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Sex

So fühlt es sich an, als junge Frau zum ersten Mal ein Nudisten-Dorf zu besuchen

In Cap D'Agde, dem größten Naturisten-Resort der Welt, ließ ich alle Hüllen fallen, um vor Ort herauszufinden, ob Swinger und Nudisten nebeneinander bestehen können.
Zwei Naturalisten fahren Rad im Nudisten-Dorf Cap D'Agd
Alle Fotos von der Autorin

Es ist sechs Uhr morgens und ich fahre gleich hundert Kilometer durch Frankreich, um den Tag mit nackten Fremden zu verbringen. Ich lasse die Tür hinter mir zufallen und habe sogar auf mein Frühstückscroissant verzichtet, um hoffentlich noch vor dem Mittagessen in Cap D'Adge, dem größten Nudisten-Dorf der Welt, einzutreffen.

Zwar fasziniert mich das Thema Nudismus und das ganze Drumherum schon ein bisschen (Wo bewahren diese Leute zum Beispiel ihre Handys und Geldbeutel auf? Oder wie oft müssen Sitzpolster ausgewechselt werden?), aber deswegen verspüre ich trotzdem nicht wirklich den Drang, mich meiner Kleidung zu entledigen und mich unter nackte Touristen zu mischen. Ich tue das hier nur aus rein journalistischen Gründen.

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Ich habe gerade erst meinen Master-Abschluss im Fach Journalismus gemacht und bin mir auch bewusst, dass ich mich damit in eine Industrie wage, in der einem nichts geschenkt wird und man für seine Arbeit immer weniger bezahlt bekommt. Ich mache mich auf den Weg nach Cap D'Adge, weil ich weiß, dass nackte Haut immer geht—und davon sollte ich dort ja eine Menge vorfinden.

Die Nackedei-Mikrogesellschaft (inklusive Dienstleistungsangeboten wie Frisöre, Supermärkte oder Banken und Vergnügungsorte wie Bars oder Strände) hat inzwischen den Ruf eines Swinger-Paradieses. Angefangen hat das Ganze in den 70er Jahren als Naturisten-Treffpunkt und zwei Jahrzehnte später sind dann plötzlich auch die Leute dort eingefallen, die auf Sex aus sind. Mit ihnen siedelten sich auch eine ganze Reihe an Fetisch-Läden und Sexclubs um das Dorf herum an. Heutzutage teilen sich die Leute die Gegend und das Verhältnis von Swingern zu Nudisten hängt dabei ganz von der Saison ab. Mich interessiert aber vor allem, ob und wie diese beiden Gruppen nebeneinander bestehen können.

An der Schwelle zur Welt der Nackten muss ich 18 Euro zahlen, damit sich die Schranke zum Parkplatz öffnet. Nachdem ich das getan und mein Auto abgestellt habe, wird mir klar, dass es nun soweit ist. Ein dicker Typ, der nur mit einer Baseball-Mütze bekleidet ist, hängt bei den Schließfächern ab. Ich zögere ein wenig. Neben mir kommt ein Motorrad zum Stehen und das darauf sitzende Pärchen fängt wortlos an, sich auszuziehen. Dabei falten sie ihre Klamotten ganz ordentlich zusammen und verstauen sie im Top-Case ihrer Maschine. Als sie schließlich bis auf ihre Sonnenbrillen und Rucksäcke nichts mehr tragen, nehmen sie sich an der Hand und schlendern in Richtung Dorf. Ich beschließe, mich nicht so anzustellen, und entledige mich meines Shirts, meiner Shorts und ganz nervös auch meiner Unterwäsche. Ich gebe zwar oft damit an, dass ich mich nackt pudelwohl fühle, aber als ich nur mit einem Rucksack und in Laufschuhen über den Parkplatz schleiche, kann ich meine Verlegenheit kaum verbergen. Ich mache mir Sorgen darüber, wie mein Po wohl von hinten aussieht, und schäme mich für den hässlichen Mückenstich auf meinem Oberschenkel.

