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Cocktails

In die besten Drinks kommt etwas Mist

Tony Conigliaro taucht tief in die Welt der Aromen ein, um seinen Cocktails einen besonderen Touch zu verleihen.

Ich bin schon mehr als ein Mal in einer Bar gesessen und habe einem aufgeblasenen „Mixologen" dabei zugesehen, wie er mit Trockeneis und anderem Schnickschnack herumgespielt hat, während ich mir dachte: Der Typ versucht aus Scheiße Gold zu machen.

Aber bis vor ein paar Wochen, hatte ich noch nie einen Bartender getroffen, der Cocktails mixt, die auch tatsächlich mit einem Hauch Scheiße hergestellt werden. Also zumindest dem chemischen Geruchsstoff.

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Genau das macht Tony Conigliaro, der britische Bartender hinter dem bahnbrechenden 69 Colebrooke Row in London. Seine Drinks, die nach Rosengärten, Vintage-Lippenstift und Weihrauch duften, werden durch die minimale Zugabe von furchterregenden Duftstoffen zu Meisterwerken.

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„Das ist Arsch, Fäkalien!", ruft Tony, als er zufrieden an einem Stück Papier riecht. „Aber auch verrottende Blumen", fügt er hinzu und reicht mir das Papier weiter. „Und ein bisschen Schwein."

Bei dem Geruch, den Tony beschreibt, handelt es sich um Indol. Wer schon einmal einen Raum betreten hat und sich gefragt hat, wer hier gerade gekackt hat, dann aber bemerkt hat, dass der Geruch aus einer Vase mit weißen Lilien stammt, die in einer Ecke des Raumes langsam vor sich hin rotten, weiß, wie Indol riecht. Der Geruch findet sich in Fäkalien, Schweinefett, vergammeltem Fleisch, Teeröl und stark riechenden weißen Blumen wie Orangenblüte und Tuberose. In der Parfümerie wird dieses Aroma oft als Zutat verwendet, um Düften eine sexy, animalische Note zu verleihen.

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Tony mischt genau die richtige Menge Indol in einen Martini mit Wodka, Lakritz und Jasmin, sodass das Getränk nicht nach Scheiße schmeckt. Es schmeckt sogar richtig gut. Aber auf eine Art und Weise, die sich irgendwie falsch anfühlt.

„Es ist dieser schmale Grat zwischen Freude und Schmerz, Abscheu und Verlockung. Das ist eine der Schönheiten alter Parfüms", erklärte Tony. „Das hat etwas sehr Sexuelles und das wollen wir erkunden."

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„Wir haben auch sehr viel mit den Aromen in Bier und Wein experimentiert", sagt er und reicht mir ein Duftpapier, das meine Nasenlöcher brennen lässt. „Das ist Vinylbenzol", grinst er, als meine Augen zu tränen anfangen. „In kleinen Mengen kann es recht süß sein, aber in größeren ist es sehr unangenehm und hat einen starken Plastikgeruch."

Was du nicht sagst. Er verwendet diese chemische Waffe in einem Cocktail, der sich Plastic Pop nennt und ein Tribut an Andy Warhol ist, mit flachen Noten von Jasmin, rosa Pfeffer und erdigem Lehm unter einem trashigen Vinylbenzol-Glanz.

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Ich bin mittlerweile recht emotional geworden, deshalb ziehen die darauffolgenden zwei Aromen (Buttersäuremethylester, ein Ester im Bier, der nach Ananas, Parmesan und Erbrochenem und irgendetwas mit einer leichten Schwefelnote) an mir vorbei.

Als wir aber zu dem Aroma kommen, von dem Tony gerade besonders begeistert ist, bin ich wieder voll da: Geosmin. Manche Leute beschreiben es als „schlammigen Wels". Ich habe noch nie an einem Wels gerochen, also bezeichne ich es als „feuchte Gruft": es ist nass, erdig, schimmlig und unheimlich. „Wenn man es mit Caprylsäure kombiniert, schmeckt es nach Feuerstein, das finde ich super", sagt Tony, der kurz davor ist, ein Rezept mit dieser Zutat zu perfektionieren.

Als ich frage, ob es irgendwelche Aromen gibt, die sogar für das Drink Factory-Team zu viel waren, brechen sie alle in Gelächter aus. „Die vier Arten von Käsefüßen", ächzt einer der Assistenten im weißen Kittel und eine andere Person ruft aus dem Labor: „Die wachsige Ziege!"

Alle sind sich einig, dass ein Geruch abstoßender als jeder andere ist: Bibergeil, auch Castoreum genannt. Dabei handelt es sich um ein Sekret, das aus den Drüsensäcken des Bibers, die sich direkt neben dem Anus befinden, gewonnen wird. Es kommt oft zum Einsatz, um teuren Parfüms eine ledrige Note zu verleihen. Aber pur ist das Aroma derart widerlich, dass es einen in die Knie zwingt. Säuerlich, fleischig, pisseartig, fäkal—es ist eine Destillation jeder verkrusteten Körperfalte der dreckigsten Person auf diesem Planeten. Es ist so stechend wie Haarspray und so stark wie Skunk. Es riecht nach Erbrochenem und nach Kadaver und nach Pferdeleim. Und der Geruch vergeht nicht. Er bleibt. Und bleibt.

Das weiß ich, weil ich in der Drink Factory einen ganz winzig kleinen Tropfen davon auf meine Lederjacke abbekommen habe. Drei Wochen später ist der Geruch immer noch da und hängt wie eine giftige Wolke im Flur. Was bedeutet, dass mich dieser Artikel €400 gekostet hat. Dafür bekomme ich jetzt im Bus immer zwei Sitze für mich alleine.