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Technologie

Dein Handy verdirbt mir den Appetit

Dass es unhöflich ist, wissen wir selber. Doch das Verlangen mit ihm rumzuspielen ist einfach stärker als wir. Also passiert es uns immer wieder, dass das Essen kalt wird, während unsere Handy-Displays am Glühen sind—auf Kosten des Geschmacks und...
Photo via Flickr user Christopher Cotrell

Wann war das letzte Mal, dass du während des Essens nicht ein einziges Mal auf dein Smartphone geschaut hast? Dein leerer Blick verrät mir, dass du dich daran nicht erinnern kannst. Kein Wunder, schließlich leben wir in einer Welt voller Smartphone-Abhängiger, die es nicht länger als ein paar Minuten aushalten, ihre Griffel von Facebook, Twitter, Instagram oder—Gott steh uns bei—Google+ zu lassen.

Ob wir nun neue Fotos hinzufügen, unseren Status aktualisieren oder einfach nur damit rumspielen, wir kriegen von diesen glänzenden, rechteckigen Dingern einfach nicht genug. Diese haben es über unsere Jacken- und Hosentaschen auch in die Esszimmer und Lokale dieser Welt geschafft. Schau dich zum Beweis einfach mal in einem Restaurant um und vor deinen Augen wird sich ein dir bekanntes Ritual abspielen, das nach folgender Regel abzulaufen hat: Ehe das erste Essensstück deine Lippen passiert, mögest du sicherstellen, dass du dein Essen fotografisch festgehalten und nach digitaler Anerkennung getrachtet hast. A.k.a.: Knipsen für Likes!

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Wenn du beim Abendessen ständig über dem Handy hängst, ist das auch eine Möglichkeit deinem Gegenüber mitzuteilen, dass sogar der digitale Äther mit spannenderen Storys aufwartet. Es gibt übrigens auch schon einen Namen für dieses kuriose Phänomen: phubbing.

Bringt es unserem Essenserlebnis einen Mehrwert, wenn wir unser Smartphone zur schönsten Beilage machen? Oder ist ein solches Verhalten nicht doch eher Ausdruck kulinarischer Dekadenz und das Schlimmste, seit McDonald's seine Pforten geöffnet hat?

Warum sollte es überhaupt OK sein, während des Brotbrechens mit seinem Handy rumzuspielen, anstatt einfach „nur" die Gesellschaft der anderen zu genießen? Bringt es unserem Essenserlebnis einen Mehrwert, wenn wir unser Smartphone zur schönsten Beilage machen? Oder ist ein solches Verhalten nicht doch eher Ausdruck kulinarischer Dekadenz und das Schlimmste, seit McDonald's seine Pforten geöffnet hat?

Eine der jüngsten Entwicklungen in der Beziehung zwischen Smartphones und Essen wird durch den Begriff Food-Porn zum Ausdruck gebracht. Dieser alles andere als sexy Ausdruck hat mit der Brechstange Eingang in unsere Popkultur gefunden—und mit ihm auch ein schier endloses Angebot an unscharfen Fotos von vor Fett nur so triefenden Pattys aus ach so coolen Burgerläden aus allen Teilen dieser Welt—samt der irrigen Annahme, dass all das auch nur irgendjemanden interessieren würde.

Heutzutage ist fast kein Essengehen mehr denkbar, das nicht fotografisch verewigt wird und sich so zu den Millionen anderen Food-Fotos gesellt, die schon jetzt die NSA zu Tode langweilen. Während also das Essenserlebnis auf digitaler Ebene deutlich sozialer geworden ist, kommt die echte menschliche Kommunikation viel zu kurz. Denn aus irgendeinem Grund müssen wir uns zunehmend durch unsere Fotos ausdrücken, durch unsere Fotos mit unserer Außenwelt Kontakt aufnehmen, und verzichten kommunikativ auf dieses vergängliche, fleischliche Etwas, das wir im Spiegel erblicken können.

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Laut einem Bericht über Internet-Trends aus dem Jahr 2013 schauen wir bis zu 150 Mal täglich auf unsere Handys, und der bloße Anblick meiner kleinen Steve-Jobs-Maschine auf dem Schreibtisch ist mir Beweis genug. Sie hat mich genau da, wo sie mich haben wollte. Ich will sanft ihren Bauchnabel drücken und sie so auf Touren bringen, will mich mit ihr zusammen aufmachen in eine schöne bunte Welt voll toller Tweets, Instagram-Filter und Fremder, die mir flüchtige—aber nicht minder schöne—Anerkennung schenken.

Wir stellen uns der digitalen Kakophonie, aber schaffen es kaum, ein Gespräch mit unserem Gegenüber am Laufen zu halten.

In den letzten Jahren konnten wir die Entwicklung beobachten, dass wir Zustimmung immer seltener über echte Gespräche mit echten Menschen suchen. Stattdessen wenden wir uns mit wachsender Tendenz an Social-Media-Plattformen, um dort unsere Kalauer, Großstadt-Anekdoten und runtastischen Sporterrungenschaften in die Welt zu posaunen. Forscher an der Freien Universität Berlin haben in diesem Zusammenhang herausgefunden, dass Personen, die chronisch nach Anerkennung suchen, mit höherer Wahrscheinlichkeit Intensivnutzer von Facebook sind. Außerdem wird durch sie sichtbar, wie sich Verlangen und Erfüllung gegenseitig bedingen und befeuern, mit dem Ergebnis, dass wir immer wieder in die Online-Welt zurückkehren, wo Genugtuung noch wohlfeile Ware ist.