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Als ich an drei nackten Leuten vorbeigehe, versuche ich, ein selbstbewusstes Lächeln aufzusetzen. Dabei schieße ich allerdings ein wenig übers Ziel hinaus und grinse die kleine Gruppe so sehr an, dass sie denken, mich zu kennen, und ein Gespräch anfangen. Dadurch werde ich nur noch nervöser—vor allem weil sie Französisch reden. Ich mache eine Handbewegung, um ihnen zu zeigen, dass es sich um ein Missverständnis handelt und ziehe von dannen. Dabei fühle ich mich noch verunsicherter als vorher. Als ich schließlich im Dorf ankomme, gehe ich unter einem Bogen hindurch und betrete eine kleine Passage, in der sich ein Supermarkt, eine Bäckerei und ein paar Klamottenläden befinden. Einige mit Bauchtaschen oder Rucksäcken bewaffnete Nudisten schlendern umher und kaufen bei bekleideten Geschäftsmitarbeitern ein.

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Auf der anderen Seite der Passage befindet sich eine gerammelt volle Bar und mir fällt auf, dass ich doch irgendwie nackter bin als die meisten anderen anwesenden Leute, die sich mit Lederaccessoires, Piercings oder Sarongs ausgestattet haben. Eine Frau mit Nippelringen und gefärbten Haaren lächelt mich an und kaut danach weiter am Hodensack ihres penisförmigen Baguettes herum. Es muss sich hier wohl um die Swinger handeln.

Ich setzte mich an die Bar und bestelle eine Cola. Mein Hintern kribbelt, als er den Plastikstuhl berührt, und mir wird ganz anders, als ich daran denke, wie viele nackte Ärsche hier schon gesessen haben. Ein Mann mit Iro-Haarschnitt kommt zu mir herüber und setzt sich neben mich. Ich frage ihn nach einer Zigarette, um meine Nerven zu beruhigen. Er kommt meiner Bitte nach und sagt dann noch ein paar Sachen auf Französisch. Ich verstehe ihn zwar nicht, nicke aber trotzdem eifrig. Das ist vielleicht nicht die klügste Idee, denn er mustert mich von Kopf bis Fuß (ich dachte eigentlich, dass so etwas bei nackten Leuten nicht erlaubt wäre), zeigt dann auf meinen Körper und meint schließlich „très beau". Ich lache nur nervös, zahle schnell meine Rechnung und mache mich auf in Richtung Meer.

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Foto vom Schweinchenstrand im Cap D'Agde

Am Strand ist jeder nackt, selbst der Eisverkäufer. Die Leute hier machen das, was man halt am Stand so macht: Ein alter Mann sammelt Muscheln, eine Gruppe alter Frauen mit Cellulite tratscht, Kindern spielen im Wasser und viele bronzefarbene Körper sonnen sich auf großen Handtüchern. Schamhaare scheinen sowohl bei Männern als auch bei Frauen nicht mehr modisch zu sein und als ich die Küste entlangspaziere, fühle ich mich doch sehr fehl am Platz.

Dazu versuche ich auch angestrengt, nicht auf die Geschlechtsteile anderer Leute zu starren, weil ich mir einbilde, dass das als unhöflich angesehen wird. Zu Forschungszwecken werfe ich dann aber doch ab und an mal ein paar Blicke in Richtung südliche Körperregion. Außerdem halte ich auch Ausschau nach Erektionen, da ich steife Penisse immer als einen der großen Nachteile des Nudisten-Lifestyles gehalten habe. Und ich muss nicht lange suchen: Ein Pärchen steht knöcheltief im Meer und die beiden erforschen mit ihren Zungen die Mundhöhle des jeweils anderen. Dabei können sie auch mit ihren Händen nicht voneinander ablassen. Allerdings stößt ihr Handeln nicht gerade auf Gegenliebe, denn alle Sonnenanbeter in der Nähe setzen sich auf und schütteln nur mit dem Kopf. Erregung öffentlichen Ärgernisses kann hier eine Geldstrafe von 15.000 Euro nach sich ziehen und ich frage mich, ob irgendeiner der Strandbesucher das Pärchen an diesen Umstand erinnern wird. Womöglich aufgeschreckt durch den Unmut ihres Umfelds hören die beiden auf, miteinander rumzumachen, und gehen ins Meer schwimmen.

