passieren, dass viele Szenen einfach unscharf sind—beziehungsweise der Fokus von einer Requisite auf die nächste springt, als hätte man für das minderjährige Publikum den ersten Vollrausch simulieren wollen? Bei Action-Sequenzen könnt ihr mir ja noch verkaufen, dass verschwommene, fahrige Kameraschwenks ein künstlerisches Stilmittel sind, aber bei einem verdammten Dialog, in dem absolut nichts passiert, außer dass Menschen sprechen? Wollt ihr mich verarschen?

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Screenshot: YouTube

Vielleicht ist das einfach niemandem aufgefallen—dem Regisseur nicht, dem Cutter nicht, jedem aus der Postproduktion … Vielleicht war es den Verantwortlichen aber auch einfach egal. Ich bin mir unsicher, was schlimmer wäre.

Wenn Kartoffelsalat etwas gezeigt hat, dann das: Die Medienrevolution, die der YouTube-Szene immer so gerne angedichtet wird, hat bisher nicht stattgefunden. YouTuber sind keine eierlegenden Wollmilchsäue, die im einen Moment Schminke bewerben, dann eine fundiert journalistische Investigativreportage abliefern und schließlich auch noch die deutsche Filmlandschaft komplett übernehmen. Reichweite steht nicht synonym mit Qualität und nur weil jemand mit seinen Sketschen Leute im Internet unterhält, bedeutet das nicht, dass er auch auf größerer Bühne (oder Leinwand) funktioniert. Das ist OK und diesen Selfmade-Medienmenschen vorzuwerfen, dass sie eben genau das sind—Do-It-Yourself-Amateure, statt dem nächsten Regie-Wunderkind—ist zweifelsohne unfair.

Trotzdem, Freshtorge, Bibi, Simon und wie ihr alle heißt: Wenn ihr die Möglichkeit habt, Dinge anders zu machen, Content zu produzieren, der ausgetretene Pfade verlässt und die Jugendlichen da draußen viel unmittelbarer und direkter ansprechen kann als jedes andere Medium—warum verdammt noch mal nutzt ihr diese Chance dann nicht? Seid anders, seid jung, seid mutig. Seid die anarchische Guerilla-Bewegung, die die deutsche Medienlandschaft und ganz besonders die hiesige Filmbranche dringend brauchen kann. Tut was mit eurer Reichweite und den Möglichkeiten, die sie euch bietet. Wir brauchen keine schlecht aufgewärmten Kalauer aus dem vergangenen Jahrhundert, kein „Die üblichen Verdächtigen meets The Walkind Dead meets American Pie" für Hirntote und ganz bestimmt keinen zweiten Otto Waalkes.

Wenn ihr Lisa vorwerfen wollt, dass sie einfach nur „neidisch" ist, tut es bei Twitter.