Doch wenn wir mal all diese tiefsinnigen Überlegungen beiseite lassen, stellen wir fest, dass wir uns auf einem rasanten kulturellen Sinkflug befinden, der mit immer mehr Handynutzung einhergeht. Laut vieler aktueller Studien ist unser ständiger Blick aufs Display schon keine normale Gepflogenheit mehr, sondern ein erkennbares Suchtverhalten.

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Warum können wir also unser Handy nicht mal für eine Stunde ruhen lassen und einfach das Essen mit unseren Freunden genießen? Wir stellen uns der digitalen Kakophonie, aber schaffen es kaum, ein Gespräch mit unserem Gegenüber am Laufen zu halten. Gemeinsam zu essen sollte eigentlich eine äußerst soziale Erfahrung sein, mitsamt dem dazugehörigen Geschichtenerzählen, Rumgestikulieren und Losprusten. Jetzt musst du dich hingegen darauf gefasst machen, dass ein jedes deiner Gespräche beim Essen durch diese unverkennbare Stille gestört wird, die dadurch entsteht, dass dein Gegenüber—oder du selbst—die Breaking News in irgendeinem beschissenen WhatsApp-Gruppenchat verfolgen musst.

Mit einem Smartphone-Junkie zu essen ist eine langweilige und nervige, wenn auch kaum zu umgehende, Erfahrung. Und trotz aller Hasstiraden—auch ich bin wohl ein Handy-ständig-im-Blick-Behalter. Obwohl, ich möchte das richtig stellen: Ich bin ein Handy-Umdreher. Das bedeutet, dass ich aus Höflichkeit mein Handy mit dem Display nach unten auf dem Tisch zu liegen habe und es nur alle paar Minuten mal umdrehe, um zu sehen, eir mich so alles liket und liebt. Nobody's perfect, OK?

Und auch wenn ich ein erbärmlicher Social-Media-Versager bin (mein Foto auf Instagram mit den meisten Likes ist ein Jahr alt und zeigt mich mit einem Lolli in der Nase), schau ich regelmäßig rein, nur um sicherzustellen, dass ich auch wirklich nichts verpasse. Aber was könnten wir schon verpassen in der Zeitspanne von ein bis drei Gängen? Und warum behandeln wir unser Essen so stiefmütterlich, sobald ein Handy in unserer Nähe ist (also immer)? Könnte es sein, dass wir am Ende—trotz unseres Gehabes, kulinarische Connaisseurs zu sein—vor allem gut darin sind, unser Essen kalt werden zu lassen, während unsere Handy-Displays am Glühen sind?

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Forscher haben herausgefunden, dass die Beziehung zu deinen Mitmenschen sogar dann darunter leidet, wenn dein Handy nur auf dem Tisch liegt.

Ein Restaurant in New York scheint genau dieser Auffassung zu sein. In einem viel zitierten Craigslist-Post hat ein Restaurantbesitzer zugegeben, Filmmaterial aus einer Überwachungskamera aus den letzten zehn Jahren ausgewertet zu haben, um besser zu verstehen, warum die Kundenbeschwerden in dieser Zeit zugenommen haben. Zusammengefasst waren die Kunden einfach viel zu sehr von ihren Handys abgelenkt, um das Essen in vollen Zügen genießen zu können.

Was der New Yorker Restaurantbesitzer zum Besten gibt, kann man kaum als wasserdichten Beweis ansehen (vielleicht ist die Bedienung tatsächlich langsam, weil sie sich dauernd das Filmmaterial aus der Überwachungskamera reinzieht?), aber die kollektive Wut, die aufgrund des Artikels durch das Internet fegte, zeigt in jedem Fall, dass Handynutzung zu einem extrem heiklen Thema geworden ist.

In den Medien gibt es viele Berichte darüber, dass immer mehr Restaurants Handys—und Handy-Fotos—verbieten. Private Vereinigungen können besonders strikt bei ihrer „Kein-Handy-Politk" sein. Aber anderseits bist du eh ein Idiot, wenn du einer solchen privaten Vereinigung beigetreten bist. Also komm wieder runter und halt dich gefälligst an ihre idiotischen Regeln.

Aber nicht nur, dass du allen damit auf den Sack gehst, dein Essen ständig zu instagrammen, deine Instagram-Sucht sorgt auch dafür, dass dein Essen wirklich schlechter schmeckt, was für die vielen Restaurants, die voller Impetus auf den Social-Media-Zug aufgesprungen sind, ein Schlag ins Gesicht sein muss. Und als ob das nicht schon genug wäre, hat die University of Essex herausgefunden, dass sogar dann die Beziehung zu deinen Mitmenschen darunter leidet, wenn dein Handy nur auf dem Tisch liegt.

Wie kannst du also mit all dem aufhören? Die einfache Antwort lautet: Indem du damit einfach aufhörst. Niemand wird mich für ein paar Stunden, oder gar Tage, vermissen. Wenn du bedenkst, dass der durchschnittliche Twitter-User 208 Follower hat, lehne ich mich jetzt mal aus dem Fenster und behaupte, dass auch dich niemand vermissen wird. Gleichzeitig wird sich mindestens eine Person darüber freuen, dich wieder zurückzuhaben—nämlich die liebenswerte Person, die an deinem Tisch sitzt.

Oberstes Foto: Christopher Cotrell | Flickr | CC BY 2.0