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Zurück im Dorf schaue ich mich im Supermarkt um und überlege dabei, wie ich am besten Fotos schieße, ohne jemanden wütend zu machen. Während ich in der Abteilung für abgepackte Lebensmittel stehe, fühle ich mich mit meinem nach vorne gedrehten Rucksack mit der Kamera oben drauf doch ziemlich verdächtig. Ich warte auf einen nackten Einkäufer. Ein alter Mann kommt um die Ecke und schaut sich die Limonaden an. Ich positioniere mich am anderen Ende des Ganges und tue so, als würde mich eine Dose Kapern total interessieren. Als er sich bückt, drücke ich auf den Auslöser. Leider beobachtet mich dabei der Ladenbesitzer. Angepisst und angezogen brüllt er mich auf Französisch an und hebt seinen Zeigefinger drohend in die Luft. Ich setze mein schuldbewusstes „Oh sorry, ich wusste nicht, dass es verboten ist, nackte Fremde in einem Supermarkt zu fotografieren"-Gesicht auf und renne unbekleidet aus dem Laden.

Ein Supermarkt in Cap D'Agde

Ich zähle die Minuten bis 18 Uhr, denn das ist die Uhrzeit, bis zu der ich es im Nudisten-Paradies aushalten will. Obwohl ich mich immer weniger unwohl fühle, kann ich trotzdem einfach nicht vergessen, dass ich nackt bin. Diese Tatsache ist mir vor allem vor den Leuten unangenehm, die Kleidung tragen—also vor den Laden- und Restaurantmitarbeitern. Als ich der Frau im Touristenbüro ein paar Fragen stelle, komme ich mir vor wie in einem Albtraum (und zwar dem, in dem man ohne Klamotten bei der Arbeit erscheint). Sie sitzt in einem pinken Poloshirt und schwarzer Hose an ihrem Schreibtisch, während ich im Evaskostüm das Interview führe. Ich entschuldige mich sogar für meine Nacktheit, aber darauf antwortet sie nur lachend, dass ihr das gar nicht mehr auffällt.

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Ich frage sie, ob ihr dafür irgendwelche Spannungen zwischen den Nudisten und den Swingern auffallen. „Nicht wirklich", meint sie. „Die bleiben meistens sowieso in ihren verschiedenen Bereichen und Bars. Nur am Strand sind alle zu finden, aber dort gibt es keine Probleme. Außerdem werden die Swinger eh nur nachts richtig aktiv."

Nach dem Interview beschließe ich, dass es an der Zeit ist, mich mit ein paar Swingern anzufreunden. Deswegen nähere ich mich einem Pärchen mittleren Alters mit verschiedenen Piercings. Ich frage sie, ob sie regelmäßig nach Cap D'Adge kommen, und bekomme als Antwort, dass sie zweimal im Jahr wegen der Sexpartys hier sind. „Jeder hier ist so freundlich", erzählt der Ehemann. „Nachts kann man bei den Treffen entweder nur zuschauen oder nach Lust und Laune auch richtig mitmachen. Druck gibt es keinen." In diesem Moment kommt ein glatzköpfiger Typ vorbei und grüßt das Ehepaar—ihn mit einem Handschlag, sie mit einem Knutscher. „Ihn haben wir gestern Abend kennengelernt", teilt mir der Ehemann unbekümmert mit und schaut dabei zu, wie sich seine Frau von ihrem neuen Bekannten löst.

Obwohl ich auf dem Campingplatz mit immer mehr Naturisten Bekanntschaft mache, finde ich dabei niemanden, dem die Leute etwas ausmachen, die hier nur auf der Suche nach Sex sind. Selbst eine Frau mit Kindern hat laut eigener Aussage kein Problem mit ihnen—sie weiß ja, dass sie einfach nur gehen muss, bevor die nächtlichen Aktivitäten beginnen. Ein Comedian namens Guillem aus Paris erzählt mir, wie er sich zusammen mit dem Resort entwickelt hat: Damals in den 80er Jahren war er hier noch als Nudist unterwegs, heute ist er auch den Swinger-Treffen nicht abgeneigt.

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In den französischen Medien wird die Beziehung zwischen den Swingern und Naturisten oft als angespannt dargestellt, aber abgesehen vom Fummel-Zwischenfall am Strand fallen mir keine großartigen Konflikte oder irgendwelche Spannungen auf. Das große Credo der Unbekleideten schein Freiheit zu lauten und damit geht wohl auch eine großherzige Toleranz einher. Die zwei nackten Stämme können auch ganz einfach unterschieden werden, denn bei den Swingern scheinen nicht nur Genitalpiercings unglaublich beliebt zu sein, sie schauen dich auch noch anders an: Während Nudisten direkten Augenkontakt suchen, haben Swinger einen eher zum Flirten aufgelegten Blick drauf, der auch gerne mal über deinen Körper wandert. Irgendwie hat es den Anschein, als würden diese Leute immer auf ein bestimmtes Signal warten, und das lässt in mir ein beunruhigendes Gefühl aufkommen.

Als sich der Abend nähert, wird in den Bars vermehrt darüber geredet, was noch alles passieren wird, und die sexuelle Vorfreude ist förmlich greifbar. Mehrere Frauen sind als sexy Krankenschwestern verkleidet und ein Typ trägt eine Lederschütze inklusive Loch für seinen Penis. Alle Bars scheinen jetzt nur noch mit Swingern voll zu sein und ich glaube, dass die Nudisten sich entweder auf dem Campingplatz verstecken oder schon auf dem Weg zu ihren Autos sind. Ich fühle mich außerdem so nackt wie noch nie zuvor—die Stimmung ist jetzt noch viel ausgelassener als vorhin am Strand. Lüsterne Augen sehen sich suchend um und jeder scheint in der Stimmung für Sex zu sein. Ein Mann mit viel zu viel Brustbehaarung bietet mir eine Massage an und mit großer Erleichterung stelle ich nach einem Blick auf mein Handy fest, dass es bereits 17:55 Uhr ist.

Wir haben mit dem Typen gesprochen, der auf Konzerten nackt mosht

Zurück auf dem Parkplatz, wo mein surrealer Tag auch begonnen hat, hole ich meine Klamotten aus dem Schließfach und ziehe mich langsam wieder an. So weit weg von den Swingern macht mich das doch ein bisschen traurig, denn ich bezweifle, dass sich für mich so schnell wieder eine Möglichkeit ergibt, unbekleidet durch einen Supermarkt zu laufen. Und wenn man in der Gruppe nackt ist, liegt doch immer ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl in der Luft—selbst wenn sich in einigen Fällen auch ein bestimmte Art der Sexualität daruntermischt. Außerdem ist es ziemlich erfrischend, Menschen kennenzulernen, ohne sich aufgrund der Klamotten schon im Vornherein ein Urteil über sie zu bilden.

Voll bekleidet verlasse ich den friedlichen Nackedei-Rückzugsort und denke dabei über den Tag nach, der jetzt hinter mir liegt. Ich weiß immer noch nicht genau, was ich jetzt von Cap D'Agde halten soll. Ist das Ganze nur eine Hochburg der verruchten sexuellen Perversion oder doch eine Festeng der Freiheit und der Toleranz? Eine Sache habe ich aber auf jeden Fall gelernt: Im Namen des Journalismus lasse ich erschreckend schnell alle Hüllen fallen.